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Nach dem Anschlag: Wie Magdeburgs Opfern geholfen wird

7. Januar 2025

Die Folgen des verheerenden Anschlags auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg werden Deutschland noch lange beschäftigen. Besonders die Opferhilfe steht vor großen Herausforderungen.

Man sieht die Körper zweier Menschen, die sich umarmt halten.
Trauer und Trost nach dem Anschlag: Einige Menschen merken erst spät, wie sie das Erlebte belastetBild: Matthias Bein/dpa/picture alliance

Nach dem Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt in der mitteldeutschen Stadt Magdeburg sitzt der Schock immer noch tief. Erst am Montag (6.1.2025) stieg die Zahl der Todesopfer auf sechs. Eine 52-jährige Frau erlag im Krankenhaus ihren Verletzungen. Kurz vor Weihnachten war ein 50-jähriger, aus Saudi-Arabien stammender Arzt mit einem Auto über den Weihnachtsmarkt gerast. Fünf Menschen kamen an diesem 20. Dezember ums Leben - ein neunjähriges Kind und vier Frauen. Die Behörden gehen von fast 300 Verletzten aus.

Magdeburg muss sich dem Schrecken stellen

Inmitten dieser Tragödie rückt die Opferhilfe immer mehr in den Fokus. Für viele Betroffene geht es nicht nur um körperliche, sondern um tiefgreifende seelische Wunden. Traumatherapie, Gesprächsangebote und Selbsthilfegruppen sollen ihnen einen sicheren Raum geben, um mit dem Erlebten umzugehen. Gerade in einer Stadt wie Magdeburg im Bundesland Sachsen-Anhalt, die mit solch einem Vorfall bislang nicht konfrontiert wurde, stehen Fachkräfte vor besonderen Herausforderungen. Sie müssen die vielfältigen schockartigen Eindrücke der Opfer kanalisieren helfen.

Unzählige Plüschtiere, Kerzen und Blumen liegen vor der Johanniskirche in Magdeburg zum Gedenken an die Opfer des AnschlagsBild: Heiko Rebsch/dpa/picture alliance

"Da sind die Bilder, die man gesehen hat. Die Geräusche des Autos, das auf einen zufährt. Die Gerüche. Man kann nicht schlafen. Man fragt sich, wie das Erlebte einzuordnen ist. Im Grunde ist das alles für jemanden erstmal undefinierbar. In der Opfer-Begleitung muss man versuchen, diese Gefühle aufzufangen", sagt der katholische Landespolizeipfarrer Sachsen-Anhalts, Marco Vogler, im DW-Gespräch. Dies sei eine große Herausforderung, zumal jeder Mensch anders betreut werden müsse und dafür das richtige Gegenüber brauche. Schließlich gehe es darum, die Gefühle auszusprechen, sie zuzulassen, um sie zu verarbeiten: Trauer, Wut, Empörung, Ängste.

Hilfsorganisation Weißer Ring will niemanden allein lassen

Die Opfer von Magdeburg unterstützt auch der "Weiße Ring". Der gemeinnützige Verein ist nach eigenen Angaben Deutschlands größte Hilfsorganisation für Opfer von Kriminalität und Gewalt. "Menschen haben Angehörige verloren, Menschen haben Schreckliches gesehen – so etwas sollte niemand mit sich allein ausmachen müssen“, erklärte Kerstin Godenrath, Landesvorsitzende des Weißen Rings in Sachsen-Anhalt, in einer Pressemitteilung.

Zwei Einsatzkräfte spenden sich Trost und umarmen sich am EinsatzortBild: Heiko Rebsch/dpa/picture alliance

Auf Anfrage schreibt sie der DW über ihre Erfahrungen mit den Opfern: "Die Betroffenen sind aktuell noch in Schockstarre und verzweifelt. Sie 'funktionieren' im Alltag lediglich. Sie leiden unter Schmerzen und der Vielzahl an Verletzungen und haben natürlich Angst vor bleibenden Schäden, ob sie ihren Beruf weiter ausüben können und welche Auswirkungen dieses schlimme Erlebnis auf ihre Zukunft hat." Betroffene fühlten sich oft allein gelassen; oftmals sei der Weiße Ring der erste Hilfskontakt. 

Eine der größten Herausforderungen sei der Umgang mit den Traumatisierungen. "An dieser Stelle bleibt zu hoffen, dass sich die Menschen psychotherapeutische Hilfe holen, die der Weiße Ring selbst nicht leisten kann. Jedoch lotsen wir auch durch das Hilfesystem", so Godenrath.

Dabei ist die Arbeit der Opferhilfe nicht nur in den ersten Tagen und Wochen von Bedeutung. Es könnte Monate, wenn nicht Jahre dauern, bis die Folgen des Anschlags verarbeitet sind. Außerdem ist der Umfang der psychologischen Betreuung bis jetzt noch immer nicht eindeutig klar. Der Magdeburger Weihnachtsmarkt war zum Zeitpunkt des Anschlags gut besucht, entsprechend viele Menschen sind Zeugen der Tat geworden, die später noch Hilfe benötigen könnten.  

Suche nach allen Opfern

"Was jetzt ansteht, ist natürlich, dass man alle Opfer findet oder dass sie sich melden", erklärt Marco Vogler, der neben seinen Amt als Landespolizeipfarrer als Bistumsbeauftragter auch für die Notfall- und Telefonseelsorge Sachsen-Anhalts zuständig ist. Oft sei es so, dass man in einer solch schlimmen Situation erstmal vom Ort des Geschehens wegwolle. "Man hat vielleicht bloß eine Schramme und merkt erst später, es ist doch mehr als diese Schramme. Das Erlebte hat innerlich etwas kaputt gemacht. Man war aber so in einem Film, dass Gefühle nicht hochkommen konnten."

Der Landespolizeipfarrer von Sachsen-Anhalt, Marco Vogler, spricht als Supervisor auch mit den Notfallseelsorgeteams über das ErlebteBild: privat

Vogler versucht, seine Gespräche in einem neutralen Umfeld zu führen. Allerdings könne es manchmal sinnvoll sein, gemeinsam mit einem Opfer den Ort des Schreckens aufzusuchen. "Zum Beispiel, wenn man in der Nachsorge nochmal über den Platz geht, auf dem der Weihnachtsmarkt aufgebaut war, um ihn zu entmystifizieren. So dass sich der Ort wieder normalisiert, er seine Aura verliert – auch wenn wohl immer ein Schatten auf ihm liegen wird."

Bundeopferbeauftragter gibt Betroffenen eine Stimme

Die bundesweite Hilfe für die Opfer des Anschlags von Magdeburg koordiniert der Bundeopferbeauftragte Roland Weber. Er wird vom Bundesministerium der Justiz unterstützt. Der Bundeopferbeauftragte ist zentraler Ansprechpartner für alle Betroffenen von extremistischen oder terroristischen Anschlägen im Inland. Das können Hinterbliebene, Verletzte, Tatzeugen, Ersthelfer und Besitzer von Geschäften oder Einrichtungen sein, die durch einen Anschlag zu Tatorten wurden.

Der Bundeopferbeauftragte kümmert sich um die Anliegen aller Betroffenen und vermittelt in Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden praktische, finanzielle und psychosoziale Hilfe. Zudem ist er die "politische Stimme" der Opfer und setzt sich in Politik und Öffentlichkeit für sie ein. 

In Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF) sagte Weber, dass er von weit mehr als 500 Betroffenen des Anschlags ausgehe. Wie Landespolizeipfarrer Vogler rechnet Weber damit, dass sich viele Betroffene erst Tage oder Wochen später bei den Behörden oder der Opferhilfe melden, wenn sie merkten, dass es ihnen psychisch schlecht geht. "Die andere Gruppe sind die Familien der Hinterbliebenen, die schwer betroffen sind. Aber auch Angehörige von Schwer- und Schwerstverletzten melden sich oftmals deutlich später. Sie brauchen aber auch Hilfe."

Aus dem Anschlag vom Berliner Breitscheidplatz gelernt

Weber wies im ZDF daraufhin, dass Betroffene Anspruch auf schnelle Hilfe hätten, damit sie Trauma-Ambulanzen nutzen können, "um schlimme posttraumatische Belastungsstörungen zu verhindern". Aus dem islamistisch motivierten Lastwagenanschlag auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz 2016 hätten die Behörden gelernt.

Damals sei sich viel zu spät um die Opfer gekümmert worden. Außerdem gab es "viel zu geringe Entschädigungsleistungen. Ausländische Betroffene hatten zum Teil keinen Anspruch. Daraufhin wurden die Gesetze dann rückwirkend verändert. Es ist eine Menge gemacht worden." Dennoch will Weber auch analysieren, was nach dem Anschlag von Magdeburg bei der Opferbetreuung schiefgelaufen ist.

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