Muslimbrüder rufen zum Aufstand auf
8. Juli 2013Der blutige Angriff auf Anhänger des entmachteten Präsidenten Mohammed Mursi am Sitz der Präsidentengarde in Kairo hat den Zorn der islamistischen Muslimbruderschaft entfacht. Bislang hatte sie weitgehend friedlich gegen die Absetzung Mursis am vergangenen Mittwoch protestiert. Jetzt rief die islamistische Partei für Freiheit und Gerechtigkeit, der politische Arm der Muslimbrüder, das ägyptische Volk zum Widerstand gegen diejenigen auf, die "ihm mit Panzern seine Revolution stehlen wollen". Die Partei warnte auch vor einem "neuen Syrien der arabischen Welt". Der Bürgerkrieg in Syrien hatte im März 2011 mit einer Revolte gegen die Regierung von Staatschef Baschar al-Assad begonnen.
Ägyptens Justiz ordnete die Schließung der Zentrale der islamistischen Partei in Kairo an. In dem Gebäude seien Messer, brennbare Flüssigkeiten und andere Waffen gefunden worden, die gegen Demonstranten eingesetzt werden sollten, hieß es.
Mursis Anhänger seien "massakriert" worden, beklagten Vertreter der Muslimbrüder. Aktivisten aus ihren Reihen nahmen zwei Soldaten gefangen und zwangen sie zu öffentlichen armeekritischen Äußerungen, wie die Nachrichtenagentur Mena berichtete. Beiden gelang später die Flucht.
Gegenseitige Schuldzuweisungen
Die Umstände der blutigen Gewalt am Montagmorgen vor dem Hauptquartier der Republikanischen Garde in der Hauptstadt sind unklar. Die Militärführung veröffentlichte eine Erklärung, in der es heißt, bewaffnete Terroristen hätten versucht, den Offiziersclub zu stürmen. Dagegen gaben die Muslimbrüder an, Polizei und Militär hätten auf friedlich betende Demonstranten gefeuert.
"Wir waren gerade beim Morgengebet", erzählte der 25-jährige Apotheker Abdullah Galal der Nachrichtenagentur dpa. "Sie schossen in die Menge, der Mann neben mir fiel tot um. Ist das Demokratie?" Der Prediger Scheich Ibrahim al-Sajjid betete in einer Moschee in unmittelbarer Nachbarschaft. "Zuerst feuerten sie Tränengas-Granaten über die Mauer des Hofs, und als wir flohen, schossen sie uns aus automatischen Waffen nach." Andere Augenzeugen berichteten, "Schläger in Zivil" seien für die Gewalt verantwortlich. Nach jüngsten Angaben des Gesundheitsministeriums wurden mindestens 51 Menschen getötet und etwa 435 verletzt.
Interimspräsident Adli Mansur ordnete eine Untersuchung an. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft wird gegen 200 Verdächtige ermittelt, die nach dem Gewaltausbruch vor dem Offiziersclub festgenommen wurden. Mansur rief zugleich die Demonstranten auf, sich von Kasernen und anderen "vitalen Einrichtungen" des Staates fernzuhalten.
Präsidentensprecher Ahmed Elmosimani versicherte, die Ereignisse würden die Bemühungen um eine Übergangsregierung und die Vorbereitung für Wahlen und eine Verfassung nicht aufhalten. Auch der liberale Friedensnobelpreisträger Mohamed ElBaradei, dessen Berufung zum Ministerpräsidenten an der salafistischen Al Nur-Partei gescheitert war, rief eindringlich zu weiterer Versöhnung auf.
Nur-Partei nimmt nicht mehr teil
Doch die Zeichen hierfür stehen schlecht. Denn auch die zweitgrößte islamistische Strömung in Ägypten, die Nur-Partei, zog weitreichende Konsequenzen. Als Reaktion auf das "Massaker" in Kairo zieht sich die Partei nach eigenen Angaben mit sofortiger Wirkung von allen Verhandlungen über die Bildung einer neuen Regierung zurück. Der Sprecher der ultrakonservativen "Partei des Lichts", Nader Bakkar, teilte über den Internet-Dienst Twitter weiter mit, man werde an dem von der Armee initiierten politischen Prozess überhaupt nicht mehr teilnehmen. Die Salafisten "wollten Blutvergießen verhindern, und nun fließt das Blut in Strömen", beklagte er.
Die Nur-Partei war ursprünglich mit der Muslimbruderschaft, aus der Mursi hervorging, verbündet. Zuletzt schloss sie sich jedoch der Opposition an und trug die Entmachtung des Präsidenten mit. Sie galt als wichtige Kraft bei dem Versuch, alle politischen Strömungen in den Demokratisierungsprozess miteinzubeziehen.
Auch Großimam zieht Konsequenzen
Der oberste sunnitische Glaubenslehrer, Großimam Ahmed al-Tajeb, zieht sich angesichts der blutigen Vorgänge in der Hauptstadt in Klausur zurück. Die derzeitige Übergangsregierung dürfe allenfalls sechs Monate im Amt bleiben, binnen zwei Tagen müsse ein Ausschuss für die "nationale Versöhnung" einberufen werden, forderte Al-Tajeb im staatlichen Fernsehen. Er werde sich bis zum "Ende der Gewalt" aus dem öffentlichen Leben fernhalten. Der Großimam hatte sich bislang an den Gesprächen der Armee mit der Opposition über die Zukunft Ägyptens nach der Absetzung Mursis beteiligt.
se/mak (afp, rtr, ape, dpa)