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Muslime fürchten den Zorn der Deutschen

Stefan Dege4. Oktober 2014

Terror im Namen Allahs? Deutsche Muslime empören sich über den "Islamischen Staat". Doch viele fürchten eine neue anti-islamische Stimmung. Eindrücke aus der Keupstraße in Köln.

Keupstraße Köln (Foto: Stefan Dege, DW)
Bild: DW/S. Dege

Die junge, Kopftuch tragende Frau sitzt hinter der Theke ihres Dekorationsgeschäfts, eingerahmt von Schleifen, Bändern, Papierkränzen und Stapeln bunter Papiere. Es duftet nach orientalischem Parfüm. Zur offenen Tür dringt Straßenlärm herein. "Wir sehen da etwas auf uns zurollen", sagt Meral Sahin verschwörerisch, "und es wäre nicht das erste Mal."

Das Vordringen der Terrormiliz des Islamischen Staats im Nord-Irak und Syrien, die brutale Vertreibung von Christen, Yesiden und Muslimen, das bestialische Abschlachten von Menschen – es ist der reinste Horrortrip für Meral Sahin. "IS hat mit Religion nichts zu tun", empört sie sich, "das sind Terroristen, die Allahs Namen missbrauchen!" Aber können die Menschen in Deutschland unterscheiden zwischen friedliebenden Muslimen und gewalttätigen Islamisten? Meral hofft es und hat Angst – "Angst", wie sie sagt, "vor neuer Entfremdung".

Meral Sahin von der Interessengemeinschaft KeupstraßeBild: DW/S. Dege

Rückschritte bei der Integration von Muslimen? Wünschen kann sich das niemand. Gerade vier Monate ist es her, dass Sahin, die Vorsitzende der Interessengemeinschaft Keupstraße, an der Seite von Joachim Gauck durch ihre Straße schritt. Der Bundespräsident wollte ein Zeichen für Verständigung setzen, der tödliche Nagelbombenanschlag der rechtsgerichteten Terrorzelle NSU jährte sich zum zehnten Mal. Die Polizei hatte die Mörder zunächst im Ausländerspektrum vermutet. Viele Bewohner des überwiegend von Türken bewohnten Viertels fühlten sich zu Unrecht verdächtigt. Nun also ein großes Kulturfest, bei dem im Juni 70.000 Kölner der Ereignisse gedachten. "Birlikte – Zusammenstehen", so das versöhnliche Motto.

Bundespräsident Joachim Gauck im Juni beim Kölner Kulturfestival "Birlikte - Zusammenstehen"Bild: picture-alliance/dpa

Konflikten vorbeugen

Ein großer Erfolg war das Fest auch für Maria Fichte. Jeans, T-Shirt und Turnschuhe lassen sie im Straßenbild kaum auffallen, was ihr den Job erleichtert. Die junge Frau zieht Strippen. Als Sozialraum-Managerin koordiniert sie die Aktivitäten von Initiativen, Vereinen, Verbänden, religiösen Gruppen. Ihr Auftrag: Konflikte vermeiden helfen, die entstehen, wenn Migranten, Alleinerziehende und Arbeitslose so gehäuft aufeinandertreffen wie in diesem Kölner Stadtteil. "Hier leben viele Türken, Menschen aus Afrika und natürlich Deutsche", sagt Maria Fichte. "Deshalb arbeiten wir präventiv."

Die Moschee von Ahmet Erdogan teilt sich den Hinterhof mit einem türkischen Lebensmittelladen. Wie ein lächelnder Buddha sitzt der kleine, wohlbeleibte Mittvierziger auf dem Teppich des Gebetsraums. Erdogan - nur zufällig heißt er wie der türkische Staatspräsident - will nicht glauben, dass eine Mehrheit in Deutschland Muslime und Terroristen über einen Kamm scheren könnte. Aus dem Lautsprecher quäkt der Ruf des Muezzin, fünfmal am Tag ruft er die 180 Mitglieder der Moscheegemeinde zum Gebet.

Betende Muslime in der Ömer ul Faruk Moschee im Kölner Stadtteil MülheimBild: DW/S. Dege

Den Familienvater bekümmert etwas anderes, und zwar das Schicksal junger Muslime, die sich zu Glaubenskriegern radikalisieren: "Wir müssen uns Sorgen machen", sagt er mit Beben in der Stimme, "das kann in jeder Familie passieren!" Hassprediger wüssten genau, wo und wie sie schwächere Kinder erreichten: "Da muss ja was sein. Die geben ja scheinbar irgendwas - Freundschaftsgefühl, Wir-Gefühl, Starksein-Gefühl." Dann folge die Ideologie. Der Bart werde länger, der Anzug anders, auf einmal würden bestimmte Fragen gestellt. Selbstkritisch fragt Erdogan: "Machen wir was falsch, machen die Familien was falsch, machen alle was falsch?" Viele Kinder seien schon verloren, klagt der Gemeindevorsteher. "Ich fühle mich gezwungen, etwas zu tun."

Ahmet Erdogan leitet die Moscheegemeinde Ömer ul FarukBild: DW/S. Dege

"Keine Muslime, sondern Mörder"

Viele Passanten in der Keupstraße möchten nicht offen über Politik sprechen: "Kein Interesse, danke!" Ganz anders diese Frau, die sich "getürkte Deutsche" nennt, eine Muslimin mit türkischen Wurzeln und deutschem Pass: "Wir fürchten, dass wir in einen Topf geworfen werden mit den Terroristen. Dass nicht geschaut wird, dass diese Menschen keine Muslime sind, sondern Mörder." Sie seien hinter Macht und Geld her und nicht hinter Gottes Frieden und Segen. "Ich glaube schon, dass wir Muslime wieder in so einen Rechtfertigungszwang kommen."

Diese Passantin fürchtet eine neue IslamfeindlichkeitBild: DW/S. Dege

Das Festival "Birlikte – Zusammenstehen" ging im Juni in einem Hitzegewitter unter. "Nach dem großen Zulauf der Menschen ist ein Gefühl geblieben", blickt Meral Sahin stolz zurück: "Alle Menschen sind in einer Erwartungshaltung: Was kommt jetzt?"

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