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Politik

"Wir können voneinander lernen"

24. Juni 2018

Jüdische Rabbiner und muslimische Imame radeln auf Tandems gemeinsam durch Berlin. Ein Zeichen "für Toleranz und Respekt". Alle sind einer Meinung: Es gibt zu wenig solcher Aktionen. Und vor einem haben sie Angst.

Meet2resepct-Demo in Berlin: Juden und Muslime radeln gemeinsam
Bild: AFP/Getty Images/J. MacDougall

Es dauert mit dem Start. Die einen kennen sich längst und herzen sich, andere stellen sich einander vor. Ein Plaudern und Lachen. Jüdische Rabbiner und Rabbinerinnen, Kantorinnen, muslimische Imame und Gelehrte, auch hier einige Frauen aus Einrichtungen dabei. "Wir wollen ein Zeichen setzen, dass wir gegen jegliche Art der Diskriminierung sind, gegen Antisemitismus, gegen Diskriminierung von Muslimen", sagt der islamische Theologe Ender Cetin. Und Rabbiner Elias Dray ergänzt: "Wir können voneinander lernen und uns austauschen."

Cetin und Dray teilen sich ein Tandem. So wie einige Dutzend anderer Juden und Muslime. Wer sitzt vorne, wer hinten? Wie radelt man gemeinsam, ohne zu straucheln? Es gelingt. Auf knapp zwölf Kilometern gibt es keinen Sturz, eine Rikscha macht mal schlapp. Aber die Teams radeln locker und plaudernd durch die deutsche Hauptstadt. Begleitet von gut einem Dutzend Polizei-Motorrädern, die Kreuzungen absperren und für freie und sichere Fahrt sorgen. Passanten und Touristen bleiben stehen, winken, fotografieren.

Gemeinsam erinnern

Hinter dem ungewöhnlichen Sonntagsausflug steht das 2013 vom Verein Leadership Berlin begründete Bildungs- und Begegnungsprojekt "meet2respect". Es bringt ansonsten zum Beispiel Rabbiner und Imame gemeinsam in Schulen oder auch Schulklassen in Synagogen oder Moscheen. "Wir Imame und Rabbiner sollten mit gutem Beispiel vorangehen", sagt Ender Cetin. Und heute zeigen sie, dass man auch gemeinsam Freizeit verbringen kann. 

Am Holocaust-Mahnmal vorbei geht es zum Jüdischen Gemeindehaus in Berlin, dann zu einer Synagoge und einer Moschee in Kreuzberg. Am Gemeindehaus erinnert ein Rabbiner an die Brandschatzung des Vorgängerbaus bei den Pogromen, an der Mevlana-Moschee spricht ein Mitarbeiter von der Brandstiftung im August 2014. Endpunkt der Tour ist der Bebel-Platz, jener zentrale Platz in Berlin, an dem die Nazis 1933 die Bücher verfemter Autoren verbrannten.

Rabbiner Elias Dray von der Orthodoxen Rabbinerkonferenz (r.) und der islamische Theologe Ender Cetin - ein Tandem Bild: DW/C. Strack

"Wir brauchen Vertrauen"

"Ich bin vor zehn Jahren zum letzten Mal Fahrrad gefahren. Morgen gibt es erstmal Muskelkater", gesteht Sawsan Chebli, Staatssekretärin des Landes Berlin für Bürgerschaftliches Engagement und Internationales, womit sie für Gelächter sorgt. Aber dann wird die 39-Jährige gebürtige Berlinerin, Kind palästinensischer Eltern, sehr ernst. Sie schildert, wie sie auf muslimischer Seite kritisiert werde, wenn sie deren Antisemitismus thematisiere. "Du verrätst aber Palästina", höre sie dann. "Man muss mutig sein, dem Druck zu widerstehen, den man auch im eigenen Lager hat", sagt sie. Aber auch auf der jüdischen Seite begegne ihr, wenn sie sich gegen Antisemitismus äußere, "tiefes Misstrauen", dass sie vielleicht antisemitische Haltungen unter Muslimen kleinrede. Es bringe keiner Seite etwas, wenn man so tue, als sei alles "Friede Freude Eierkuchen". Cheblis Mahnung: "Wir brauchen Vertrauen."

Und die Tandem-Tour sei ein Zeichen dieses Vertrauens "in Zeiten, in denen die Hassbotschaften so stark sind und Liebesbotschaften so selten", in denen "die Stimme der Besonnenen fehlt". "In Berlin ist kein Platz für Antisemiten und kein Platz für Islamhasser", so Chebli, die der SPD angehört. Sie thematisiert auch die rechtspopulistische AfD. Es sei heute so wichtig, wenn heute Juden und Muslimen "den Dialog führen, ihn auch kritisch führen", sagt Chebli. "Denn wir wissen, dass die Feinde auf der anderen Seite stehen, wie die AfD". Bei vielen ist an diesem Tag die Sorge, ja die Angst vor wachsendem Rechtspopulismus zu spüren.

Der Hass und der Vogelschiss

Die Integrations-Staatsministerin im Bundeskanzleramt, Annette Widmann-Mauz (CDU), warnt fast wortgleich vor Antisemitismus und Islamfeindlichkeit. Dann erinnert sie an die Geschichte des Bebel-Platzes in der NS-Zeit. Der Hass, sagt sie, habe mittlerweile wieder "in viele deutsche Parlamente Einzug gehalten", man wolle die "180-Grad-Wende in der Erinnerungskultur" und halte "die Nazi-Diktatur für einen Vogelschiss in der Geschichte". Der Hass finde sich unter Alteingesessenen und Zugewanderten, "er ist in Ost und West, in Stadt und Land".

Abschluss-Veranstaltung auf dem Bebel-Platz mit Integrations-Staatsministerin Widmann-Mauz (Mitte, im hellen Mantel)Bild: DW/C. Strack

Rabbiner Nachama sagt, das gemeinsame Fahrradfahren, der Zusammenhalt, auch gemeinsam zu essen oder zusammen in die Zukunft zu blicken, das sei heute so wichtig. "Wichtiger als diese Ewiggestrigen, die was-auch-immer machen". Er persönlich würde es gerne sehen, "dass das Wort Antisemitismus ein Fremdwort ist, mit dem man nichts mehr anfangen kann".

Kühl ist es an diesem ersten Sommer-Sonntag. Vorher regnete es bereits, während der Abschlussveranstaltung auf dem Bebel-Platz setzt erneut Regen ein. Der tut dem Gesang keinen Abbruch. Sie singen auf Hebräisch, Arabisch, Englisch und Deutsch, "Peace, Shalom, Salam aleikum". Aber am kühlen Nachmittag wirkt es auch wie Ermutigung gegen die neu aufkommende Angst.