Montenegro: Lynchstimmung gegen Bürger der Türkei
28. Oktober 2025
Die montenegrinische Polizei hat einen Staatsbürger Aserbaidschans und einen der Türkei festgenommen, die verdächtigt werden am Samstagabend (25.10.2025) in Montenegros Hauptstadt Podgorica einen 25-jährigen Mann schwer verletzt zu haben. Nach der Festnahme versammelten sich empörte Bürger des Westbalkanlandes und skandierten "Töte die Türken!".
Zeitgleich wurde im Zentrum von Podgorica eine Bar demoliert, deren Pächter türkischer Staatsbürger ist. Das Fahrzeug einer türkischen Firma wurde in Brand gesteckt. Einen Tag später (26.10.2025) zogen Gruppen junger Männer durch Viertel, in denen Migranten Geschäfte und Restaurants haben, und skandierten "Türken raus!".
Noch am Samstagabend kündigte Ministerpräsident Milojko Spajic die Aufhebung der Visumsfreiheit für türkische Staatsbürger an. In Montenegro leben derzeit rund 14.000 türkische Staatsbürger. Insgesamt leben derzeit bis zu 100.000 Ausländer in dem 630.000-Einwohnerland.
Kritik aus Regierungskoalition und vom Präsidenten
Kritik an der Reaktion des Regierungschefs kam von der Partei der muslimisch-bosniakischen Minderheit in Montenegro. Deren Vorsitzender, Außenminister Ervin Ibrahimovic, sowie die Parteien der albanischen Minderheit, die ebenfalls an Montenegros derzeitiger Regierung beteiligt sind, nannten Spajics Reaktion "übereilt" und warnten, diese könnten die Beziehungen ihres Landes zur Türkei gefährden.
Auch Montenegros Präsident Jakov Milatovic kritisierte die Einführung der Visapflicht: "Die Regierung hat die mögliche Gegenreaktion der Türkei nicht berücksichtigt", erklärte das Büro des Staatsoberhauptes gegenüber der DW. Die Maßnahme gefährde montenegrinische Staatsbürger, die in der Türkei leben oder sich dort medizinisch behandeln lassen oder über den Flughafen Istanbul reisen. Auch die wirtschaftliche Zusammenarbeit könnten von Gegenmaßnahmen der türkischen Regierung betroffen sein.
NGOs warnen vor Fremdenfeindlichkeit und Hassrede
Für die Geschäftsführerin der montenegrinischen NGO Human Rights Action, Tea Gorjanc-Prelevic, ist die Aufhebung der Visumsfreiheit für türkische Staatsbürger "ein übereilter Schritt ohne vorherige Analyse der möglichen Folgen". Die Maßnahme sei einzig durch die Reaktion eines Teils der Öffentlichkeit nach dem Vorfall vom Samstag motiviert. "Wie erklärt die Regierung, dass nur die Visafreiheit für die Bürger der Türkei aufgehoben wurde - und nicht für Bürger Aserbaidschans?", fragt Gorjanc-Prelevic gegenüber der DW.
Der Vorfall vom Samstag dürfte auf keinen Fall zu einer kollektiven Verurteilung und Diskriminierung aller Mitglieder der türkischen Nation führen, warnt Gorjanc-Prelevic. Hassrede, Anstiftung zur Gewalt und Zerstörung fremden Eigentums seien kriminelle Handlungen, alle dafür Verantwortlichen müssten strafrechtlich verfolgt werden.
Auch die montenegrinischen Bürgerrechtler Milena Popovic-Samardzic, Dina Bajramspahic und Jovana Marovic weisen darauf hin, dass der Hass gegenüber türkischen Bürgern und anderen Ausländern sowie die Eskalation der Gewalt auf den Straßen von Podgorica keine gerechtfertigte Reaktion auf den Vorfall vom Samstag sein können.
Innenminister kündigt restriktiveres Ausländergesetz an
Innenminister Danilo Saranovic kündigt derweil ein restriktiveres Ausländergesetz an, das demnächst im Parlament diskutiert werden solle. Es sieht strengere Bedingungen für den Aufenthalt und die Gründung von Unternehmen durch ausländische Staatsbürger in Montenegro vor. Die Polizei des Westbalkanlandes erklärte, Ausländer müssten mit Kontrollen rechnen. Auch Unternehmen in ausländischem Besitz würden umgehend gründlich überprüft.
Bisher allerdings haben all diese Maßnahmen und Ankündigungen nicht zur Beruhigung der Lage geführt. Für heute Abend sind neue Bürgerproteste in Podgorica angekündigt. Derweil hat die Regierung der Türkei Montenegro aufgefordert, türkische Bürger im Land zu schützen. Die montenegrinische Polizei hatte bereits gestern (27.11.2025) mehrere Personen festgenommen, die verdächtigt werden, Angriffe auf Türken geplant zu haben, die in Montenegro leben.
Unabhängig von dem Vorfall am vergangenen Samstag stehen sowohl die Türkei und Aserbaidschan auf der Liste der Länder, für die das EU-Kandidatenland Montenegro Visa einführen muss, um sich den Visaregeln der Europäischen Union anzupassen. Bisher wurde die liberale Visapolitik Podgoricas mit den Interessen des montenegrinischen Tourismus begründet - doch Brüssel weist schon länger darauf hin, dass wirtschaftliche Gründe die Verpflichtungen, die sich aus dem EU-Beitrittsprozess für Montenegro ergeben, nicht aufwiegen können.
Hinweis der Redaktion: In Montenegro leben derzeit rund 14.000 türkische Staatsbürger und nicht 13.000. Dies wurde korrigiert.