Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat an die große Bedeutung der Nürnberger Prozesse nach dem Zweiten Weltkrieg erinnert. Sie hätten die Grundlage für ein Weltrechtsprinzip gelegt, um Kriegsverbrechen zu ahnden.
Festakt in Coronazeiten: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier neben seiner Frau Elke Büdenbender, in gehörigem Abstand dazu Markus Söder, Regierungschef von BayernBild: Daniel Karmann/dpa/picture alliance
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Bei dem Festakt, genau 75 Jahre nach Prozessauftakt, sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, "der Hauptkriegsverbrecherprozess in Nürnberg war eine Revolution. Er schrieb nicht nur Rechtsgeschichte, er schrieb Weltgeschichte". Die Prozesse, in denen sich mit führenden Nationalsozialisten erstmals in der Geschichte Vertreter eines Unrechtsregimes vor Gericht verantworten mussten, hätten die Grundlage für ein Weltrechtsprinzip gelegt, nach dem Kriegsverbrechen und schwerste Menschenrechtsverbrechen "nirgendwo auf der Welt ungesühnt bleiben".
Weiterhin Anfechtungen für internationale Strafgerichtsbarkeit
"Das Völkerrecht war bis zur Eröffnung des Prozesses vor 75 Jahren eine Angelegenheit von Staaten, nicht von Individuen", sagte Steinmeier weiter. Damit habe dieser den Grundstein für ein universales Völkerstrafrecht und eine internationale Strafgerichtsbarkeit geschaffen. "Ohne den Hauptkriegsverbrecherprozess in Nürnberg gäbe es den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag heute nicht".
Die internationale Strafgerichtsbarkeit sei aber in den vergangenen zwei Jahrzehnten immer häufiger Anfechtungen ausgesetzt gewesen, sagte Steinmeier weiter. Die Vereinigten Staaten und Russland seien dem Internationalen Strafgerichtshof ebenso wie China, Indien und andere Staaten nicht beigetreten. Die USA, die maßgeblich zum Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg beigetragen hätten, hätten zuletzt "aktiv gegen das Haager Gericht gearbeitet". Er vertraue aber darauf, dass die Vereinigten Staaten nun zurückkehrten "zu einer Zusammenarbeit, die auch den Wert internationaler Strafgerichtsbarkeit anerkennt".
Krieg ist "eine Form des Wahnsinns"
Benjamin Ferencz, der ehemalige Chefankläger im sogenannten Einsatzgruppenprozess, einem der zwölf Nachfolgeprozesse im Rahmen der Nürnberger Prozesse, appellierte in seiner Botschaft an die Menschen, Krieg als Mittel zur Beilegung von Streitigkeiten zu ächten. Kriege bezeichnete der 100-Jährige als "eine Form des Wahnsinns". Die Welt sei verrückt, "ich werde nicht mehr lange leben. Sie müssen sich dieser Realität stellen. Tun Sie, was in Ihrer Macht steht", sagte der amerikanische Jurist. Ferencz ist der letzte noch lebende Chefankläger aller damaligen Prozesse.
Die damaligen Siegermächte USA, Russland, Frankreich und Großbritannien schickten zum Jahrestag Grußbotschaften. Wegen der Corona-Krise fand die Veranstaltung am Freitagabend in Nürnberg ohne Publikum statt, sie wurde im Internet übertragen.
Bei den Nürnberger Prozessen (1945-1949) standen erstmals in der Weltgeschichte führende Repräsentanten eines Staates für ihre Verbrechen vor einem internationalen Gericht. Damals stellten die alliierten Siegermächte 21 ranghohe Nazi-Kriegsverbrecher, darunter Adolf Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß und Reichsmarschall Hermann Göring, vor ein Gericht. Der Prozess endete nach fast einem Jahr mit zwölf Todesurteilen. Bis April 1949 trat im Nürnberger Justizgebäude dann ein amerikanischer Militärgerichtshof zusammen, um in zwölf Nachfolgeprozessen über weitere NS-Verbrechen zu urteilen.
qu/uh (dpa, epd)
Nazis vor Gericht
Vor 75 Jahren mussten sich führende Nationalsozialisten vor dem alliierten Nürnberger Kriegsverbrechertribunal verantworten. Der Prozess offenbarte das ganze Ausmaß der NS-Schreckensherrschaft.
Sie waren Parteifunktionäre, Militärs, Verwaltungsbeamte, Diplomaten oder Industrielle. Alle hatten dem Hitler-Regime gedient. Am 20. November 1945 begann der Prozess gegen 21 Angeklagte vor dem Gericht der Alliierten, das eigens dafür geschaffen worden war, um die Taten des Nationalsozialismus aufzuarbeiten.
Nach Ansicht der Sowjetunion sollten die Prozesse in Berlin stattfinden. Doch im Gegensatz zu den Bauten dort war der Nürnberger Justizpalast im Krieg nur wenig zerstört worden und bot viel Platz. Außerdem war hier ein Gefängnis angeschlossen. Nürnberg als Schauplatz der NSDAP-Reichsparteitage hatte darüber hinaus symbolische Bedeutung.
Bild: picture-alliance/dpa/D. Kalker
Franz von Papen – Hitlers Wegbereiter
Als Vizekanzler wollte von Papen (M.) Hitler in einer Koalitionsregierung mit nationalkonservativen Kräften zähmen. Doch er wurde bald kaltgestellt und spielte später als Diplomat nur noch eine Nebenrolle. In Nürnberg erhielt er einen Freispruch. In einem Entnazifizierungsverfahren wurde er später als "Hauptschuldiger" eingestuft und zu acht Jahren Arbeitslager verurteilt, kam aber 1949 frei.
Bild: picture-alliance/dpa
Hermann Göring – der "Reichsmarschall"
Er war der ranghöchste Nationalsozialist auf der Anklagebank. Göring hatte unter Hitler viele Ämter angehäuft. Entsprechend groß war seine Verantwortung. Trotzdem wollte er nichts von Konzentrationslagern gewusst haben. Göring wurde in allen Anklagepunkten für schuldig gesprochen und zum Tode verurteilt. Am Vorabend der Vollstreckung setzte er seinem Leben durch eine Zyankalikapsel ein Ende.
Bild: dpa
Rudolf Heß – der Stellvertreter
Er erhob kritiklose Gefolgschaft Hitlers zur Tugend und wurde von ihm zum Stellvertreter in der Parteiführung ernannt. 1941 flog er, offenbar auf eigene Faust, nach Schottland und versuchte vergeblich, die britische Regierung für einen Frieden zu gewinnen. Heß wurde in Nürnberg zu lebenslanger Haft verurteilt. 1987 nahm er sich mit 93 Jahren im alliierten Militärgefängnis in Spandau das Leben.
Bild: Getty Images/Central Press
Hans Frank – der "Schlächter von Polen"
Als Generalgouverneur im besetzten Polen betrieb Frank die hemmungslose Ausbeutung des Landes. Er war für die Ermordung hunderttausender Polen als auch Juden verantwortlich. Der kunstsinnige Frank sagte 1939 über die Juden: "Je mehr sterben, desto besser." Angesichts des Galgens wandte sich Frank zum Katholizismus und sagte zum Todesurteil: "Ich verdiene und erwarte es."
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Joachim von Ribbentrop – der Außenminister
An Ribbentrop wurde deutlich, dass auch das Auswärtige Amt - ebenso wie die Wehrmacht – nicht "sauber" war, sondern tief verstrickt in die Verbrechen des Regimes. Die Auslandsvertretungen arbeiteten zum Beispiel bei der Ermordung der Juden eng mit SS und anderen Organisationen zusammen. Ribbentrop zeigte in Nürnberg keinerlei Reue. Er wurde als erster der zum Tode Verurteilten hingerichtet.
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Albert Speer – Hitlers Lieblingsarchitekt
Speer (2. v. l.) war der maßgebliche Architekt des Nationalsozialismus. Hitler war begeistert von seinen Monumentalbauten. Das Tribunal interessierte dagegen Speers Rolle als Rüstungsminister. Er entging knapp der Todesstrafe, weil er wesentliche Teile seines Handelns, etwa beim Ausbau der Konzentrationslager, verschleiern konnte und weil er sich als irregeleiteter Idealist darstellte.
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Gustav Krupp von Bohlen und Halbach – der Rüstungsmagnat
Der Diplomat (r.) war durch die Heirat mit der Krupp-Erbin Bertha zum Großindustriellen geworden. Hitler stand er anfangs distanziert gegenüber, ließ sich jedoch wegen der Rolle des Stahlkonzerns für die Rüstung bald ganz auf ihn ein. Krupp beschäftigte zeitweise rund 100.000 Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge. Durch seinen schlechten Gesundheitszustand wurde das Verfahren gegen ihn aber eingestellt.
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Karl Dönitz – der letzte "Reichspräsident"
Als Chef der Kriegsmarine gab Dönitz (M. mit Hitler und Mussolini) geradezu selbstmörderische Durchhalteparolen an die U-Boot-Besatzungen aus. Hitler hat ihn kurz vor seinem Selbstmord noch zum "Reichspräsidenten" ernannt. Dönitz blieb nach zehnjähriger Haft bis zum Ende seines Lebens überzeugter Nationalsozialist, stellte sich aber gleichzeitig als unpolitischen Berufsoffizier dar.