Nach Anschlag in Magdeburg: Angriffe auf Migranten
Veröffentlicht 23. Dezember 2024Zuletzt aktualisiert 24. Dezember 2024Noch ist unklar, welches Motiv der Täter von Magdeburg für seine tödliche Fahrt über einen Weihnachtsmarkt hatte. Sicher ist nur: Er ist saudi-arabischer Staatsbürger und sitzt derzeit in Untersuchungshaft. Aber bereits seit kurz nach der Tat hat die rechtsextreme Szene in Deutschland begonnen, gegen Migrantinnen und Migranten zu hetzen.
"Noch nie habe ich so eine feindliche und bedrohliche Stimmung erlebt", erzählt ein Studierender der Fahrzeugtechnik in Magdeburg. Das berichtet die Fachstelle für Gewaltprävention "Salam" in Sachsen-Anhalt. Der Verein beobachtet eine deutliche Zunahme von Vorfällen gegen Menschen, die von Rechtsextremisten als Ausländer markiert werden.
Schubsen, bespucken, beleidigen
"Vermeintliche Migrantinnen und Migranten werden auf der Straße als 'Terroristen', 'Verbrecher' und 'Pack' beschimpft, teils geschubst und bespuckt", heißt es in dem Bericht von "Salam".
Die Bedrohung gehe soweit, dass sich migrantische Communities in WhatsApp-Gruppen und auf Facebook gegenseitig warnen und Menschen dazu raten, die Öffentlichkeit zu meiden.
Dass der Täter möglicherweise selbst eher eine islamfeindliche und rechtsextreme Einstellung habe, sei eine Paradoxie an der Situation, sagte der Radikalismusforscher Hans Goldenbaum von "Salam" im Mitteldeutschen Rundfunk. "Da zeigt sich die Wirkmacht dieses rechtsextremen Diskurses und wie abgedichtet er gegen die Realität ist."
Bundesweite Mobilisierung von Rechtsextremisten
Seit dem Anschlag am vergangenen Freitag mobilisieren bundesweit rechtsextreme und neonazistische Parteien, Vereine und Einzelpersonen. Sie fordern die massenhafte Abschiebung von Menschen aus Deutschland. Bei einer rechtsextremen Demonstration in Magdeburg am vergangenen Sonntag versammelten sich hunderte Neonazis. Dabei kam es auch zu Angriffen auf Journalisten.
Einer der Redner auf der Veranstaltung ist Thorsten Heise. Der Neonazi-Funktionär ist mehrfach vorbestraft. Er hatte versucht, einen Flüchtling mit seinem Auto zu überfahren. Videos von der Veranstaltung zeigen, wie Heise die Teilnehmer dazu aufruft, Vereine, Feuerwehren und Behörden zu unterwandern.
Journalisten und Beobachter berichten, dass die Teilnehmer daraufhin "Deutschland erwache!" brüllten. Der Ausspruch war die Losung der Nationalsozialisten unter Adolf Hitler. Seine Verwendung ist in Deutschland strafbar.
Wahlkampf in Trauerzeiten
Am Montag nach dem Anschlag veranstaltet die in Teilen rechtsextreme Alternative für Deutschland eine Großkundgebung in Magdeburg. Tausende Menschen folgen dem Aufruf. Es ist eine Versammlung von Parteispitze, Bürgern, jungen Menschen und zahlreichen Rechtsextremisten aus der Magdeburger Hooliganszene. An Vermummung, Tätowierungen und Szenekleidung sind sie gut zu erkennen. Die breite Masse hat mit ihnen keine Probleme.
Während der Rede von AfD-Parteichefin Alice Weidel ruft die Menge immer wieder "Abschieben, abschieben, abschieben". Nach der insgesamt ruhigen Veranstaltung ziehen junge Teilnehmerinnen und Teilnehmer durch die Straßen. Sie greifen Fotografen an, grölen rechtsextreme Parolen und suchen das Kräftemessen mit den begleitenden Polizeieinheiten. Sie feixen, höhnen. Von Trauer keine Spur.
Warnung vor Instrumentalisierung
Der Magdeburger Rechtsextremismusexperte David Begrich vom Verein Miteinander e.V. rechnet mit einer weiteren politischen Instrumentalisierung des Anschlags.
Im Gespräch mit der DW kritisiert Begrich Veranstaltungen wie die der AfD scharf. Kurz nach dem Anschlag mit fünf Toten und rund 200 Verletzten müssten die Opfer und die Betroffenen im Mittelpunkt stehen. "Ich erlebe, dass große Fassungslosigkeit und Schockstarre in Magdeburg herrschen. Dieser Anschlag hat der Stadt eine tiefe Wunde geschlagen. Das geht auch in die persönliche Betroffenheit: auch Kollegen meiner Frau sind unter den Verletzten."
Solange noch Menschen im Krankenhaus mit den Folgen des Anschlags kämpften, verbiete sich jede Instrumentalisierung, so Begrich."Das Schicksal der Opfer muss jetzt im Mittelpunkt stehen. Die Aufarbeitung kommt danach. Die Stadtgesellschaft will keine Instrumentalisierung."
Trotz aller Falschmeldungen, Gerüchte und Instrumentalisierungsversuche der folgenschweren Tat in den Sozialen Medien, erlebt David Begrich seine Stadt Magdeburg als ehrlich betroffen: "Die Stadt rückt zusammen".
Dieser Artikel vom 23.12.2024 wurde am Vormittag des 24.12.2024 aktualisiert.