Gehört der Islam zu Deutschland?
12. September 2013Rein rechtlich ist der Islam schon ein Teil Deutschlands: Als erste muslimische Gemeinde haben kürzlich die "Ahmadiyyas" die gleichen Rechte wie christliche oder jüdische Glaubensgemeinschaften erhalten: Sie dürfen eigene Friedhöfe einrichten und können sogar den Staat beauftragen, Mitgliedsbeiträge einzuziehen - wie das auch die katholische und die evangelische Kirche in Deutschland tun. Und sie darf einen eigenen Religionsunterricht an deutschen Schulen anbieten.
Obwohl die Gemeinde mit ihren rund 35.000 Anhängern eher klein ist, hat das eine enorme symbolische Wirkung: Damit gehört der Islam zumindest offiziell zu Deutschland. Ein längst überfälliger Schritt, mein Dietrich Reetz, Islamwissenschaftler am Zentrum Moderner Orient in Berlin: "Ich sehe im Grunde genommen keine andere Möglichkeit, als den Muslimen die gleiche Rechte einzuräumen." Die Frage, ob der Islam Teil Deutschlands ist, stellt sich für den Wissenschaftler längst nicht mehr - immerhin lebten hier über vier Millionen Muslime. Doch in der Gesellschaft wird darüber seit Langem heftig gestritten.
Uneinige Politiker
Als der damalige Bundespräsident Christian Wulff vor drei Jahren in einer Rede betonte, der Islam gehöre ebenso zu Deutschland wie das Christentum und das Judentum, sprach er vielen muslimischen Einwanderern aus dem Herzen. Doch er erntete dafür auch viel Kritik. "Dass der Islam zu Deutschland gehört, ist eine Tatsache, die sich aus der Historie nirgendwo belegen lässt," widersprach ihm Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich von der konservativen CSU. Viele wiesen den Wulff-Satz mit dem Argument zurück, "Multikulti", also das friedliche und befruchtende Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen und Religionen, sei längst gescheitert, viele Muslime seien nicht bereit, sich in die Gesellschaft zu integrieren.
Auch der derzeitige Bundespräsident Joachim Gauck hat sich von den Worten seines Vorgängers distanziert: Er würde nicht diese Worte wählen, sagte er später. Wulff habe da etwas vorweggenommen, was vielleicht später einmal sein wird: "Wir würden uns nicht helfen, wenn wir Fremdheit und Distanziertheit übersehen würden in der eigentlich guten Absicht, ein einladendes Land zu sein."
Muslime unter Druck
Viele Muslime seien darüber enttäuscht gewesen, meint Nurhan Soykan, Generalsekretärin des Zentralrats der Muslime: "Da haben wir gesehen, dass viele nicht bereit sind, die Muslime als Teil dieser Gesellschaft zu akzeptieren. Und das spiegelt sich natürlich auch bei den verschiedenen Politikern wieder." Dass es gerade bei sozial benachteiligten Menschen Vorbehalte gegen Fremde gebe, kann sie gut verstehen - sie würde sich aber wünschen, dass Politiker mit positivem Beispiel vorangehen: "Nur sehen wir da, dass ein gewisser Stimmenfang stattfindet, weil die Politiker wissen, dass ein großer Teil der Gesellschaft eben gegen Muslime ist."
Der Islamwissenschaftler Dietrich Reetz sieht die Muslime sogar von zwei Seiten unter Druck: Von denen, die ohnehin gegen zu viel Zuwanderung sind - und von denen, die der Meinung sind, dass der Islam die Selbstbestimmungsrechte zum Beispiel von Frauen unterdrückt. "Leider machen sich das auch Politiker zu Nutze, und zwar beider Richtungen. Das macht die Auseinandersetzung nicht einfacher."
Wahlkampf mit, nicht gegen Muslime
Im Bundeswahlkampf spielt das Thema allerdings kaum eine Rolle. Doch scheinen die Parteien die Muslime als Wähler entdeckt zu haben - zumindest werben sie mit Kandidaten aus ihren Reihen. Weiblich, sympathisch, muslimisch: das gilt offenbar als neues Erfolgsrezept. Die SPD schickt Yasemin Karakaşoğlu ins Rennen, eine Muslima, die nach dem Wunsch der Partei Bildungsministerin werden soll. Und auch die CDU präsentiert stolz ihre erste muslimische Kandidatin, die 35-jährige Cemile Giousouf.
Bei der Grünen-Politikerin Muhterem Aras war dieses Konzept erfolgreich: Sie gewann bei der vergangenen Landtagswahl in Baden-Württemberg (2011) ihren Wahlkreis mit 42 Prozent, das beste Ergebnis ihrer Partei. Und zog als erste Muslima in das Landesparlament ein. Sie warnt allerdings davor, sich zu sehr als Migrantenvertreter vereinnahmen zu lassen: Sie selbst habe sofort den Posten der integrationspolitischen Sprecherin angeboten bekommen - und abgelehnt, weil sie von Beruf Steuerberaterin ist und sich im Bereich Finanzen besser aufgehoben fühlt: "Ich finde es wichtig, dass man sich nicht auf dieses Thema beschränken lässt, nur weil man diesen Hintergrund hat. Da machen es sich die Parteien zu einfach und zu bequem."
Pragmatische Landespolitik
In der konkreten Politik der unterschiedlichen Parteien beim Thema Islam finden sich nur wenig Unterschiede: So haben einige rot-grün regierte Bundesländer wie Nordhein-Westfalen den Anfang beim Religionsunterricht für muslimische Schüler gemacht. Doch besonders konsequent setzt das jetzt die CDU/FDP-Regierung in Hessen um: Zum neuen Schuljahr wurde dort zum ersten Mal in Deutschland in Zusammenarbeit mit muslimischen Organisationen ein "bekenntnisorientierter Islamunterricht" eingeführt, wie es ihn auch für protestantische und katholische Schüler gibt.
Der Islamwissenschaftler Dietrich Reetz kann sich sogar vorstellen, dass es im Deutschen Fernsehen zusätzlich zur christlichen Ansprache, dem "Wort zum Sonntag", auch ein "Wort zum Freitag" für Muslime gibt: "Ich denke, das ist nur eine Frage der Zeit, bis man eine solche Normalität herstellt. Möglicherweise sind wir weiter, als es die Debatten in den Medien manchmal vermuten lassen."