Vom Prestigeobjekt zum Pleitefall
19. Juli 2012Viel Prominenz aus Politik, Wirtschaft und Motorsport war zum Feiern in die Eifel gekommen, als am 9. Juli 2009 die neue Erlebniswelt am Nürburgring mit großem Pomp eröffnet wurde. In nur zwei Jahren Bauzeit war in der abgelegenen Region im nördlichen Rheinland-Pfalz ein imposanter Gebäudekomplex aus dem Boden gestampft worden. Neben einer neuen Haupttribüne waren eine Flaniermeile, zwei Hotels, eine Ferienhausanlage sowie Restaurants entstanden. Dazu eine Großraumdisco, eine Spielbank und eine Halle für Großveranstaltungen.
Auch der frühere Formel-1-Rennfahrer Hans-Joachim Stuck war beeindruckt: "Ich finde das toll. Gerade die Eifel, die von der Struktur etwas schwächer entwickelt ist, wird sicher davon profitieren", so Struck damals im Interview mit der Deutschen Welle. "Eine mutige Entscheidung. Und wir wollen hoffen, dass es sich auszahlt."
Mehr als ein Mekka des Motorsports
Auf dem Nürburgring, 60 Kilometer von Bonn entfernt, werden seit 1927 Rennen gefahren. Formel-1-Legende Jackie Stewart prägte für die kurvenreiche Berg- und Talbahn einst den Ausdruck "Grüne Hölle". Der Eifelkurs war Schauplatz hunderter spannender Rennen und auch tragischer Unfälle. Als Niki Lauda beim Grand Prix 1976 auf der Nordschleife verunglückte und mit schwersten Verbrennungen dem Tod nur knapp entkam, blieb das nicht ohne Folgen. Der 21 Kilometer lange Rundkurs war für die "Königsklasse" des Automobilsports nicht mehr sicher genug. Es entstand eine fünf Kilometer lange Grand-Prix-Strecke, die 1984 in Betrieb genommen wurde.
Ab Mitte der 1990er Jahre sorgte der Hype um Michael Schuhmacher und die damit verbundene Renaissance des deutschen Motorsports für neuen Schwung. Diverse Umbauten an der Grand-Prix-Strecke machten den Ring zu einer der modernsten Rennstrecken Europas.
Doch schon zuvor hatte man erkannt, dass Motorsport nicht alles ist. Seit 1985 ist das Gelände auch ein Mekka für Musikfans. Zehntausende pilgern jedes Jahr im Sommer zum Festival "Rock am Ring". Dieses und weitere erfolgreiche Events abseits des Motorsports veranlassten die Verantwortlichen, neue Pläne zu schmieden, die 2004 im Projekt "Nürburgring 2009" mündeten.
Ambitionierte Zukunftspläne auf hölzernen Füßen
"Was wir Nürburgring 2009 nennen, ist eine konsequente Weiterentwicklung unserer Wachstumsstrategie", sagte der damalige Hauptgeschäftsführer der Nürburgring GmbH, Walter Kafitz, vor vier Jahren im DW-Interview. Das Gelände war bereits eine riesige Baustelle. 215 Millionen Euro waren veranschlagt. Private Investoren sollten 80 Millionen dazuschießen. Doch die Kosten explodierten und der avisierte Großinvestor tauchte nicht auf. Das Bundesland Rheinland-Pfalz, zu 90 Prozent Hauptanteilseigner, musste immer wieder mit Finanzspritzen einspringen, um das Projekt zu sichern.
Immerhin gelang es, der Landesregierung eine private Betreibergesellschaft für den Betrieb am Nürburgring zu gewinnen. Sie sollte die Attraktionen des Freizeitkomplexes bündeln und effizienter betreiben. Doch die Besucher blieben aus. Die Folge: Entlassungen und Schließung des Freizeitparks in den Wintermonaten. Außerdem konnten die Pächter die Miete nicht zahlen. Um den kriselnden Ring wieder flott zu machen, wurde der Vertrag mit Betreibern im Februar 2012 gekündigt.
Gebrochene Versprechen und enttäuschte Hoffnungen
Am 18. Juli 2012 hat nun der vorläufig letzte Akt im Drama um den Nürburgring begonnen: Die EU-Kommission in Brüssel verweigerte dem Land Rheinland-Pfalz die schnelle Genehmigung einer dringend nötigen Finanzspritze von 13 Millionen Euro. Die klamme Nürburgring GmbH benötigt das Geld, um ein weiteres halbes Jahr über die Runden kommen. Da bereits zum Monatsende die Zahlungsunfähigkeit droht, hat das Kabinett von Ministerpräsident Kurt Beck in Mainz jetzt die Reißleine gezogen: Insolvenz.
Für Beck selbst ist das ein politisches Fiasko. Mit dem ehrgeizigen Millionen-Projekt wollte sich der ehrgeizige SPD-Politiker ein Denkmal setzen. Immer wieder hatte er öffentlich beteuert, es werde dem Steuerzahler keinen Cent kosten. Ein Versprechen, dessen Einlösung er nun ebenso schuldig bleibt, wie das eines wirtschaftlichen Aufschwungs in der strukturschwachen Region. Immerhin sollten 500 zusätzliche Arbeitsplätze direkt am Ring und weitere rund 2500 im Umfeld geschaffen werden.
Für die rund um den Nürburgring lebenden Menschen - seit Jahren an schlechte Nachrichten gewohnt - ist die neueste Hiobsbotschaft ein Schock. "Ganz Nürburg lebt vom Ring. Da geht jetzt vielleicht die ganze Region den Bach runter", sagt Bürgermeister Reinhold Schüssler in einer ersten Stellungnahme der Regionalzeitung "Trierischer Volksfreund". Angst macht sich breit. Die Inhaberin eines Hotels: "Ich lebe zu 100 Prozent vom Ring. Wir haben immer nur Publikum von der Rennstrecke zu Gast gehabt. Ich kann in meinem Alter nicht mehr auf Wellnesshotel umsteigen." Und ein Tankstellenbesitzer am Ring meint: "Wenn da irgendein reicher Russe kommt, das Ding mietet und es als Hobby ansieht, bin ich in drei Monaten nicht mehr hier."
Manfred Sattler, Chef der Industrie- und Handelkammer Koblenz und Amateur-Rennfahrer, hat trotz allem noch Hoffung: "Nach den Jahren mit den derzeitigen Betreibern hat der Nürburgring verdient, dass Profis ans Werk gehen und den Motorsport wieder in den Vordergrund stellen."
Die Rückbesinnung auf den Motorsport fordert auch "Save the Ring". Die Interessensgemeinschaft aus Rennteams, Touristenfahrern, Vereinen und Unternehmen hatte sich vehement gegen den Ausbau der Rennstrecke in eine Art "Nürodisney" eingesetzt. Trotz des Totalschadens am Nürburgring, deutet sich an, dass die Boliden weiter ihren Runden in der Eifel drehen werden. Formel-1-Chef Bernie Ecclestone hat bereits Interesse für 2013 signalisiert. Ebenso ist der Veranstalter von "Rock am Ring“ an einer Weiterführung des Festivals interessiert. Er geht davon aus, dass ein künftiger Macher am Ring dies auch so sieht. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.