1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Muslime heißen Flüchtlinge willkommen

Richard A. Fuchs
27. März 2017

Das ehrenamtliche Engagement für Flüchtlinge ist in Deutschland anhaltend hoch. Besonders häufig helfen muslimische Vereine, zeigt der Religionsmonitor 2017. Bei der Integration ist ihre Rolle als Brückenbauer wichtig. 

Deutschland Berlin Ehrenamtliche Flüchtlingshelfer
Bild: Getty Images/C. Koall

Ihsan Wahbi war da, als sie gebraucht wurde. Die im Libanon geborene Mittvierzigerin lebt seit 32 Jahren in Deutschland. Als bei den Berliner Behörden im Herbst 2015 das Chaos ausbrach, zögerte sie nicht lange und packte als ehrenamtliche Flüchtlingspatin an. Sie reihte sich in Warteschlangen bei der Registrierung ein, stellvertretend für alle jene, die nach der strapaziösen Flucht zu schwach waren für die nächste, bürokratische Herausforderung. Damit wurde Ihsan Wahbi für alleinerziehende Mütter oder für überforderte Großfamilien aus dem Nahen Osten zur unverzichtbaren Brückenbauerin in die deutsche Gesellschaft.

Ihsan Wahbi war in Berlin als ehrenamtliche Flüchtlingspatin aktiv. Bild: DW/R. Fuchs

44 Prozent der Muslime engagieren sich

Und mit diesem Engagement war die bekennende Muslimin keineswegs allein, wie jetzt der Religionsmonitor 2017 zeigt. Die Studie basiert auf einer Telefonumfrage, an der sich in Deutschland 1000 Muslime mit Wurzeln in der Türkei, Südosteuropa, dem Iran, Nordafrika und dem Nahen Osten beteiligten. Insgesamt wurden 2016 für den Monitor 10.000 Menschen befragt – in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Frankreich, Großbritannien und in der Türkei.

Ziel der nichtrepräsentativen Umfrage sei es, so die Autoren, Tendenzen und Trends herauszustellen und die Rolle der Religion bei der gesellschaftlichen Integration von Geflüchteten zu untersuchen. Das Ergebnis zeigt: Muslime bringen sich in Deutschland deutlich öfter bei der Flüchtlingshilfe ein als Mitglieder anderer Konfessionen oder Atheisten. 44 Prozent der befragten Muslime gaben an, sich im vergangenen Jahr engagiert zu haben. Unter den befragten Christen gab lediglich jeder Fünfte an, Flüchtlinge persönlich unterstützt zu haben. Bei Konfessionslosen war die Zahl noch geringer.

Für die Autoren der Studie bedeutet das: gängige Klischees,dass muslimische Mitbürger es mit dem Engagement für Gesellschaft und Gemeinwesen nicht ganz so ernst nähmen, seien falsch. Auch die meist aus dem rechtspopulistischen Lager vorgetragenen Befürchtungen, Muslime würden ihre ehrenamtliche Hilfe zur religiösen Missionierung oder Radikalisierung missbrauchen, sind laut aktuellem Religionsmonitor haltlos.

Missionieren, nein danke!

Manches Medium in Deutschland hatte in Beiträgen die Angst davor geschürt, dass Saudi-Arabien bis zu 200 Moscheen bauen wolle, um ankommende Flüchtlinge wahhabitisch zu beeinflussen. In der Studie heißt es dazu: Bei allenfalls ein bis zwei Prozent der Helfer könne von der Absicht gesprochen werden, sie wollten Geflüchtete religiös beeinflussen.

Die große Mehrheit der Muslime werbe dagegen für eine offene Grundhaltung gegenüber anderen Religionen. Damit würden sie zum Leitbild für die Integration in eine offene und demokratische Gesellschaft. "Dieses ehrenamtliche Engagement zeigt, dass unsere Gesellschaft in schwierigen Zeiten zusammenhält – unabhängig von Religion und Herkunft", sagt Yasemin El-Menouar, Studienleiterin von der Bertelsmann-Stiftung.

"Eine neue Bürgerbewegung"

Die Studie zeigt weiter: Rund ein Fünftel der deutschen Bevölkerung hat sich 2016 für Flüchtlinge engagiert, die meisten davon regelmäßig. Damit habe die Flüchtlingshilfe auch jene mobilisiert, die zuvor nur selten ehrenamtlich aktiv geworden sind: junge Erwachsene, Menschen mit geringen Einkommen oder Personen mit Migrationshintergrund.

"Mit den Flüchtlingen kam auch die Solidarität", sagt die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Aydan Özoğuz. "Über sechs Millionen Menschen engagieren sich in der Flüchtlingshilfe." Das sei, sagt die Staatsministerin, eine neue Bürgerbewegung, die unverzichtbare Arbeit leiste.

Deutsch-Kurs in Leipzig: Hier nehmen sich Ehrenamtliche besonders viel Zeit, sagt der Religionsmonitor. Bild: picture-alliance/dpa/W. Grubitzsch

Unterschiede zwischen Ost und West bestehen bei dieser Integrationsarbeit allerdings weiter. Während sich Westdeutsche insgesamt häufiger für Geflüchtete einsetzten als Ostdeutsche, sind es vor allem die aktiven Ostdeutschen, die besonders viel Zeit und Kraft in ihr Ehrenamt investieren.

Im Westen Deutschlands gaben 36 Prozent der Befragten an, freiwillig anzupacken. Im Osten waren es 29 Prozent. Gefragt danach, wer sich mehrmals die Woche für Geflüchtete einsetzt, liegt der Osten vorn. Jeder fünfte ostdeutsche Flüchtlingshelfer ist regelmäßig mehrmals die Woche aktiv, während im Westen dies nur auf jeden zehnten Flüchtlingshelfer zutrifft. 

Wer Geflüchtete kennt, hilft öfter

Ob jemand Geflüchtete unterstützt, ist laut Religionsmonitor auch eine Frage des eigenen Wohnorts. Je näher Menschen bei einer Flüchtlingsunterkunft wohnen, desto engagierter sind sie. In Westdeutschland helfen 28 Prozent der Befragten, wenn ihr Wohnort unweit einer Gemeinschaftsunterkunft liegt. Nur halb so viele Personen tun dies, wenn sie weiter wegwohnen.

In Ostdeutschland helfen 17 Prozent der Bevölkerung Flüchtlingen, wenn sie in der Nähe einer Einrichtung wohnen. Leben sie weiter weg, sind es nur zwölf Prozent. Die Autoren der Studie regen an, das Engagement ehrenamtlicher Flüchtlingshelfer effektiver und dauerhafter zu unterstützen. Insbesondere was engagierte Muslime angeht, gebe es hier noch großen Nachholbedarf von Seiten der Behörden.