Myanmars "Krieg gegen den Terror"
1. September 2017"Das Land steht unter Beschuss", Städte sind "gefallen", "Terroristen" mit Verbindungen ins Ausland wollten einen "islamischen Staat" aufbauen: Myanmars Regierungsmedien und die sozialen Netzwerke sind angekommen im Kampf gegen den Terror. Einem Terror, von dem manche sagen, er sei herangezüchtet worden. Seit Jahrzehnten wird die muslimische Minderheit der Rohingya in Myanmar unterdrückt. Die Generäle der ehemaligen Militärdiktatur haben ihnen nach und nach die Staatsbürgerschaft aberkannt und sie so zur größten staatenlosen Gemeinschaft der Welt gemacht. Im Teilstaat Rakhine müssen sie ihr Dasein seit Jahren in abgeriegelten Lagern und Dörfern fristen.
Als im Oktober 2016 erstmals eine Gruppe militanter Rohingya auf den Plan trat und Grenzschutzposten angriff, war das für Beobachter keine Überraschung. Ein knappes Jahr später, am vergangenen Freitag, schlug die "Arakan Rohingya Salvation Army" (ARSA) erneut zu und griff in einer konzertierten Aktion über zwanzig Polizeiposten an. "Die Wendung der Ereignisse ist bedauerlich. Aber sie war voraussagbar und hätte verhindert werden können", sagte dazu der Hochkommissar für Menschenrechte bei den Vereinten Nationen, Zeid Ra'ad Al Hussein.
"Befreiungsarmee" in wessen Namen?
Fast 40.000 Rohingya sind laut UN binnen einer Woche nach Bangladesch geflohen. Das Militär spricht von fast 400 Toten: 13 Sicherheitskräfte, zwei Beamte, 14 Zivilisten und 370 Aufständische. Myanmars Regierung unterstellte ARSA wenige Stunden nach dem ersten Angriff bereits Verbindungen zu internationalen Terrororganisationen.
laut Recherchen der International Crisis Group (ICG) hat die ARSA finanzielle Verbindungen nach Saudi Arabien. In Pakistan und Afghanistan sollen ihr Anführer Ata Ullah und andere Mitglieder der Gruppe Kampferfahrung gesammelt haben.
ARSA distanziert sich allerdings von Terrorgruppen wie dem IS. "Unser Hauptziel ist, die Rohingya aus der unmenschlichen Unterdrückung Myanmars zu befreien", sagte Ata Ullah in einem Youtube-Video, das ihn umringt von vermummten jungen Männern, die ihre Gewehre kampfbereit vor der Brust halten, in einem Dschungel-Versteck zeigt. Verbreitet wurde das Video über den Nachrichtendienst Twitter, der in Myanmar so gut wie ausschließlich von ausländischen Journalisten genutzt wird.
Militär und Aufständische haben sich seit vergangenem Oktober in einer gefährlichen Spirale von Provokation und Reaktion verfangen. Den Preis zahlen vor allem die Zivilisten. Die DW sprach nach den Angriffen mit Rohingya. Viele wussten nichts von ARSA und dem Kampf, den die Gruppe in ihrem Namen führt.
Die Attacke im Oktober zog eine brutale Sicherheitsoperation des burmesischen Militärs nach sich, die mindestens 80.000 Rohingya über die Grenze nach Bangladesch vertrieb. Sie flohen vor Vergewaltigung, Erniedrigung, Schüssen und Mord durch Soldaten des burmesischen Militärs. Ein ungenannter Angehöriger des Militärs bestätigte indirekt die schlimmsten Befürchtungen von Menschenrechtsorganisationen, als er gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters über die Situation in Rakhine sagte: "Hier werden gerade alle zu Aufständischen, das ist eine regelrechte Revolution. Wir können nicht erkennen, wer zu den Aufständischen gehört und wer nicht."
Diskriminiert und ohne Chancen
Die Rohingya gelten in Myanmar als illegale Einwanderer aus Bangladesch und als lästige Lügner, die nichts anderes zu tun hätten als sich vor der internationalen Gemeinschaft zu Opfern zu stilisieren. Viel mehr, als auf die Lage ihrer Volksgruppe aufmerksam zu machen, bleibt ihnen auch nicht. Höhere Bildung, medizinische Versorgung und Jobs sind für Rohingya so gut wie unerreichbar.
Einer der es so weit gebracht hat, wie man es als Rohingya in einem Lager nur bringen kann, ist Abu Rehan. Er kam 1992 als Fünfjähriger nach Bangladesch. Nicht erst seit vergangenem Herbst vertreiben Militäroperationen die Minderheit aus Myanmar, und so leben inzwischen fast eine halbe Million Rohingya in Flüchtlingslagern in Bangladesch. Am Strand von Cox's Bazar bestellt der 30-jährige, ernste Mine und schon etwas schütteres Haar, sich im Restaurant eines bengalischen Freundes einen Kaffee. Nur die allerwenigsten in den Camps können sich das leisten.
Abu Rehan, der eigentlich anders heißt, war zwölf, als er sich erklären ließ, wie man Rikschas baut. Von seinem Verdienst als Fahrer bezahlte er sich Englischunterricht. Heute arbeitet er als Lehrer, Übersetzer und im Sommer im Tourismusbüro von Cox's Bazar. Er hat sich mehrfach für das Umsiedlungsprogramm der UN beworben. Beim zweiten Anlauf, er hatte sogar schon Kleider für das neue Leben der Familie in Australien gekauft, ließ die Regierung von Bangladesch das Programm aus Angst vor immer mehr Flüchtlingen kurzfristig einstellen. An den Namen seiner Betreuerin beim Hilfswerk kann er sich heute noch erinnern.
Abu Rehan will viel vom Leben. Doch weil er Rohingya ist, darf er nicht. "Das ist so frustrierend, dass ich es gar nicht beschreiben kann", sagt er. Indien hat angekündigt Rohingya-Flüchtlinge ausweisen zu wollen, unter anderem, weil sie potentielle Rekruten für Terror-Organisationen wären. Auch Bangladesch will sich keine Neuankömmlinge mehr aufbürden. Abu Rehan kümmert sich um die, die es trotzdem über die Grenze geschafft haben. "Jeder, der hier ankommt, hat ein totes Familienmitglied zu beklagen", erzählt er.
Suu Kyis fatales Schweigen
Myanmar wurde angegriffen und muss darauf reagieren. Allerdings hätte die Regierung von Staatsrätin Aung San Suu Kyi laut und deutlich zu Mäßigung auf beiden Seiten aufrufen können. Stattdessen bedient sie sich einer Rhetorik, die gegen die gesamte Volksgruppe der Rohingya aufwiegelt und dem Militär so einen Freifahrschein für Menschenrechtsverletzungen ausstellt, zum Entsetzen ehemaliger ausländischer Bewunderer der Friedensnobelpreisträgerin.
Während Suu Kyi lange Zeit von Diplomaten, Menschenrechtlern und Journalisten in einem absurden Personenkult wie eine Heilige hochgehalten wurde, steht sie jetzt international wegen ihres Krisenmanagements am Pranger.
Was Aung San Suu Kyi über die Rohingya denkt, kann nur vermutet werden. Sie hält weiter ihren Diskurs von Freiheit und Demokratie eisern aufrecht, ohne die Dinge jemals wirklich beim Namen zu nennen. Gehören die Rohingya für sie zu Myanmar und stehen ihnen deshalb Frieden, Menschenrechte und Zukunftsperspektiven zu, oder nicht? Schweigt sie, um die Versöhnung mit dem Militär nicht zu gefährden, über das sie verfassungsgemäß keine Kontrolle hat?
Polarisierung im Innern und Abwehrhaltung nach außen
Fest steht: Das Krisenmanagement der Regierung treibt nur einen noch größeren Keil zwischen Buddhisten und Muslime, allen voran den Rohingya, zwischen denen traditionell ein angespanntes Verhältnis besteht. Das Land ist polarisiert. Abgeschnittene Köpfe, verkohlte Leichen: Ob wahr oder nicht, die Bilder, die von beiden Seiten in den sozialen Netzwerken geteilt werden, werden von Tag zu Tag grausamer. Am laufenden Band kündigen Menschen einander auf Facebook die Freundschaft. Die Stimmung ist aufgeladen und vergiftet.
Und dann gibt es noch den Graben zwischen den Bürgern Myanmars und der internationalen Gemeinschaft. Nachrichten, Vergewaltigungen und Satellitenbilder von brennenden Dörfern werden von der Regierung mit dem Label "Fake" versehen. Umso mehr Aufmerksamkeit wird in den Staatsmedien dafür Kekspackungen des World Food Program beigemessen, die in einem Lager der Aufständischen gefunden wurden.
Außerdem wären mit Rohren und Düngemittel aus Beständen von Hilfsorganisationen Sprengsätze angefertigt worden. Es werde untersucht, ob Mitarbeiter solcher Gruppen - seit Monaten stellen sie unter erschwerten Bedingungen das Überleben unterernährter Kinder in der Krisenzone sicher - an der Seite der Aufständischen in die Belagerung eines Dorfes involviert gewesen seien, so ein Militärsprecher vor Diplomaten und Journalisten. "Absurd" sei das, sagte der US Botschafter.
Versöhnungsprojekte derzeit undenkbar
Gefangen in der Polarisierung ist auch Yadana, eine junge Buddhistin, die sich wohler fühlt, wenn ihr echter Name nicht veröffentlicht wird. Sie hat früher in der Krisenzone Workshops organisiert, die Muslime und Buddhisten zusammenbringen sollen. Damit tat sie, was eine Kommission unter dem Vorsitz von Ex-UN-Generalsekretär Kofi Annan zum Ende ihrer einjährigen Mission der Regierung empfohlen hatte: Bildung fördern und den Menschen in Rakhine, egal ob Rohingya oder Buddhisten, dabei helfen, ihre Vorurteile zu überwinden. Die Kurse wurden nach dem jüngsten Ausbruch der Gewalt ausgesetzt. "Es ist momentan besser, wenn man uns nicht zusammen mit den Muslimen sieht", sagt sie.