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KonflikteMyanmar

Myanmar: Rohingya erneut zwischen den Fronten

20. August 2024

Verschleppungen, Versorgungsmangel, Hunger und Tod: In Myanmars Rakhine-Staat tobt ein unübersichtlicher Kampf mit vielen zivilen Opfern. Die DW sprach mit Rohingya, die in Deutschland leben, über die Konflikte.

Ein auf der Flucht ertrunkener Rohingya unter einem roten Laken wird von umstehenden betrachtet
Rohingya beklagen den Tod von Geflüchteten. Am 6. August war ein Boot auf dem Grenzfluss Naf zwischen Myanmar und Bangladesch gekentert.Bild: AFP

In dem immer unübersichtlicher werdenden Bürgerkrieg in Myanmar wird den Konfliktparteien vorgeworfen, die verschiedenen religiösen Ausrichtungen in der Bevölkerung für sich auszunutzen, um ihre Ziele zu erreichen.

So im nördlichen Rakhine-Staat, in dem seit Monaten heftig gekämpft wird: Betroffen sind insbesondere die Townships Maungdaw und Buthidaung, wo mehrheitlich Muslime, vor allem Rohingya, aber auch buddhistische Rakhine leben. 

Bei einer Attacke, die am 5. August mit Drohnen und Artillerie in der Nähe des Grenzflusses Naf erfolgt sein soll, sind nach Augenzeugenberichten bis zu 200 Menschen getötet worden, darunter viele Frauen und Kinder. Unabhängig überprüfen lässt sich das nicht. 

Eine Stellungnahme der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen, die in den Rohingya-Flüchtlingslagern in Bangladesch arbeitet, vom darauffolgenden Freitag gibt an, dass ihre Helfer in den Tagen nach dem Angriff ungewöhnlich viele Rohingya mit Kriegsverletzungen behandelt hätten, die aus Myanmar nach Bangladesch geflohen seien.

Zwischen den Fronten

Die DW konnte mit Zainul Mustafa, Muhamad Husein und Umar Farok nach Vermittlung der Kölner Stiftung Asienhauses sprechen. Alle drei leben in Deutschland, haben aber Verwandte im Konfliktgebiet, mit denen sie über das Mobilfunknetz in Bangladesch in Verbindung stehen. Sie sprechen als Rohingya für sich und gehören keiner Organisation an.

Farok berichtet, dass er bei Kämpfen zwischen dem 4. und 6. August insgesamt 17 Angehörige verloren habe. Zwei Überlebende hätten es nach Bangladesch geschafft.

Husein erklärt, die größten Probleme seien die Zwangsrekrutierungen und die Verschleppung von Rohingyas, der Versorgungsmangel und die Blockade aller Hilfslieferungen.

"Die Menschen leben auf der Straße. Sie dürfen nicht in ihre Häuser, oder diese sind zerstört. Die Gemeinschaft ist von Hunger betroffen. Die Mehrheit hat nicht einmal eine Mahlzeit pro Tag. Um zu überleben, essen sie Bananenblätter."

Mustafa, Husein und Farok machen die Arakan Army (AA) nicht nur für die Attacke vom 5. August, sondern auch für die katastrophale Lage insgesamt verantwortlich.

Die Konfliktparteien

Die Arakan Army (AA) ist eine Rebellenarmee im Kampf gegen den "State Administrative Council" (SAC) Sie ist der militärische Arm der United League of Arakan (ULA), also der politischen Organisation der buddhistischen Rakhine.

Diese stellen im Rakhine-Staat die Bevölkerungsmehrheit, nicht aber in den Townships Buthidaung und Maungdaw. Das erklärte Ziel der ULA/AA ist es, im Rakhine-Staat eine autonome Region zu schaffen, die neben den buddhistischen Rakhine die muslimische Bevölkerung einschließt. 

Die AA weist in einer Stellungnahme vom 7. August jede Verantwortung für den Angriff zurück. Stattdessen kritisiert sie das myanmarische Militär und "extremistische muslimische Gruppen", die nicht nur gegen die AA kämpften, sondern auch Zivilisten an der Flucht aus den Kampfgebieten hinderten.

Namentlich genannt sind Rohingya-Milizen wie die Arakhan Rohingya Salvation Army (ARSA), die Rohingya Solidarity Organization (RSO) und die 2020 gegründete Arakan Rohingya Army (ARA).

Im Mai 2024 wurden nach Kämpfen zwischen dem myanmarischen Militär und der AA ganze Dörfer und Stadtteile niedergebrannt. Das Bild stammt aus dem Minbya Township. Nach Angaben der UN verloren mehr als 100.000 Menschen ihr ZuhauseBild: AFP

Die Gruppen würden seit der gewaltsamen Vertreibung von etwa 750.000 Rohingya nach Bangladesch durch das myanmarische Militär 2017 unter anderem von den Geheimdiensten Bangladeschs unterstützt, berichtete das International Institute for Strategic Studies (IISS) im Dezember 2023.

Bangladesch will mit ihrer Hilfe die Repatriierung der Rohingya nach Myanmar forcieren. Mustafa, Husein und Farok, betonen, dass diese Gruppen die Rohingya nicht repräsentierten.

Die bewaffneten Rohingya-Gruppen arbeiten inzwischen sogar auch mit dem myanmarischen Militär, dem State Administrative Council (SAC) zusammen. Zuletzt dokumentierte ein umfangreicher Bericht von Human Rights Watch, dass Rohingya-Netzwerke bis zu 1.800 Rohingya in den Flüchtlingslagern in Bangladesch zwangsrekrutiert und nach Myanmar geschmuggelt hätten, damit diese dort für das SAC gegen die AA kämpfen.  

Teile und herrsche

Das SAC ist die dritte Konfliktpartei im Rakhine-Staat. Es stürzte Myanmar mit seinem Putsch von 2021 in eine neue Phase des Bürgerkriegs.

Seit Oktober 2023 ist der SAC in verschiedenen Landesteilen auf dem Rückzug. Die AA, die nicht nur im Rakhine, sondern in ganz Nordmyanmar aktiv ist, ist einer der stärksten und am besten vernetzten Gegner des SAC. 

Da das SAC gegen die AA in die Defensive geraten ist, setzt es auf die Strategie "Teile und Herrsche". Mit dieser Strategie "hält das Militär seit 1948 die ethnischen Gruppen im Streit und Konflikt, um sie zu regieren", sagt Historiker Jacques Leider.

Der Dozent an der École française d'Extrême-Orient (EFEO) erklärt im Gespräch mit der DW. Das SAC zwangsrekrutiere – auch mit Hilfe der Rohingya-Milizen – Rohingya und schicke diese gegen die AA, um so den Konflikt anzuheizen.

Das Grenzgebiet zwischen Myanmar und Bangladesch. Jenseits des Flusses liegt MaungdawBild: Mohammad Ponir Hossain/REUTERS

Paul Greenings, ehemaliger Koordinator für die Internationale Organisation für Migration (IOM) in Rakhine, warnte in einem Meinungsbeitrag für die myanmarische Exil-Zeitung Irrawaddy bereits im März 2023: "Das Militärregime spielt im Rakhine-Staat wieder die ethnische Karte aus, und viele Rakhine und Rohingya fallen wieder darauf herein." 

Not und Misstrauen

In dem von Not und jahrzehntealtem Misstrauen geprägten Konflikt werden Äußerungen oft als Manipulation gedeutet. Twan Mrat Naing, dem Kommandanten der AA, erklärte im Mai auf X: "Unsere engagierten Arakhan-Soldaten haben sich dem Schutz und dem Dienst an allen Menschen verschrieben, unabhängig von ihrem religiösen oder ethnischen Hintergrund."

Dass er aber an anderer Stelle statt von Rohingya von "Bengalis" spricht, werten viele Rohingya als Indiz dafür, dass die AA ein anderes Ziel verfolgt.

Wer "Bengalis" sagt, spräche den Rohingya die Zugehörigkeit zum Rakhine-Staat ab. Zainul sagte, dass die Worte und Taten der AA grundsätzlich nicht zusammenpassten.

"Sie [die AA, Anm. d. Red.] haben die Stadt Buthidaung niedergebrannt. Ihre Haltung gegenüber den Rohingya ist die gleiche wie die des myanmarischen Militärs, oder sogar schlimmer. Ihr Ziel ist es, die Rohingya auszulöschen und den Rakhine-Staat zu einem Staat ausschließlich für die Rakhine zu machen."

Zurückhaltung statt Spekulationen

Leider hält diese Einschätzung für falsch und verweist auf andere Teile des Rakhine-Staates unter Kontrolle der AA, in der Rohingya und andere muslimische Minderheiten mit den Rakhine zusammenleben.

Auch Greenings schrieb im Juni 2024: "Es ist wichtig sich daran zu erinnern, dass die Mehrheit der Rakhine und Rohingya friedlich miteinander handeln und leben."

Leider sagt: "Was in Maungdaw und Buthidaung passiert, ist vor allem die Folge einer unübersichtlichen Kriegssituation." Das erkläre, entschuldige aber natürlich nicht die Gewalt gegen die Zivilbevölkerung.

Er warnt aber davor, den ohnehin starken buddhistischen und muslimischen Ethnonationalismus durch Spekulationen und gegenseitige Anschuldigungen zu befeuern und damit letztlich die Strategie des SACs.

Wer bestimmt die Zukunft Myanmars?

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