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PolitikAsien

Myanmar: Journalismus zwischen den Fronten

28. Juni 2022

Drei Journalistinnen aus Myanmar berichten, wie sie sich für unabhängige Berichterstattung einsetzen - und dafür kämpfen, dass der Konflikt in ihrem Land nicht in Vergessenheit gerät.

DW-Reporter Rodion Ebbighausen (r.) im Gespräch mit Htaike Htaike Aung, Aye Min Thant und Tin Tin Nyo
DW-Reporter Rodion Ebbighausen (r.) im Gespräch mit Htaike Htaike Aung, Aye Min Thant und Tin Tin Nyo Bild: Thomas Bärthlein/DW

Der jahrzehntealte Konflikt in Myanmar, der mit dem Militärputsch vom 1. Februar 2021 in eine neue Phase exzessiver Gewalt eingetreten ist, droht international vergessen zu werden. Auf dem umkämpften "Markt der öffentlichen Meinung" überragen lediglich der Ukraine-Krieg und seine globalen Folgen momentan alle anderen Krisen.

Die birmanisch-amerikanische Journalistin Aye Min Thant des Magazins "Frontier Myanmar" kann das sogar nachvollziehen: "Wenn man in dem Land lebt, erscheint der Krieg natürlich als das größte Problem der Welt. Aber es gibt sehr viele Länder auf der Welt, in denen ständig schreckliche Dinge passieren." 

Drei starke Frauen für Pressefreiheit in Myanmar: Htaike Htaike Aung, Aye Min Thant und Tin Tin Nyo (v.l.n.r.)Bild: Eva Mehl/DW

Journalismus für Zivilgesellschaft

Zugleich ist Aye Min Thant und ihren Kolleginnen Htaike Htaike Aung und Tin Tin Nyo der Schmerz anzumerken, den ihnen der Mangel an Interesse an Myanmar bereitet. Dennoch sind sie kämpferisch und geben ihr Bestes, um Myanmar die Aufmerksamkeit auf der internationalen Presseagenda zu verschaffen, die es verdient. Htaike Htaike Aung engagiert sich als Kuratorin im "Myanmar Internet Project" und Tin Tin Nyo ist Geschäftsführerin von "Burma News International", einem Zusammenschluss von insgesamt 16 Nachrichtenorganisationen ethnischer Minderheiten in Myanmar.

Alle drei Frauen setzen sich in ihrem jeweiligen Bereich zuerst dafür ein, die Menschen in und über Myanmar zu informieren. Für diese sei das die Voraussetzung dafür, in der unübersichtlichen Bürgerkriegssituation eigene Entscheidungen zu treffen. Das internationale Publikum könne nur mit hochwertigen Produkten für Myanmar gewonnen werden. Dazu brauche es vor allem guten Journalismus.

Sorgfalt vor Schnelligkeit

Die Herausforderungen, hochwertigen Journalismus zu leisten, sind in Myanmar allerdings immens. Die journalistische Arbeit in Myanmar ist sehr gefährlich. Zurzeit sind nach Angaben von Reporter ohne Grenzen 64 Journalisten in Myanmar in Haft, wo sie mit Folter und sogar dem Tod bedroht sind. Auch Informanten und Interviewpartner leben gefährlich.

In besonders umkämpften Gebieten wird immer wieder das Internet ausgeschaltet. Die Folge: Die unabhängige Informationsbeschaffung ist riskant und langwierig, die Redakteure müssen sich oft auf sogenannte Bürgerjournalisten verlassen, die keine professionelle journalistische Ausbildung haben. "Die Verifizierung von Fakten ist im Moment unglaublich schwierig und herausfordernd. Ich denke, eine Sache, die die seriöseren Medien tun, ist, Geschwindigkeit zu opfern, um zu versuchen, so viele unabhängige Quellen zu finden, um die Nachrichtenlage zu verifizieren", sagt Aye vom "Frontier Myanmar".

"Die Überprüfung von Informationen kostet Zeit, aber Fake News verbreiten sich rasant", fügt Kuratorin Tin Tin Nyo hinzu. Kurzfristig verliere man womöglich den Informationswettlauf. Langfristig aber sind alle drei überzeugt, dass sich Fakten durchsetzen.

(Archiv) Niedergebranntes Dorf Mwe Tone im Februar 2022Bild: uncredited/AP/picture alliance

Hunger nach verlässlichen Informationen

Htaike Htaike Aung, die sich intensiv mit der Überprüfung von Fakten befasst hat und im "Myanmar Internet Project" die Entwicklung der digitalen Kommunikation im Land erforscht, illustriert das Bedürfnis der Menschen nach gesicherten Informationen mit folgender Geschichte. Kurz nach dem Putsch 2021, als Facebook als wichtigste Informationsquelle im Land blockiert war, machte das Gerücht die Runde, dass die De-facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi aus dem Gefängnis entlassen worden sei. Verunsichert meldeten sich Menschen per Telefon und SMS bei ihrer Organisation, um zu erfahren, was tatsächlich vor sich ging. Es gab damals keine Möglichkeit, die Nachricht zu überprüfen, die sich letztlich als falsch herausstellte. Nun müssen die Presseorganisationen ihre Glaubwürdigkeit dadurch unter Beweis stellen, dass die veröffentlichten Fakten auch wirklich verifiziert sind.

Unmittelbar nach dem Putsch verzeichnete sich ein deutlicher Anstieg der Nutzung von VPN-Tunneln, die eine Netzwerkverbindung etablieren, die von Dritten nicht einzusehen ist. So kann die staatliche Zensur umgangen werden. Heute ist das VPN im Land zwar illegal, werden aber weiterhin viel genutzt. Die Bürgerjournalisten kopieren auch Presseartikel in Google Forms, teilen diese dann untereinander oder drucken sie aus, um sie unter Freunden und Bekannten zu tauschen.

Polarisierung und Propaganda

Neben der Gefahr für Journalisten und den Problemen bei der Verbreitung von Nachrichten haben die Journalistinnen mit der stark polarisierten, ja zersplitterten Gesellschaft zu kämpfen. In Myanmar gibt es seit Jahrzehnten tiefe Gräben und großes Misstrauen zwischen den Ethnien, insbesondere zwischen der größten Ethnien, den Bamar, und vielen kleineren ethnischen Gruppen, die zum Teil wiederum untereinander verfeindet sind. Das Militär, das sich zum allergrößten Teil aus Bamar rekrutiert, hat jahrelang gegen die ethnischen Minderheiten gekämpft.

Die Hauptkonfliktlinie verläuft zwischen dem Militär einerseits und einem Bündnis aus der nationalen Einheitsregierung, dem bewaffneten Widerstand und einigen ethnischen Gruppen. Dabei ist das Misstrauen innerhalb des Widerstandslagers noch nicht überwunden. Tin Tin Nyo berichtet, dass einige Mitglieder ihres Netzwerks gegenüber Nachrichtensendern wie "Myanmar Now" oder "Frontier Myanmar" Vorbehalte haben, weil sie in erster Linie von ethnischen Bamar verantwortet werden. "Sie beobachten, dass diese Medien ihre Sicht der Dinge nicht unterstützen und eine gewisse Einseitigkeit aufweisen." Es gibt auch den Vorwurf, dass sie nicht kritisch genug gegenüber der Nationalen Liga für Demokratie (NLD), die mit dem Putsch vom Militär abgesetzt wurde, und sich selbst sind, weil sie nur einen Feind kennen: das Militär.

Gemeinsamer Nenner

Tin Tin Nyo sieht die Zeit für eine gemeinsame Verständigungsbasis noch nicht ganz gekommen. Optimistisch stimmt sie aber, dass die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Medien der ethnischen Minderheiten im Gegensatz zu früher deutlich verbessert habe. Man tausche sich vermehrt aus, berichte mehr über die oft vergleichbaren Probleme der anderen. "Die verschiedenen Nachrichtenorganisationen arbeiten auf einen gemeinsamen Nenner hin."

Im Gegensatz dazu stehe, so Tin Tin Nyo, allerdings eine neue Entwicklung, nämlich das Entstehen von hyperregionalen Medien, die nur einen ganz kleinen geographischen Raum abdecken. Durch die Digitalisierung sei es viel leichter geworden, Nachrichtenseiten aufzusetzen. Es gebe Dutzende solcher neuen sehr kleinteiligen Angebote. Bei diesen bestehe die Gefahr, den Blick für das Ganze aus den Augen zu verlieren.

Was sich alle drei wünschen: Die Fortsetzung der Unterstützung der Medien im Land und im Exil durch die internationale Gemeinschaft. Dabei sollte die Zusammenarbeit mit verschiedenen lokalen Journalisten gefördert werden, denn nur sie haben den Zugang und können aus ihren jeweiligen Kontexten heraus ein Bild der Lage in Myanmar zeichnen.

Tranzparenzhinweis: Aye Min Thant, Tin Tin Nyo und Htaike Htaike Aung haben an verschiedenen Fortbildungen der DW Akademie teilgenommen.