Mutter aller Finanzverhandlungen
8. September 2004Wer will, kann sich die Europäische Union als eine große und weitverzweigte Familie vorstellen. Die einzelnen Verwandten sind unterschiedlich begütert, haben verschiedene Ziele und Probleme. Bei gemeinsamen Treffen wahren sie jedoch meist die Form und betonen, dass ihnen vor allem das Wohl der Familie am Herzen liege.
Doch auch in den besten Familien gibt es mal Streit. Besonders hässlich wird der, wenn es ums Geld geht. Die europäische Familie streitet langfristig - schon um die Finanzperiode für die Jahre 2007 bis 2013.
Streit auf der Tagesordnung
Zur Zeit verfügt die Europäische Union insgesamt über ein Budget von 100 Milliarden Euro im Jahr. Das Geld kommt von den Mitgliedsländern. Die zahlen jedes Jahr einen Beitrag je nach Leistungsfähigkeit. Der größte Teil fließt dann wieder zurück, vor allem als Subvention für Landwirtschaft und Infrastruktur, also den Bau von Straßen.
Einige Länder zahlen wesentlich mehr an die EU, als sie in Form von Fördergeldern erhalten - das sind die sogenannten Nettozahler. Dazu gehört Deutschland - unterm Strich gehen pro Jahr fünf Milliarden Euro mehr nach Brüssel als von da zurück kommen; außerdem die Niederlande, Schweden, Italien und Luxemburg.
Für andere Länder lohnt sich die EU-Mitgliedschaft dagegen: So erhält Spanien jedes Jahr rund neun Milliarden Euro mehr aus den Töpfen der EU, als es einzahlt. Auch Griechenland, Portugal und die neuen EU-Mitglieder in Mittel- und Osteuropa gehören zur Gruppe der sogenannten Netto-Empfänger. Dieses Ungleichgewicht an sich würde den Familienfrieden in der EU noch nicht stören. Doch nun will die Kommission den Beitrag von 1,0 auf 1,14 Prozent der Wirtschaftsleistung anheben.
Das würde aber bedeuten, dass die Nettozahler überproportional stark belastet würden. Nach vorläufigen Berechnungen der Bundesregierung hieße das für Deutschland eine zusätzliche Belastung von jährlich rund 14 Milliarden Euro. Dagegen betont der zukünftige Kommissionspräsident Barroso allerdings, dass eine auf 25 Mitglieder angewachsene EU auch mehr Geld benötige.
Unmut bei den Deutschen
Die Grünen-Politikerin Christine Scheel leitet den Finanzausschuss des deutschen Bundestages. Sie lehnt den Brüsseler Wunsch nach mehr Geld ab: "Man kann sagen, dass diese Forderung von Herrn Barroso völlig überzogen ist. Das ist eine Provokation für Nettozahler wie Deutschland." Wegen des Stabilitätspakts solle man sparen. Auf der anderen Seite erwarte man höhere Beiträge.
Es gibt noch weitere Fronten. Da ist zum einen die Frage der Agrarsubventionen, für die knapp die Hälfte des Brüsseler Haushalts verwendet wird. Fast jeder vierte Euro aus diesem Topf wird dabei an französische Bauern bezahlt. Kein Wunder, dass Frankreich sich Bemühungen um grundlegende Haushaltsreformen vehement widersetzt.
Für Christine Scheel besteht hier dringender Reformbedarf: "Diese Riesensummen im Agraretat, die versteht kein Mensch, wenn Überproduktionen stattfinden und die Erzeugnisse dann vernichtet werden. Das ist ja für jeden normal denkenden Menschen völlig verrückt."
Britische Extrawurst
Für normal denkende Menschen ebenfalls schwer verständlich ist der sogenannte Briten-Rabatt. Mit der Forderung "I want my money back - Ich will mein Geld zurück" lag die eiserne Lady Maggie Thatcher ihren europäischen Kollegen in den 1980er Jahren solange in den Ohren, bis diese ihr einen Nachlass auf den EU-Beitrag gewährten. Ihr Argument: Großbritannien erhält nur relativ geringe Agrarsubventionen und gehörte damals zu den ärmeren Ländern im europäischen Club.
Inzwischen gehört das britische Pro-Kopf-Einkommen zu den höchsten in der EU, doch das Land erhält weiterhin einen Rabatt von fast fünf Milliarden Euro pro Jahr. Eine Rechnung, die die übrigen EU-Mitglieder bezahlen. Selbst kleine Neu-Mitglieder wie die baltischen Staaten bringen dafür Millionenbeiträge auf.
Richtig protestieren gegen die britische Sonderrolle mag allerdings niemand. Denn die Euro-skeptischen Briten werden demnächst in einem Referendum über die EU-Verfassung abstimmen. Ein starkes Eintreten für eine Abschaffung des Rabatts, so die Befürchtung in vielen EU-Staaten, könnte die Zahl der Europa-Gegner auf der britischen Insel schlagartig erhöhen.