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Nach Ansturm auf Kreta: Griechenland verschärft Asylpolitik

Sofia Kleftaki (aus Athen)
11. Juli 2025

Griechenlands größte Insel Kreta sieht sich mit einer massiven Flüchtlingswelle konfrontiert. Libyen will damit Druck auf die EU ausüben. Die griechische Regierung plant harte und rechtsstaatlich zweifelhafte Maßnahmen.

Ein Frachtschiff in einem Hafen am Meer, auf dem viele Menschen zu sehen sind
Geflüchtete werden am 10.07.2025 von Kreta in den Hafen Lavrio bei Athen gebrachtBild: Aristidis Vafeiadakis/ZUMA/IMAGO

Während sich Griechenland inmitten der touristischen Hochsaison befindet, steigt die Zahl der Geflüchteten, die über das Mittelmeer aus Libyen kommen. Am stärksten betroffen ist zur Zeit die Südküste Kretas sowie die kleine Insel Gavdos - der südlichste Punkt Griechenlands. Dort wächst der Druck durch die täglich steigenden Flüchtlingszahlen auf der Route von Libyen, das rund 350 Kilometer südlich liegt. Allein in dieser Woche kamen auf Kreta und auf Gavdos rund 1500 Geflüchtete an oder wurden von der griechischen Küstenwache auf dem Meer vor Kreta aufgegriffen.

Die örtlichen Behörden zeigen sich von der Entwicklung überfordert. Hunderte Menschen harren in der prallen Sonne in den Häfen Kretas aus - in Chania, Rethymnon und Heraklion. In den vergangenen Tagen wurden rund 500 Menschen zum Hafen von Lavrio im Osten Athens gebracht.

Als Reaktion auf die aktuelle Lage hat die griechische Regierung unter Premier Kyriakos Mitsotakis eine umstrittene Gesetzesänderung durchgesetzt: Für mindestens drei Monate sollen Asylanträge von Geflüchteten, die über Libyen und den Seeweg nach Griechenland kommen, nicht mehr bearbeitet werden. Auf Kreta soll zudem ein neues Lager entstehen.

Festnahme von Geflüchteten

Der verabschiedete Gesetzesentwurf sieht vor, dass Geflüchtete aus Nordafrika auf Kreta zunächst festgenommen werden, ohne unmittelbaren Zugang zu einem Asylverfahren zu haben. Nach einer Frist von drei Monaten ist eine beschleunigte Abschiebung geplant. Diese Regelung steht allerdings im Widerspruch zu internationalen und europäischen Rechtsgrundlagen wie der Europäischen Menschenrechtskonvention, der EU-Grundrechtecharta sowie auch zur griechischen Rechtsordnung - sie alle garantieren das Recht auf ein faires Asylverfahren.

Geflüchtete in Griechenland erhalten Wasser und Essen, nachdem sie am 10.07.2025 von Kreta in den Hafen von Lavrio bei Athen gebracht worden sind, Bild: Aris Messinis/AFP

Manche griechische Experten bezweifeln die Vereinbarkeit des Gesetzes mit den bisher geltenden Normen und glauben, dass es auf europäischer Ebene Verfahren gegen Griechenland geben könnte. Zudem stellen sich Fragen zur praktischen Umsetzbarkeit und dem zeitlichen Rahmen dieser Regelung - etwa, ab wann Asylverfahren ausgesetzt und wo und vor allem unter welchen Bedingungen Geflüchtete, die Griechenland erreichen, untergebracht werden. 

Ablenkung von anderen Problemen 

Nach der sprunghaft gestiegenen Zahl von Neuankünften sieht sich die griechische Regierung mit einem erhöhten öffentlichen und politischen Druck konfrontiert, die Krisensituation zu bewältigen. Die Gesetzesänderung kann als Reaktion auf diesen Druck verstanden werden. Dabei sollen die neuen Bestimmungen Geflüchtete möglicherweise nicht nur abschrecken. Es geht wohl auch darum, von anderen innenpolitischen Problemen abzulenken.

Seit Ende Juni 2025 beispielsweise macht eine Affäre um illegal erhaltene EU-Agrarsubventionen Schlagzeilen. Auch das Zugunglück von Tempi, dessen Ursache zwei Jahre nach dem Unglück immer noch nicht aufgeklärt ist, beschäftigt die Öffentlichkeit weiterhin. Die Änderungen in der Asylpolitik werden nun mit der herrschenden Ausnahmesituation begründet, die aus Sicht der Regierung eine schnelle und entschlossene Reaktion erfordert. Viele Experten gehen aber davon aus, dass die Maßnahmen vor Gericht kaum Bestand haben werden.

Kleine Insel mit wenigen Ressourcen 

Etwa ein Fünftel der Geflüchteten erreicht die EU über die kleine Insel Gavdos, knapp 35 km südlich von Kreta im Libyschen Meer. Die Insel verfügt nur über begrenzte infrastrukturelle Ressourcen wie ausreichende Unterbringungsmöglichkeiten für Geflüchtete. Die Wasservorräte sind knapp und werden vor allem für die lokale Bevölkerung sowie Touristen bereitgestellt, die jetzt in der Sommersaison kommen. Die Gemeindeverwaltung ist personell unterbesetzt, zudem ist die Insel nur per Fähre von Kreta aus erreichbar.

Flüchtlinge gehen nach ihrer Ankunft am 10.07.2025 im Hafen von Lavrio bei Athen zum AufnahmezentrumBild: Petros Giannakouris/AP/picture alliance

Die Versorgung der Geflüchteten erfolgt daher in minimalem Umfang, mit dem Ziel, diese möglichst zeitnah weiterzuleiten. Finanzielle und logistische Unterstützung erhält Gavdos vom griechischen Migrationsministerium und durch die temporäre Stationierung von Frontex-Schiffen, die bei Seenotfällen in der Region eingreifen.

Widerstand in Griechenland

Eine vollständige Aussetzung der Asylprüfung gab es in Griechenland bislang nur während der Corona-Pandemie und in Ausnahmefällen am Fluss Evros, der im Nordosten Griechenlands die Grenze zur Türkei bildet. Die nun geplanten Maßnahmen haben einen stark repressiven Charakter und werfen sehr ernste Fragen nach Wahrung rechtsstaatlicher Prinzipien auf. Besonders umstritten sind Rückführungen in unsichere Herkunfts- oder Transitländer, die gegen internationale Schutzstandards verstoßen können und humanitäre Risiken bergen.

Innerhalb Griechenlands gibt es auch aus anderen Gründen Widerstand gegen das neue Gesetz - vielen geht es offenbar nicht weit genug. Lokale Proteste erschweren den Aufbau oder die Erweiterung von Aufnahmezentren für Geflüchtete. In den meisten Parteien, darunter selbst in der regierenden Nea Dimokratia des Premiers Mitsotakis, regt sich ebenfalls Widerstand gegen den Bau von Aufnahmezentren auf Kreta. Auch die griechische Tourismusbranche befürchtet einen negativen Einfluss auf das Image der beliebten Urlaubsinsel. Gemeinsam ist den Protesten, dass sie eine Aufnahme von Geflüchteten auf Kreta ablehnen - gleichzeitig aber offen lassen, was mit den ankommenden Menschen geschehen soll.

EU-Delegation ausgewiesen 

Die EU-Kommission ist über die Gesetzesänderung informiert und hat Verständnis für die Belastungen an den griechischen EU-Außengrenzen geäußert. Öffentliche Kritik aus Brüssel ist sehr verhalten. Zumal es im Hintergrund der jüngsten Flüchtlingswelle auch um Geopolitik geht: Der in Ost- und Südlibyen herrschende General Khalifa Haftar will mit der Entsendung von Flüchtlingen nach Griechenland offenbar den Druck auf die EU erhöhen, sein Regime anzuerkennen. Verhandlungen mit EU-Vertretern ließ er zu Anfang der Woche erst einmal scheitern - die Mitglieder einer EU-Delegation, darunter der österreichische EU-Kommissar Markus Brunner und Italiens Innenminister Matteo Piantedosi, wurden bei ihrer Ankunft in Bengasi zu unerwünschten Personen erklärt und umgehend ausgewiesen.