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PolitikAsien

Mutige Teenager fordern Teheran heraus

Youhanna Najdi
11. Oktober 2022

Die aktuelle Protestwelle im Iran reicht tiefer und weiter in die Gesellschaft hinein als frühere. Ein Symbol dafür sind die aufsässigen Schülerinnen.

Schülerinnen in Shiras zeigen Haar aus Protest gegen die Führung
Schülerinnen in Shiras zeigen Haar aus Protest gegen die Führung (06.10.2022)Bild: SalamPix/abaca/picture alliance

Einer der wichtigsten Unterschiede zwischen den aktuellen Protesten im Iran und den früheren ist die Beteiligung der Schülerinnen. Auf Bildern und Videos in den sozialen Netzwerken ist zu sehen, dass seit Beginn der Proteste Schülerinnen in mehreren Städten während der Unterrichtszeit ihr Kopftuch abgenommen haben, Parolen gegen den Kopftuchzwang und gegen die Regierung rufen beziehungsweise an die Tafel geschrieben haben.

Auch ist zu sehen, wie Porträts des Republikgründers Ruhollah Chomeini und seines Nachfolgers Ali Chamenei, die in allen iranischen Klassenzimmern hängen, abgehängt und zertrampelt werden. Irans Schülern ist das staatlich angeordnete Herumtrampeln auf israelischen und amerikanischen Flaggen, also des "Feindes", seit Beginn der Islamischen Republik vertraut. Insofern hat die jetzige gleiche Behandlung der höchsten Symbole der staatlichen Macht im Iran durch die Schüler und Schülerinnen nochmals eine besonders scharfe Pointe.

Warnung vor rebellischer Generation

Saeed Dehghan, ein in Kanada lebender iranischer Rechtsanwalt und Mitglied der Anwaltsvereinigung International Bar Association (IBA), sagt im Gespräch mit der DW: "Die heutigen Schüler sind die Generation des Internets und der Kommunikation, und dank der sozialen Medien haben sie ein stärkeres politisches Bewusstsein als frühere Generationen. Sie haben erkannt, wer für die aktuelle Situation im Iran verantwortlich ist, und deshalb greifen sie Chamenei und die Islamische Republik in ihren Äußerungen und Aktionen direkt an."

Die Führung des Landes trifft das Rebellentum der jungen Leute nicht unerwartet. Der Sicherheitsapparat hat bereits vor den Protesten Besorgnis über die mangelnde Loyalität der jungen Generation gegenüber der staatlichen Ideologie zum Ausdruck gebracht. So warnte die Wochenzeitschrift "Sobeh Sadegh", ein Organ der iranischen Revolutionsgarden, im März 2021: "Diese Generation wird nicht so einfach zu regieren sein wie die vorherige." Die Revolutionsgarden sind die wichtigste Militär- und Sicherheitsinstitution der Islamischen Republik und stehen unter direkter Kontrolle von Ali Chamenei.

Antreten zum Singen - das Lied heißt "Hallo, Kommandant" Bild: YJC News agency

"Die Jugend hat nichts mit der Revolution von 1979 und der Ideologie der Islamischen Republik am Hut, und deshalb haben sie mehr Mut, ihre Forderungen zu äußern", so Saeed Dehghan. In den vergangenen Jahren hat die islamische Regierung Tausende von Geistlichen an die Schulen im ganzen Land entsandt, teilweise als Lehrer, um die Einstellung der im Jahr 2000 und später Geborenen in die gewünschte Richtung zu bringen. Dazu gehört auch das gemeinsame Absingen des Liedes "Hallo, Kommandant" (gemeint ist Chamenei) im Freien, begleitet von Musik aus dem Lautsprecher und untermalt von militärisch-zackiger Choreographie der angetretenen Schulklassen. Auch die Eltern mussten an der musikalischen patriotischen Aufführung teilnehmen.

Angegriffene Staatsideologie

Allerdings zeigt die weitverbreitete Teilnahme von Jugendlichen an den aktuellen Protesten, dass solche plumpen Maßnahmen zum Scheitern verurteilt sind. Unter den Todesopfern im Zusammenhang mit den Straßenprotesten - Amnesty International spricht von über 130 - sind deshalb auch Jugendliche. Drei von ihnen, im Alter von 15 bis 17 Jahren, sind bisher bekannt . 

Auch aus der den Schiiten heiligen Stadt Ghom wurden Proteste gemeldetBild: FARS

Wie tief in die Gesellschaft die Proteste gegen die Regierung hineinreichen, zeigt auch die Tatsache, dass bislang eher konservative oder unpolitische Teile des Landes von der Stimmung erfasst werden. So haben selbst in der "heiligen" Stadt Ghom, wo über 100.000 Geistliche beziehungsweise angehende Geistliche in zahlreichen religiösen Einrichtungen studieren, Protestveranstaltungen stattgefunden. Und auch in der den weltlichen Vergnügungen zugetanen südlichen Touristen-Insel Kish im Persischen Golf mit ihren Luxushotels sind viele Menschen auf die Straße gegangen und haben regierungsfeindliche Parolen gerufen.

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