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Politik

Droht ein Krieg der Richter?

Barbara Wesel
11. Mai 2020

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Kompetenzen der EZB schlägt weiter Wellen: Die EU-Kommission droht Deutschland mit einem Verfahren - und Berlin ist in der Zwickmühle. Eine Analyse von Barbara Wesel.

EU-Kommission in Brüssel
Die EU-Kommission droht mit einem Vertragsverletzungsverfahren gegen DeutschlandBild: picture-alliance/dpa/APA/R. Schlager

Die Entscheidung ist noch nicht getroffen, so stellte der Sprecher der EU-Kommission jetzt klar. Der juristische Dienst sei noch dabei, das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes auf seine Auswirkungen zu prüfen und erst dann werde das Kollegium in Brüssel beschließen, ob ein Vertragsverletzungsverfahren der richtige Weg sei, um den Konflikt zu lösen. Dieser war dadurch entstanden, dass das höchste deutsche Gericht mit seinem Urteil zum Anleihenkauf dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) widersprochen hatte - obwohl es diesem eigentlich untergeordnet ist. Für die nächsten Schritte könne man sich so viel Zeit lassen wie nötig, so der Sprecher weiter.

Zunächst ein Warnschuss

Das bedeutet eine gewisse verbale Abrüstung und mildert die Schockwelle, die am Sonntag durch die EU gegangen war: Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte nämlich zum Urteil aus Karlsruhe Stellung genommen: Man werde jetzt die nächsten Schritte prüfen, die auch die "Möglichkeit eines Vertragsverletzungsverfahrens" beinhalteten.

Kommissionspräsidentin Ursula von der LeyenBild: Getty Images/AP/K. Tribouillard

Es gehe um drei Grundprinzipien: Die Geldpolitik der EU liegt in der ausschließlichen Zuständigkeit der EZB, EU-Recht hat Vorrang vor nationalem Recht und die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes binden alle nationalen Gerichte. Um noch einen Satz wie ein Donnerkeil hinterher zu schleudern: "Das letzte Wort über europäisches Recht wird in Luxemburg gesprochen. Nirgends sonst." Jedenfalls nicht in Karlsruhe, machte die Kommissionspräsidentin damit mehr als deutlich.

Ursula von der Leyen steht unter dem Druck, gegenüber den Mitgliedsländern in Südeuropa ihre politische Unabhängigkeit zu beweisen. Sie wird stets verdächtigt, insgeheim von der Bundesregierung ferngesteuert zu werden. Mit ihrer sehr deutlichen Stellungnahme kann sie zeigen, dass sie ohne nationale Rücksichten ihre Aufgabe als "Hüterin der EU-Verträge" wahrnehmen will.

Die Richter des zweiten Senats am Bundesverfassungsgericht bei der Urteilsverkündung zum AnleihenkaufBild: picture-alliance/dpa/S. Gollnow

Die Frage ist also: Hat das Bundesverfassungsgericht EU-Recht verletzt, indem es das Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofes aus 2018 zu den Kompetenzen der Europäischen Zentralbank in ziemlich drastischer Form für "methodisch nicht vertretbar" beurteilte? Und kann ein Vertragsverletzungsverfahren in dem Fall überhaupt Abhilfe schaffen? Dessen Ziel wäre ja, dass ein Mitgliedsland sich wieder EU-konform verhält. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes aber ist nicht aus der Welt zu schaffen.  

Droht ein Krieg der Richter?

Ein Vertragsverletzungsverfahren endet zudem vor dem Europäischen Gerichtshof, wenn die beklagte Partei - hier also die Bundesregierung - den Vorwurf nicht vorher ausräumen kann. Das würde zu der einigermaßen absurden Situation führen, dass die obersten Richter in Luxemburg am Ende über sich selbst und ihr eigenes Urteil von 2018 entscheiden müssten. Auf der anderen Seite stünden die Bundesverfassungsrichter mit ihrer Behauptung, dass der EuGH seine Kompetenzen überschritten habe, als er der Europäischen Zentralbank mit ihren Anleihekäufen quasi einen juristischen Freibrief erteilte.

Das Gericht in Luxemburg holte bereits die Säbel aus dem Schrank. Nach einer kurzen Verdauungspause schrieb es am vergangenen Freitag in einer seltenen Stellungnahme, dass die Dienststellen des Gerichtshofs "Urteile nationaler Gerichte nicht kommentieren" - um es dann doch zu tun, wenn auch nur "ganz generell". Urteile, wie das aus Karlsruhe, gefährdeten die Einheit des EU-Rechts und die Rechtssicherheit in der Union, heißt es da. Eine Vorabentscheidung aus Luxemburg (wie in diesem Fall) sei für das nationale Gericht bindend. Nur der dortige Gerichtshof könne feststellen, ob ein EU-Organ wie die Europäische Zentralbank gegen europäisches Recht verstoße.

Im Zentrum des Richterstreits: Die Europäische ZentralbankBild: picture-alliance/dpa/A. Dedert

Das Problem ist hier, dass der Vorrang europäischen Rechts mit der Verfassung der Bundesrepublik zu kollidieren scheint. Oder dass zumindest die Richter in Karlsruhe das so sehen. Bisher wurde dieses Konstruktionsproblem damit gelöst, dass es zu einem sogenannten Dialog der obersten Richter kam, die Streitpunkte so lange hin und her reichen, bis es eine halbwegs zufriedenstellende Lösung gibt.

Nach dem Paukenschlag aus Karlsruhe aber könnte der Streit eher zu einem Krieg der obersten Richter ausarten - ein Szenario, das politisch höchst unerwünscht ist. Der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki freute sich am Wochenende bereits über dieses "wichtigste Urteil in der Geschichte der Europäischen Union". Gegen die PiS-Regierung in Warschau laufen vier Vertragsverletzungsverfahren - sie zieht jetzt den Schluss, dass die Mitgliedsstaaten selbst über die Auslegung von EU-Recht bestimmen könnten, und nicht der EuGH.

Bundesregierung in der Zwickmühle

Für die Bundesregierung war das Urteil aus Karlsruhe die falsche Entscheidung zum äußerst falschen Zeitpunkt. Berlin übernimmt ab 1. Juli die rotierende Ratspräsidentschaft der EU und muss dann die Maßnahmen zur Rettung der Wirtschaft nach der Corona-Krise koordinieren. Dazu gehört nicht nur ein EU-weiter Hilfsfonds, der über Schulden finanziert werden muss, sondern auch das Programm der EZB zum weiteren Ankauf von Staatsanleihen.

Die Bundeskanzlerin kommt durch den Streit in eine heikle Lage. Sie ist einerseits an Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes gebunden. Und sie will und kann andererseits nicht den Vorrang europäischen Rechts infrage stellen, auf der die Rechtssicherheit in der EU beruht. Angela Merkel aber hat kein politisches oder juristisches Schwert, mit dem sie diesen Knoten durchschlagen könnte. Die Hoffnung in Berlin kann nur dahin gehen, den Krach zu vermeiden.

Kann es in den nächsten drei Monaten also eine Stellungnahme der Europäischen Zentralbank - oder an ihrer Stelle vielleicht der Bundesbank geben - um die Bedenken des Bundesverfassungsgerichts zum Anleihekauf zufrieden zu stellen? Damit könnte weiterer politischer Schaden vermieden und der Streit EuGH vs. Bundesverfassungsgericht auf die Seiten juristischer Fachpublikationen verlagert werden.

Die Europäische Zentralbank hat bereits klargemacht, dass sie sich aus Karlsruhe nichts sagen lassen und mit dem Anleihekauf weitermachen will. Die deutsche Notenbankdirektorin Isabel Schnabel machte im Interview mit der italienischen Zeitung Le Repubblica deutlich, nur der EuGH könne über die EZB Recht sprechen. Die Positionen auf beiden Seiten des juristischen Grabens sind klar - jetzt müssen die Experten zur politischen Bombenentschärfung ans Werk.

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