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LiteraturMyanmar

Myanmar: Bestseller-Autor appelliert an Soldaten

Nadine Wojcik
27. Februar 2021

"Schießt in die Luft!" In einem offenen Brief ruft Autor Jan-Philipp Sendker zur Befehlsverweigerung auf. Sein Facebook-Post wird zehntausendfach geteilt.

Jan-Philipp Sendker hat ein Notizbuch in der Hand, im Hintergrund ist eine Pagode zu sehen.
Schriftsteller Jan-Philipp Sendker reiste unzählige Male nach Myanmar - und widmete dem Land eine Roman-ReiheBild: Privat

Jeden Tag ist Jan-Philipp Sendker in Kontakt mit seinen Freunden und Kollegen in Myanmar. "Manche erzählen mir, dass sie Angst haben, abgeholt zu werden. Die sitzen quasi auf gepackten Koffern", berichtet der Schriftsteller im DW-Gespräch. Sie würden sich  vor den nächtlichen Verhaftungenfürchten. Schließlich sollen bereits regimekritische Journalisten und Autoren aus ihren Wohnungen geholt worden sein.

Ein schreckliches Gefühl sei das, sagt Jan-Philipp Sendker, in Gedanken an seine Verlegerin und seinen Übersetzer. Seine Roman-Reihe zu Myanmar, ein millionenfach verkauftes Familienepos, wurde auch ins Birmanische, die offizielle Amtssprache von Myanmar, übersetzt und entwickelte sich dort zum Bestseller. Unzählige Male bereiste der 61-Jährige das Land, erstmalig 1995 als Journalist, später bis zu drei Mal im Jahr als Schriftsteller. Wie auch die Menschen vor Ort war er zunächst schockiert über den nunmehr dritten Militärputsch in der Geschichte des Landes. Jetzt verfolgt er täglich verblüfft und berührt die Massenproteste. "Der Widerstand ist so breit und fantasievoll", sagt Sendker.

"Nicht alle blutrünstige Monster"

Dennoch bleibt die Sorge: Wie lange schaut das Militär dabei zu, wie sich täglich mehr und mehr Menschen auf den Straßen mobilisieren? Schließlich wurden bereits kürzlich während einer Demonstration in die Menge geschossen und mehrere Menschen getötet. Und wozu die Junta fähig ist, zeigte das blutige Niederschlagen der Proteste sowohl 1988 als auch 2007. "Ich habe auf meinen Reisen immer wieder Soldaten kennengelernt", erzählt Sendker. "Das sind nicht alle blutrünstige Monster." Aus der Tatenlosigkeit im rund 8000 Kilometer entfernten Potsdam entschied er sich daher, sich direkt an die Soldaten zu richten. 

"Ich weiß nicht, warum Du der Armee beigetreten bist", beginnt Jan-Philipp Sendker seinen offenen Brief. Vielleicht weil bereits der Vater und Großvater bei der Tatmadaw, wie das Militär in Myanmar genannt wird, gewesen waren. Vielleicht weil man tatsächlich das Land verteidigen wolle oder weil der Dienst an der Waffe die einzige Aussicht auf einen Job gewesen sei. "Ich bin aber sicher", schreibt der Autor weiter, "dass Du nicht der Armee beigetreten bist, um unbewaffnete Demonstranten zu töten."

Unbemerkter Widerstand

Aus seinen Recherche-Gesprächen weiß Jan-Philipp Sendker, dass gerade viele einfache Soldaten zunächst einmal nur ihre Familie ernähren wollen. Jetzt würden sie unter Umständen ihren eigenen Verwandten gegenüberstehen. "Ein Soldat soll Befehle ausführen", schreibt Sendker weiter. "Nicht alle Befehle sind gleich. Der Befehl, unbewaffnete Menschen zu erschießen, ist ein Verbrechen." Dafür gäbe es unter keinen Umständen eine Rechtfertigung.

Ins Burmesische übersetzt: Jan Philipp Sendkers Trilogie ist ein Bestseller in MyanmarBild: Privat

"Leistet Widerstand", ermutigt der Schriftsteller und zeigt sich mit dem Drei-Finger-Gruß, der Protestgeste. Dabei gehe es ihm nicht darum, ein Held zu sein, sagt Sendker im DW-Gespräch und gesteht, dass er nicht wisse, ob er in so einer Situation selbst so mutig wäre. Aber es gäbe viele Wege, Widerstand zu leisten: "Ziele daneben. Schieß in die Luft."

Der Schriftsteller zeigt mit seinem offenen Brief eine andere Perspektive auf. Die derzeit aufgeheizte Stimmung in Myanmar zeichnet ein schwarz-weißes Bild: Militär gegen Bevölkerung. Obwohl Aung San Suu Kyi seit 2015 De-Facto-Regierungschefin ist, blieb es verboten, das Militär offen zu kritisieren. Das holen die Demonstranten jetzt nach, tragen Karikaturen des Militärchefs und Plakate mit der Aufschrift "Freedom of Fear" durch die Straße. Sie haben keine Angst mehr.

Zuspruch von Lesern aus Myanmar

Jan-Philipp Sendkers offener Brief findet großen Widerklang. Zunächst auf Englisch veröffentlicht, wurde er kurz darauf ins Birmesische übersetzt und zehntausendfach geteilt. "Sich gegen Autoritäten durchzusetzen bedarf Mut. Ich hoffe, sie werden die Stärke haben", schreibt ein Nutzer aus Myanmar. Viele weitere bedankten sich für die Unterstützung: "Das bedeutet uns viel."

Jahrzehntelang war das Land abgeschottet. Mit dem politischen Tauwetter kamen viele Touristen und vor allem auch kultureller Austausch nach Myanmar. Daher ist der nunmehr dritte Militärputsch nicht nur hinsichtlich der breiten Massenproteste anders, sondern auch hinsichtlich der internationalen Aufmerksamkeit, Vernetzung und Unterstützung.

Offene Kritik an Militärverbrechen

In seinen Romanen hat Jan-Philipp Sendker das Militär bereits Jahre zuvor kritisiert. In "Herzenstimmen" beispielsweise schreibt er von lebendigen Minensuchern: So soll das Militär junge Männer entführt und in Minenfelder geschickt haben. Umso überraschter war er, als das Buch 2017 in Myanmar erschien. "Mein Übersetzer meinte damals, ich hätte als Ausländer eine Art Narrenfreiheit. Ein Schriftsteller vor Ort hätte sich vermutlich nicht derart äußern können", sagt Sendker.

Auf Lesereise: Jan-Philipp Sendker und seine VerlegerinBild: Privat

Nicht nur das: Ein Gespräch über den Roman wurde sogar im Radio übertragen. Öffentlich fragten die Leser nach Sendkers Recherchen über die Militärverbrechen - allein derartige Fragen hätten noch vor wenigen Jahren mit drakonischen Repressalien bestraft werden können. "Die Angst war verschwunden aus den Gesichtern", erinnert sich der Schriftsteller an seine Lesereisen. Es überraschte ihn, wie wenig einige Leser über die Gräueltaten des Militärs wussten - und wie stark der Wunsch nach Vergangenheitsbewältigung war.

Nun ist das Vergangene über Nacht wieder zur Gegenwart geworden. Doch Myanmar ist nicht mehr das abgeschiedene Land, gerade die junge Generation will ihre Freiheiten nicht aufgeben. "Es passiert da etwas Neues", meint Sendker. Zunächst hatte er befürchtet, die Geschichte werde sich wiederholen, das blutige Niederschlagen der Proteste. Doch die Masse ist diesmal größer, diffuser, stärker. Der 1. Februar, der Tag des Putsches, habe etwas völlig Neues ausgelöst, hofft der Schriftsteller - ganz anders, als vom Militär intendiert. 

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