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KonflikteLibanon

Libanon: Die humanitäre Hilfe reicht nicht

Jennifer Holleis | Sara Hteit
13. Oktober 2024

Während Israels Angriffe auf Ziele im Libanon tut dessen Regierung wenig für die Flüchtlinge. Private Initiativen helfen - aber ihre Mittel sind schnell erschöpft. Zudem stockt die internationale Unterstützung.

Menschen stehen um einen Metalltisch in einer Großküche und schütten Nahrungsmittel aus einem Topf in eine flache Form
Freiwillige in einer Gemeinschaftsküche bereiten Mahlzeiten für Geflüchtete vorBild: ANWAR AMRO/AFP

Rund drei Wochen nach Beginn der israelischen Luftangriffe auf Ziele im Libanon organisieren immer mehr engagierte Bürgerinnen und Bürger selbst humanitäre Hilfe.

"Ich habe mich einer örtlichen Initiative angeschlossen, und wir verteilen Spenden an verschiedene Notunterkünfte und Schulen", erzählt Rayan Chaya der DW. Der 27-jährige Maschinenbauingenieur in Aley, gut 20 Kilometer südöstlich von Beirut, hat Datenbanken mit Orten angelegt, an denen man umsonst wohnen und essen kann. Er hat auch einen Rollstuhl für eine Familie beschafft, die ihren auf der Flucht zurücklassen musste. "Wir stecken in einer Krise, und wenn wir uns nicht gegenseitig helfen, wer wird es dann tun?", fragt er. "Die Regierung unternimmt fast nichts."

Das bestätigt Heiko Wimmen. Er ist Projektleiter für den Libanon bei der International Crisis Group, einer Nichtregierungsorganisation für Konfliktprävention. "Das Maß der humanitären Unterstützung für die Bevölkerung entspricht dem, was man erwarten würde von einem Staat, dessen politische Strukturen nicht wirklich funktionieren."

Jahre der politischen Instabilität in Kombination mit der anhaltenden ökonomischen Krise haben den Libanon an den Rand des Zusammenbruchs gebracht. Die katastrophale Lage wurde Ende September noch verschärft, als Israel nach einem Jahr begrenzter Gefechte mit weitreichenden Luftangriffen auf die Hisbollah-Miliz begann. Die Hisbollah wird von den USA, Deutschland und mehreren sunnitischen arabischen Staaten als Terrororganisation eingestuft. Sie wird vom Iran unterstützt. Die EU listet den bewaffneten Flügel der Hisbollah als Terrorgruppe.

Seitdem sind bei israelischen Angriffen mehrere Hisbollah-Führer und - nach Angaben des libanesischen Gesundheitsministeriums - mehr als 2000 libanesische Zivilisten getötet worden. Rund 608.000 Menschen sind Binnenflüchtlinge, so die jüngste Zahl von OCHA (UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs), der für humanitäre Hilfe zuständigen UN-Organisation. Nach Angaben libanesischer Behörden ist die Zahl doppelt so hoch.

Leerstehende Wohnungen werden besetzt

Derweil hat die libanesische Übergangsregierung landesweit 973 Notunterkünfte in öffentlichen Gebäuden eingerichtet. Die zur Verfügung stehenden 180.000 Plätze wurden schnell von Menschen besetzt, die verzweifelt nach einer Bleibe suchten.

"Die Zahl der Notunterkünfte entspricht nicht der Zahl der benötigten Plätze", sagt Heiko Wimmen. "Ich befürchte, dass Hausbesetzer immer öfter sowohl verlassene Wohnungen als auch unbewohnte Luxusapartments übernehmen werden." Einer Studie der Amerikanischen Universität in Beirut zufolge sind 31 Prozent der Immobilien in Beirut als Investitionsobjekte gekauft worden.

Libanesinnen und Libanesen, die irgendwelche Verbindungen zum einflussreichen politischen Arm der Hisbollah haben, ziehen vermehrt in diese Wohnungen ein. Einige der Parteien, die mit der Hisbollah verbunden sind und seit Jahren "deren Drecksarbeit machen", so Wimmen, haben Häuser für Flüchtlinge geöffnet - etwa die Amal und die Syrische Soziale Nationalistische Partei im Libanon.

Essen, Kleidung und gute Worte

Die libanesische Polizei will die besetzten Gebäude nur räumen, wenn es geeignete Alternativen gibt. Das erklärte ein libanesischer Polizeisprecher der US-amerikanischen Tageszeitung "Washington Post".

Moscheen, Kirchen, Bars und viele Privatleute geben ihr Bestes, um zu helfen, sagt Anna Fleischer, Leiterin des Beiruter Regionalbüros der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung.

"In meiner Moschee ist kein Platz, um Familien zu beherbergen. Aber die Zahl der Betenden hat enorm zugenommen, und wir bieten Essen, medizinische Dienste und Unterstützung an", berichtet Scheich Mohammed Abu Zaid der DW. Er ist Imam in der größten Moschee in Saida, einer Stadt 45 Kilometer südlich von Beirut.

Sally Halawi, die den Secondhandladen Circuit in Beirut betreibt, hat sich ebenfalls entschieden, Geflüchtete zu unterstützen. "Ich hatte das Gefühl, ich müsse etwas tun, um zu helfen", erzählt sie. Sie spendete die Kleidung aus ihrem Geschäft für Menschen, die ihr Hab und Gut zurücklassen mussten. Auf Instagram warb sie für mehr Spenden.

"Das Mindeste, was ich für meine Leute tun kann": Sally Halawi sortiert Spenden in ihrem SecondhandladenBild: privat

"Viele Leute haben reagiert", sagt Halawi. Jeden Morgen sammelt sie Spenden, sortiert nach Geschlecht und Größe. Jeden Abend bringt sie die Spenden in eine zur Notunterkunft umfunktionierten Schule. "Bisher haben wir mehr als 30.000 Kleidungsstücke gesammelt", so die 35-Jährige. "Und so zermürbend und stressig das auch ist, so ist es doch das Mindeste, was ich für meine Leute tun kann. Und ich finde, es ist noch immer nicht genug."

Humanitäre Hilfe - jetzt auch von der EU

Derweil läuft die internationale humanitäre Hilfe für die libanesische Bevölkerung an. Die Europäische Union hat mehrere Versorgungsflüge nach Beirut auf den Weg gebracht mit Hygieneartikeln, Decken, Arzneimitteln und medizinischen Gütern an Bord. EU-Staaten wie Belgien, Frankreich, Spanien, Polen und die Slowakei haben ebenfalls Hilfe geschickt. 

Anfang der Woche hatte der libanesische Gesundheitsminister Firass Abiad 40 Tonnen Hilfsgüter aus den Vereinigten Arabischen Emiraten in Empfang genommen. 

Gleichzeitig betonen Beobachter, dass der Umgang mit der humanitären Krise im Libanon auch von politischen Interessen geleitet ist. "Die regierende Elite im Libanon versucht, ihre Vorherrschaft dadurch zu erhalten, dass sie internationale Spender ebenso wie Sponsoren aus dem Westen und vom Arabischen Golf hofiert", sagt der unabhängige Analyst Lorenzo Trombetta in Beirut.

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Die ersten, die humanitäre Hilfe zusagten, waren Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate. Allerdings, so Trombetta, hat Katar über Jahre die politische Führungsriege der Hamas beheimatet und ist einer der Hauptunterhändler für einen Waffenstillstand in Gaza. Die Hamas ist eine militante, islamistische, palästinensische Gruppe. Die Europäische Union, ebenso wie die USA, Deutschland und weitere Länder stufen die Hamas als Terrororganisation ein.

Und die Vereinigten Arabischen Emirate, erklärt Trombetta weiter, unterstützten die Allianz mit den USA und arbeiten mit den israelischen Streitkräften im Technologiesektor zusammen - und sendeten gleichzeitig Hilfe nach Beirut. Das Ziel der Emirate sei, so glaubt er, "größeren politischen Einfluss im Libanon auszuüben und ihre Präsenz im östlichen Mittelmeerraum zu stärken".

Der Nahostexperte befürchtet auch, dass die libanesische politische Elite die Bedürfnisse der Bevölkerung bald nicht mehr als Priorität behandeln wird: "In naher Zukunft wird das Hauptaugenmerk auf das Management der Wiederaufbaumittel verlagert." Es sei aber existentiell, Wiederaufbauhilfen ebenso wie grundlegende Dienst- und Sozialleistungen ausschließlich an die libanesische Bevölkerung zu verteilen.

Gleichzeitig scheinen die Unterstützungsbemühungen zu stocken. Der Aufruf der UN für umgerechnet knapp 390 Millionen Euro Hilfe für die libanesische Zivilgesellschaft hat bisher nur etwas mehr als 48 Millionen Euro eingebracht.

Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.

Jennifer Holleis Redakteurin und Analystin mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika.
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