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Politik

Wie in alten Zeiten

Verena Hölzl Rangun
22. Dezember 2017

Seit mehr als einer Woche halten Myanmars Behörden zwei Reporter der Nachrichtenagentur Reuters fest. Die beiden hatten zuvor ausführlich über die Rohingya-Krise berichtet. Von Verena Hölzl, Rangun.

Reuters Journalisten Wa Lone and Kyaw Soe
Wa Lone (links) und Kyaw Soe Oo im Reuters-Büro in YangonBild: Reuters/A. Slodkowski

Vor fünf Jahren ist ein schüchterner Myanmare mit hochrotem Kopf aus seiner Englischklasse geflohen, weil er eine Frage beantworten sollte. Heute kennen Regierungschefs und Diplomaten auf der ganzen Welt seinen Namen. Er wird wegen einer investigativen Recherche für die Nachrichtenagentur Reuters von der Polizei in Myanmar festgehalten. Seit über einer Woche fehlt jede Spur von Wa Lone. Auch sein Kollege Kyaw Soe Oo ist verschwunden. Auch am Freitag durften die beiden weder ihre Familien noch einen Anwalt sehen.

Wa Lones Karriere ist ein Spiegel für Myanmars Öffnungsprozess. Etwa zur selben Zeit als die Generäle nach über einem halben Jahrhundert Militärdiktatur die Demokratisierung einleiteten, begann der junge Myanmare 2011 als Journalist zu arbeiten. Zwei Jahre später schaffte die Militärregierung unter frenetischem Applaus aus dem Ausland die Zensur ab. Neben staatlichen Medien bekamen nun auch private Lizenzen. Exil-Journalisten wurden von der Regierung eingeladen in ihre Heimat zurückzukehren. Wa Lone heuerte bei der englischsprachigen Redaktion der Myanmar Times an.

Von der Notwendigkeit schnell erwachsen zu werden

Mit den neuen Freiheiten waren viele Journalisten, die zumeist nur in Crashkursen von internationalen NGOs ausgebildet waren, überfordert. Auch Wa Lone zählte sich dazu. "Wir sind wie Kinder, die das Laufen erst noch lernen müssen", sagte er 2015 in einem Interview mit der tageszeitung.

Wa Lone hat inzwischen gelernt zu "laufen" und arbeitet für eine der angesehensten Nachrichtenagenturen der Welt. Er und sein Kollege Kyaw Soe Oo berichteten für Reuters vom Leid der Menschen im Norden des Teilstaats Rakhine.

Myanmars Presselandschaft ist heute freier als noch vor wenigen Jahren. Doch viele Gesetze aus der Zeit der Militärherrschaft sind noch in KraftBild: Manny Maung

Ende August attackierten muslimische Rebellen dort mehrere Militärposten. Das birmanische Militär reagierte mit einer großangelegten Militäroperation. Mehr als 655.000 Menschen sind seit Ende August ins benachbarte Bangladesch geflohen. Die Uno spricht von einer ethnischen Säuberung und schließt einen Genozid nicht aus. Einer Studie von Ärzte ohne Grenzen zufolge sind alleine im ersten Monat der Militäroperation mindestens 6700 Rohingya gewaltsam zu Tode gekommen.

Demokratische Regierung unterstützt Ermittlungen

Im Vergleich mit Wa Lone haben sich Regierung und Verwaltung in Myanmar nur wenig entwickelt. Sie ließen den Reporter und seinen Kollegen Kyaw Soe Oo am Dienstag vor einer Woche verhaften. 

Das von den ehemaligen Demokratieaktivisten der Nationalen Liga für Demokratie (NLD) kontrollierte Präsidentenamt gab unumwunden zu, die Strafverfolgung der beiden Journalisten zu billigen. In der Staatszeitung wurden die beiden wie Schwerverbrecher in Handschellen präsentiert. Im Informationsministerium heißt es, der Fall hätte mit Pressefreiheit überhaupt nichts zu tun. "Wer sich an die Regeln hält, hat die Freiheit zu schreiben, was er will", erklärt der stellvertretende Direktor des Ministeriums, Myo Nyunt.

Menschenrecht Meinungsfreiheit

"Wer glaubt, dass sich auf Regeln berufen gleichbedeutend ist mit dem Schutz von Rechten, oder wer den Schutz von Grundrechten sogar für eine unabhängige Angelegenheit hält, der hat entweder nicht verstanden was Menschenrechte sind oder sie sind ihm egal", sagt dazu Rich Weir von Human Rights Watch. Die Menschenrechtsorganisation hatte der zivilen Regierung kurz nach ihrem Amtsantritt im Frühjahr 2016 in einem ausführlichen Bericht Reformen für eine Reihe von Gesetzen vorgeschlagen, die zur Unterdrückung der Meinungsfreiheit missbraucht werden können. Auch das Gesetz "Official Secrets Act" war auf der Liste. Wegen dieses Gesetzes drohen Wa Lone und Kyaw Soe Oo nun 14 Jahre Haft, weil sie von Polizisten geheime Dokumente angenommen haben sollen.

"Wir dachten damals, es sei nur eine Frage der Zeit bis die NLD solche repressiven Gesetze abschaffen würde", sagt Weir. Anders als bei Verfassungsänderungen hätte sie das ohne die Zustimmung des Militärs tun können. Durchgesetzt wurden allerdings nur sehr vereinzelte kosmetische Änderungen. "Es ist bedauerlich, dass die zivile Regierung offenbar nur wenig Probleme damit hat, solche Gesetze beizubehalten", klagt der Menschenrechtler.

Das Foto einer Angehörigen der muslimischen Minderheit Kaman stammt von Wa Lone. Er schoss das Bild in einem Flüchtlingslager in der Nähe von Yangon, wohin die Frau nach Ausbruch der Krise im Rakhine-Staat verbracht wurdeBild: REUTERS

Mögliche Hintergründe

Mit der Transition hat Aung San Suu Kyi sich auf einen extrem fragilen Deal mit dem Militär eingelassen, dessen Machtposition unantastbar ist. Kritik an den Generälen ist für sie seither nicht mehr opportun.

Interessant ist auch, dass die Festnahme von Wa Lone und Kyaw Soe Oo in Verbindung mit einem ominösen Massengrab  stehen könnte, das vor Kurzem im Krisengebiet im Rakhine-Staat entdeckt wurde. Es gibt Gerüchte, dass das Militär das Narrativ darüber, was dort passierte, kontrollieren will und deshalb nicht nur die beiden Journalisten, sondern inzwischen auch diverse Dorfbewohner festnehmen ließ.

Nur die Spitze des Eisbergs

Während die internationale Aufmerksamkeit derzeit vor allem den beiden verschollenen Reportern von Reuters gilt, für die sich sogar Uno-Generalsekretär António Guterres eingesetzt hat, sitzen in einem Gefängnis nahe Myanmars Hauptstadt Naypyitaw seit mehreren Wochen drei weitere Journalisten hinter Gittern. Dem Trio, das aus Malaysia, Singapur und Myanmar stammt, wird vorgeworfen, für den türkischen Staatssender TRT unerlaubt eine Drohne über das Parlament geflogen zu haben. Ihnen drohen drei Jahre Gefängnis.

Im Juni klagte das Militär außerdem drei Reporter myanmarischer Medien an, nachdem sie in Rebellengebieten recherchiert hatten. Einer von ihnen ist Lawi Weng. "Du kannst hier als Journalist wieder jederzeit verhaftet werden. Wir bewegen uns zurück in Richtung Diktatur", sagte er der DW. Besonders erschüttert ist er darüber, dass inzwischen nicht mehr nur das Militär zu beschuldigen sei. "Auch die NLD hat uns im Stich gelassen", sagt er sichtlich frustriert mit Blick auf die Unterstützung der Verhaftung durch die zivile Regierung.

So wie Lawi fragen sich dieser Tage viele Journalisten, wozu sie im Dienste der Demokratiebewegung Gefängnisstrafen und Exil auf sich genommen haben. "Was soll das für eine Demokratie sein, in der Journalisten eingesperrt werden, weil sie ihren Job machen?", fragt er.