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Politik

Italien, das nächste Schlachtfeld der Populisten?

Elizabeth Schumacher
27. November 2016

Italiens Premier Renzi und seine Demokratische Partei wollen endlich die Blockade im Parlament auflösen. Scheitert das Referendum, tritt Renzi zurück. Populisten von links und rechts wittern bereits ihre Chance.

Italiens Premierminister Matteo Renzi (Foto: picture-alliance/dpa/T. Barchielli/Chigi's Palace)
Bild: picture-alliance/dpa/T. Barchielli/Chigi's Palace

Nach dem Brexit in Großbritannien und der Wahl von Donald Trump sehen viele in der Präsidentschaftswahl in Frankreich 2017 den nächsten Test für westliche Demokratien: Werden die Wähler das politische Establishment verschmähen und sich für den rechten Front National entscheiden? Tatsächlich könnte Italiens Verfassungsreferendum am 4. Dezember die zehn größten Wirtschaftsnationen erneut aufrütteln. Regierungschef Matteo Renzi erhofft sich von der Reform mehr Stabilität, weil Italien innerhalb von etwa 70 Jahren 63 Regierungen hatte.

Das bisherige System zweier gleichberechtigter Parlamentskammern soll abgeschafft werden. Vorgesehen ist, die Macht des Senates im Parlament zu beschneiden. Die Volksvertreter sollen Regierungen nicht mehr stürzen und Gesetzesvorhaben dauerhaft blockieren können. Der Regierung würde dann mehr Macht zukommen.

Renzis Hoffnung auf ein mehrheitliches "Ja" der Bevölkerung beim Bürgerentscheid ist groß. Italien hat innerhalb von 70 Jahren 63 Regierungen.

Gesetzgebung in der Zwickmühle

Mit insgesamt 951 Mitgliedern hat Italien das drittgrößte nationale Parlament der Welt. Eine große Zahl an Abgeordneten mag zwar grundsätzlich mehr der Idee einer repräsentativen Demokratie entsprechen, Italiens Parlament hemmt sie jedoch: Das bisherige System zweier gleichberechtigter Parlamentskammern führt dazu, dass die Gesetzgebung bis ins Unendliche hin- und her verzögert werden kann.

Vor allem kleinere Regionen wie das autonome Südtirol fürchten, dass sie in einem veränderten Parlamanentsystem kein Gehör mehr findenBild: Andreas Solaro/AFP/Getty Images

"Selbst wenn man ein Komma in einem Gesetzestext ändern willst, muss das von der anderen Kammer gebilligt werden", sagt Franco Pavoncello, Präsident und Politikwissenschaftler der John Cabot Universität in Rom im Gespräch mit der DW. "Italien kämpft damit bereits seit Jahrzehnten."

Oberflächlich betrachtet erscheint die Wahl simpel: Wähle "Ja", um die regierende bürgerliche Demokratische Partei (PD) zu unterstützen - oder wähle "Nein", um die Regierung daran zu hindern, ihre Macht zu festigen.

Premierminister Renzi hat im Falle eines "Neins" bereits seinen Rücktritt angekündigt. Damit verknüpft er den Ausgang des Bürgerentscheids mit der Unterstützung für sein Amt. Renzi sorgte zwar in den vergangenen Wochen für Verwirrung unter den Wählern als er zuerst zurückruderte, nur um dann seine Ankündigung erneut zu bekräftigen. Doch "die Wahrscheinlichkeit ist groß", schätzt Pavoncello, dass ein geschlagener Renzi sich nicht lange im Palazzo Chigi (Anm. d. Red.: Amtssitz des Ministerpräsidenten) halten könne. "Er hat die Verfassungsfrage in eine politische Frage umgewandelt - das ist recht unglücklich", sagt der Politologe.

Einsam an der Spitze

Aktuellen Umfragen zufolge liegen die Gegner des Referendums momentan in Führung. Die Erfolge des Brexit-Votums und der Trump-Wahl haben zwar gezeigt, dass Umfragen sich aber auch täuschen können. Fakt ist jedoch: Renzi wird von beiden Seiten bedrängt. Der rechte Flügel - unter Führung von Ex-Premier Silvio Berlusconi - stemmt sich gegen ihn und Gegenwind kommt auch von der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S), einer nebulösen links-populistischen Partei, die den Status quo bekämpfen will.

Vom Geschäftsmann zum Regierungschef: Berlusconi lässt seine Geschichte gerne mit dem Aufstieg von Donald Trump ins Weiße Haus vergleichenBild: Getty Images/M. Luzzani

"Strategisch gesehen war es falsch, das Referendum als persönliche Vertrauensfrage zu nutzen"; sagt Luca Verzichelli, der italienische Politik an der Universität von Siena lehrt. "Renzis Gegner kommen paradoxerweise auch aus seiner eigenen Partei."

"Das Mitte-Rechts-Lager, die radikale Linke, kleinere Parteien, selbst die Demokraten - alle sind gegen ihn", sagt Verzichelli. Sollte Renzi stürzen, müssten diese Gruppen dann den Scherbenhaufen auflesen. Denn sie seien nicht in der Lage, sich gemeinsam auf irgendetwas zu einigen, außer auf ihr "Nein". Sollten die Gegner gewinnen, sei ihr "Nein" ein teuer erkaufter Sieg. Denn die Opposition wisse längst, dass eine Reform der Verfassung unabdingbar ist. "Die Volksabstimmung ist eine einmalige Chance, etwas zu verändern", gibt der Politikwissenschaftler zu Bedenken.

Ein Blick auf die Opposition und die Fünf-Sterne-Bewegung zeigt: Beide, sowohl die M5S als auch das Berlusconi-Lager, lassen sich anhand ihrer Aussagen nicht auf eine eindeutige politische Ideologie festnageln. Das zeigt einmal mehr, wie komplex die momentane Debatte ist.

Virginia Raggi von der Fünf-Sterne-Bewegung wurde jüngst als erste Frau zur Bürgermeisterin von Rom gewähltBild: Getty Images/AFP/A. Solaro

So feierte Beppe Grillo, Sprecher und Star der euro-skeptischen Partei M5S, die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten auf seinem Blog. Er verkündete: "Journalisten und Intellektuelle des Establishments sind die wahren Idioten und Populisten (...)."

Silvio Berlusconi hingegen, der eigentlich für ein "Nein" wirbt, bezeichnete Renzi in einem Interview mit dem Rundfunksender "RTL Radio" als "einzigen politischen Führer", den Italien noch habe.

Der Angriff der Populisten in Italien sollte genauso sehr beunruhigen wie der in Großbritannien oder den USA, sagt Verzichelli. Er fürchtet Schneeballeffekte durch den Populismus von rechts und links. Er fürchtet, dass die Verfassungsänderung zu "einer neuen Periode wirtschaftlicher Unsicherheit" in Italien führen könnte. Schon jetzt machten die Schulden im Land bereits 135 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus.

Wer hat Angst vor ein bisschen mehr Instabilität?

Trotz des Vorsprungs des Nein-Lagers in den Umfragen ist momentan fast jeder vierte Italiener noch unentschieden.

Einer dieser unentschiedenen Wähler ist der 31-jährige Nicholas B. aus der Region Venetien im Nordosten Italiens. "Wenn ich jetzt wählen müsste, würde ich für "Nein" stimmen", sagte Nicholas B. im DW-Interview. Italiener stünden Innovationen und Veränderung skeptisch gegenüber. Auch er findet eigentlich, dass sich was ändern muss, dennoch, so Nicholas B., gehe es zu weit, den Senat so wenig mitbestimmen lassen zu wollen. Seiner Meinung nach bedrohten auch einige ökonomische Maßnahmen der EU in den letzten Jahren den Wohlstand Italiens.

Derweil kämpft Renzi auf einer Reihe von Kundgebungen mit verzweifelten Appellen um die Unentschiedenen. Er will sie für ein "Ja" gewinnen. Der Leiter seiner "Ja"-Kampagne ist übrigens kein geringerer als Jim Messina, der denselben Job für Barack Obama im Jahr 2012 machte.

"Renzis Lager hofft, dass die unschlüssigen Wähler sich für "Ja" entscheiden, weil sie verhindern wollen, dass die regierungs-unerfahrene Fünf-Sterne-Bewegung an die Macht kommt", sagt der Politikwissenschaftler Pavoncello.

Aber nach 63 verschiedenen Regierungen in 70 Jahren kann die Aussicht auf noch mehr Instabilität die Italiener wohl nicht so schnell aus der Fassung bringen.

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