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Politik

Trauert die Welt auch um Muslime?

19. März 2019

Macht es tatsächlich einen Unterschied, woran ein Terroropfer glaubt? Im Netz äußern einige Muslime nicht nur diesen Verdacht. Sie machen auch weitere Beobachtungen.

Neuseeland Gedenken an Opfer des Terroranschlags
Bild: Reuters/E. Su

"Die Welt trauert nicht um Muslime." Unter dieser Überschrift umriss der Deutsch-Afghane Daud Noorzai in der Boulevardzeitung "Bild" seinen Eindruck von den Reaktionen der westlichen Welt auf den Terroranschlag von Christchurch, dem am Freitag 50 Muslime zum Opfer fielen. Eindrücke wie Noorzai finden sich auch in vielen Tweets von Muslimen aus der gesamten Welt.

"Angriffe in der westlichen Welt hatten mehr Aufmerksamkeit als ähnliche Angriffe in der Dritten Welt oder islamischen Ländern", schreibt Noorzai. "Diese Gräueltaten hatten mehr Berichterstattung in den Medien, wurden stärker von Politikern diskutiert und lösten eine verstärkte Reaktion der Bevölkerung aus – vor allem über Social Media".

Viele Bürger und Repräsentanten der westlichen Welt hätten ganz unterschiedliche Empfindungen, je nachdem, ob bei einem Terroranschlag christliche oder muslimische oder weiße oder dunkelhäutige Menschen zu Opfern würden, so die Stoßrichtung von Noorzais Kritik. "Ein Angriff auf Muslime - auch in einem Land der Ersten Welt - löst nicht die gleiche Empörung der Medien aus, es gibt keine Märsche von Politikern Hand in Hand für den Frieden oder sofortige Projektionen auf Denkmälern und Gebäuden, um Solidarität zu zeigen."

Vereint in Trauer: Totenlichter in ChristchurchBild: Reuters/J. Silva

Reaktionen westlicher Politiker

Noorzai hat Recht: Zu Trauermärschen von Politikern ist es bislang noch nicht gekommen. Allerdings äußerten sich viele führende Politiker umgehend zu dem Terrorakt von Neuseeland. Der Sprecher der deutschen Regierung, Steffen Seibert, gab noch am Tag des Anschlags per Twitter ein Statement von Bundeskanzlerin Merkel bekannt:

Auch der französische Präsident Emmanuel Macron äußerte sich zu dem Attentat. Alle seine Gedanken seien bei den Opfer des abscheulichen Verbrechens von Christchurch, so Macron auf Twitter. Frankreich stelle sich gegen jede Form von Extremismus und gehe mit seinen Partnern gegen den Terrorismus in der Welt vor.

Doch auch dieser Tweet wurde kritisiert. Ein User namens "Fays" schreibt, es sei furchtbar, dass Macron nicht den Täter selbst erwähnt und als "Terroristen" bezeichnet habe.

Die Äußerung von Fay bleibt nicht ohne Widerspruch. Zahlreiche User weisen darauf hin, dass Macron wenn nicht das Wort "Terrorist", so doch den Begriff "Terrorismus" gebraucht habe.

Vorwurf manipulierender Berichterstattung

Auch der britische Extremismusforscher Asim Qureshi kritisiert die Beileidsbekundungen einiger westlicher Politiker. Sie hätten versäumt, darauf hinzuweisen, dass es sich bei den Opfern um Muslime handele, schreibt er in dem Internetportal "Middle East Eye".

Die Berichterstattung zu Christchurch charakterisiere sich auch durch den Umstand, dass der Terrorakt als etwa Außergewöhnliches dargestellt werde. Eine solche Darstellungsweise zeige sich regelmäßig bei Gewalt gegen Muslime. "Dieses Vorgehen soll die Menschen nicht auf den Gedanken kommen lassen, dass solche Handlungen mit der politischen Klasse verbunden sind, die Muslime, Immigranten und Menschen mit dunkler Haut - und insbesondere Schwarze - Tag für Tag auf unterschwellige Weise beleidigt."

Vereint in Trauer? Szene aus ChristchurchBild: Reuters/J. Silva

Schweigespirale der deutschen Medien?

Auf die Rolle der Medien weist auch die an der Universität Duisburg-Essen lehrende Bildungswissenschaftlerin Aylin Karabulut hin. Sie wirft den Öffentlich-Rechtlichen Sendern in Deutschland aus Anlass des Terroranschlags von Christchurch vor, zum Thema Rechtsextremismus und Rassismus wiederholt geschwiegen zu haben.

Verbunden mit der Frage nach dem angemessenen Umgang diskutieren Muslime die gesellschaftlichen Hintergründe des Attentats. Sawsan Chebli, Bevollmächtigte des Landes Berlin beim Bund und Staatssekretärin für Bürgerliches Engagement und Internationales, schreibt auf ihrem privaten Twitter-Account, der Anschlag habe sich vor dem Hintergrund einer spezifischen ideologisch-psychologischen Atmosphäre ergeben.

Nur Krokodilstränen?

Ähnlich sieht es auch der palästinensische Politi-Analyst Yasir al-Zaatreh, der einigen westlichen Politikern schwere Vorwürfe macht:

"Die Krokodilstränen, die Trump und einige andere Führungsgestalten der westlichen Welt angesichts der Opfer in Neuseeland nun vergießen, sollten nicht vergessen machen, dass das, was geschah, das Ergebnis einer jahrelangen Dämonisierung der Muslime und des Islam ist - sowie der Behauptung, Terrorismus sei ein Markenzeichen des Islam", so al-Zaatreh. "Vergessen wir aber nicht, dass auch einige arabische und muslimische Führer zu dieser Entwicklung beigetragen haben", fügte er hinzu.

Stilles Gebet: Eine Trauernde in ChristchurchBild: picture-alliance/dpa/V. Yu

Versöhnliche Gesten

Als versöhnliche Geste empfinden viele Muslime den Besuch der mit einem Kopftuch bedeckten neuseeländischen Premierministerin Jacinda Ardern bei einer muslimischen Gemeinde in Christchurch.

Ebenfalls anerkennend zeigten sich Nutzer über die Entscheidung, aus Solidarität mit den Opfern von Neuseeland die Lichter des Eiffelturms abzuschalten. Der Eiffelturm war bereits im Juni 2017 dunkel geblieben, als Mitglieder der Terrororganisation "Islamischer Staat" ein Attentat mit 17 Todesopfern in Teheran ausführten. Auch nach dem Terroranschlag gegen den Musikclub "Bataclan" im November 2015 sowie gegen die Redaktion des Satiremagazins "Charlie Hebdo" im Januar des gleichen Jahres blieben die Lichter des Pariser Wahrzeichens aus.

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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