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Kirche rehabilitiert homosexuellen Pfarrer

2. September 2020

1943 lässt die evangelische Kirche den Pfarrer Friedrich Klein fallen, den die NS-Justiz wegen homosexueller Handlungen verurteilt hatte. Lange nach seinem Tod wird er jetzt in der Berliner Immanuelkirche rehabilitiert.

Deutschland Immanuelkirche Berlin
Die Kirche ist an diesem Abend so voll besetzt, wie es die Corona-Vorschriften zulassenBild: DW/C. Strack

An diesem Septemberabend in der Berliner Immanuelkirche geht es zunächst nur um einen einzelnen evangelischen Pfarrer. "Der Entzug der Ordinationsrechte von Pfarrer Friedrich Klein am 20. Januar 1943 durch das Konsistorium wird als Unrecht anerkannt und für nichtig erklärt", sagt der evangelische Berliner Bischof Christian Stäblein. Und seine Worte zeigen: Es geht um viel mehr als nur einen einzelnen Pfarrer. Es geht um ein Schuldeingeständnis nach mehr als 75 Jahren und um ein Versprechen für die Zukunft.

Pfarrer Friedrich Klein war homosexuell. Das Reichskriegsgericht verurteilte ihn im Jahr 1942 wegen homosexueller Handlungen. Die evangelische Kirche, in der viele stramme Mitläufer des damaligen Systems waren, ließ ihn einige Monate später fallen. Im Spätsommer 1944 verliert sich, irgendwo im Osten, die Spur des Geistlichen.

Erste Rehabilitation bundesweit

Anfang September 2020, mehr als 75 Jahre später, steht Friedrich Klein in der Kirche im Berliner Prenzlauer Berg nun im Mittelpunkt. Als bundesweit erste evangelische Landeskirche rehabilitiert Berlin einen NS-verfolgten homosexuellen Pfarrer. Wie viele weitere Schicksale wie die von Pfarrer Klein es gibt, weiß bislang niemand. 

Der dunkle Kirchenbau knapp drei Kilometer östlich des Reichstagsgebäudes, eines der wenigen im Zweiten Weltkrieg (1939-45) kaum beschädigten Gotteshäuser der Stadt, erzählt von jener Zeit. Vieles ist heute noch so wie zu Zeiten, in denen Pfarrer Klein hier predigte. Es wurde nie renoviert und kaum gemalert.

Ein Zufallsfund

Im Jahr 2018 beging die Kirchengemeinde das 125-jährige Bestehen der Immanuelkirche. Vor dem Jubiläum schaute der heutige Gemeindepfarrer Mark Pockrandt alte Akten durch. Dabei stieß er auf das Schicksal von Friedrich Klein, von dem es bislang nicht mal ein Foto gibt.

Am Beispiel dieser Gemeinde wird so vieles deutlich von der evangelischen Kirche in der NS-Zeit. Der 1905 in Homburg an der Saar geborene Klein war selbst seit Juni 1933 Mitglied der NSDAP, der Partei Hitlers. Wohl deswegen entschieden sich die Verantwortlichen der Berliner Immanuelkirchen-Gemeinde für ihn. Denn die Gemeinde war nationalsozialistisch durchsetzt. Sie wurde geprägt von den NS-treuen "Deutschen Christen". Und zur Geistlichkeit gehörten Parteimitglieder und Judenhasser.

Klein wechselte nach Berlin, in dieses nazibraune Kirchenmilieu. Doch er entfremdete sich davon. Als Geistlicher an der Immanuelkirche wirkte ab 1937 Johannes Schwartzkopf (1889-1968) - kein Nazi, sondern jemand, der sich in der NS-Zeit für Verfolgte einsetzte. Seit dem Jubiläumsjahr 2018 erinnert eine Gedenktafel vor der Kirche an dieses Engagement. Und Friedrich Klein, so berichtet der heutige Pfarrer Pockrandt, habe Schwartzkopf bei diesem Engagement unterstützt.

Aus der Haft an die Front und in den Tod

Bis Kleins homosexuelles Handeln auffiel. Die Nazis verurteilten ihn. Die Kirche ließ ihn fallen. Klein trat seine Haft im Wehrmachtsgefängnis Torgau an der Elbe an. Im Juli 1944 wurde die Strafe zur Bewährung im Fronteinsatz ausgesetzt. Und Fronteinsatz, das hieß: an vorderster Front. Vermutlich ist er schon wenige Tage später im Raum Leningrad ums Leben gekommen.

Seit 2018 erinnert eine Gedenktafel an Pfarrer Johannes Schwartzkopf und seine Hilfe für verfolgte in der Nazi-ZeitBild: DW/C. Strack

Klein litt und starb letztlich, weil er homosexuell war. "Durch diese Unrechtbehandlung ist viel Leid über Menschen gekommen, die anders lebten und liebten und die auf schreckliche Weise diskriminiert wurden", sagt Bischof Stäblein. Er sagt es bei dieser abendlichen Feier ganz förmlich. Und er betont es als Versprechen, dass seine Landeskirche anderen Fällen nachgehen will. Und nie mehr zu solchem Unrecht schweigen wolle.

"Weiter aufarbeiten"

"Die Landeskirche", erläutert deren Beauftragte für Erinnerungskultur, Marion Gardei, wolle die "Rehabilitierung aller homosexuellen Opfer weiterverfolgen". Sie wolle weiter aufarbeiten und forschen, eine theologische Erklärung vorbereiten, auch eine Anlaufstelle für die Gegenwart einrichten. Und es mag sein, dass es auch um Fälle aus der frühen Bundesrepublik geht. Denn der Paragraph 175 des deutschen Strafgesetzbuches, den die Nazis 1935 verschärft hatten, wurde erst 1994 abgeschafft.   

Die Immanuelkirche ist zur Feier der Rehabilitierung von Friedrich Klein so voll besetzt, wie es die Vorschriften angesichts der Corona-Pandemie zulassen. Achtzig, neunzig Gäste sind da, darunter viele ältere Homosexuelle. Leute wie Lothar Dönitz, der seit langem jenem evangelischen Gesprächskreis Homosexualität angehört, der auf die Rehabilitierung Kleins drängte.

Lothar Dönitz gehört jenem Gesprächskreis an, der sich für die Rehabilitierung Kleins einsetzteBild: DW/C. Strack

"Ich kann nur sagen: Ich bin tief bewegt über die Worte des Bischofs. Ich bin ihm dankbar", sagt Dönitz durch seine von den Regenbogen-Farben geprägten Schutzmaske. Stäblein sei "ja der erste Bischof einer evangelischen Kirche, der diese Worte gefunden hat". Mehr, sagt Dönitz, könne er im Moment nicht mehr sagen. Vor lauter Rührung.

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