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Wikileaks vor dem Aus?

Johanna Schmeller30. Mai 2012

Wikileaks-Gründer Julian Assange darf von Großbritannien wegen Vergewaltigungsverdacht nach Schweden ausgeliefert werden, so das Urteil des britischen Supreme Court. Steht die Plattform damit vor dem Aus?

Wikileaks-Logo auf einer Akte des Supreme Court in London. (Foto: Oliver Berg, dpa )
Bild: picture-alliance/dpa

Die einen wittern einen politisch motivierten Prozess, andere sehen das Urteil des Supreme Court als gerechte Strafe für den prominenten Angeklagten: Am Mittwoch (30.05.2012) entschied das höchste britische Gericht, dass Julian Assange nach Schweden ausgeliefert werden wird, wo er im Sommer 2010 zwei Frauen sexuell belästigt haben soll. Im November 2010 hatte die schwedische Staatsanwaltschaft einen Europäischen Haftbefehl erwirkt. Zudem ermittelt sie in einem weiteren Fall wegen Vergewaltigung gegen den 40-jährigen Wikileaks-Gründer.

"In zwei, drei Wochen muss Assange wohl seine Reise nach Schweden antreten", berichtet Andy Müller-Maguhn, Vorstandsmitglied der Wau-Holland-Stiftung, die die Gelder für Wikileaks verwaltet, im Gespräch mit der Deutschen Welle aus London.

Wikileaks-Gründer Julian Assange wird nach Schweden ausgeliefertBild: dapd

"Wikileaks ist am Ende"

Steht Wikileaks damit vor dem Aus? Bereits im Vorfeld des Prozesses entzündeten sich Kontroversen, wie eng die schillernde, zwielichtige Person Assanges mit seinem Produkt, der geheimnisumwitterten Enthüllungsplattform, verwoben ist. "Ohne Assange ist Wikileaks am Ende", meint der Medienwissenschaftler Markus Rhomberg.

Viele Nutzer seien in anonymisierten Kontexten wie im Internet besonders "bildfixiert", begründet er. "Menschen suchen nach Personen, die Missstände aufspüren. Auch die Hacker von Anonymous geben sich deshalb ein Gesicht: das des britischen Widerstandskämpfers Guy Fawkes, das sie als Maske tragen."

Markus Rhomberg, Junior-Professor an der Zeppelin-Universität FriedrichshafenBild: privat

"Julian Assange tritt auf wie ein Popstar und ist daher eine sehr wichtige Figur für seine Organisation", glaubt auch Carsten Görig, Autor des Buches "Julian Assange - der Mann, der die Welt veränderte".

Ein simples Konzept mit Breitenwirkung

Die Idee hinter Assanges Lebenswerk ist dagegen nicht neu: Kontrolle der Mächtigen durch die Masse. Konzipiert war Wikileaks - eine Namensschöpfung, die sich an die Online-Enzyklopedie Wikipedia und an das englische Wort für "Leck" anlehnt - ursprünglich als Plattform, die durch ein anonymes Informantennetzwerk gespeist wird. Brisante Dokumente sollten ungefiltert der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Der Informantenschutz wurde dafür garantiert.

Die Geburtsstunde des "Whistleblowers"

Mit Wikileaks kam so im Jahr 2006 auch ein weiterer Begriff auf: der des "Whistleblowers", also eine Person, die - wie es im Deutschen umgangssprachlich heißt - andere "verpfeift".

Einen beispiellosen Erfolg feierte die Gruppe im November 2010, als sie über eine Viertelmillion Depeschen des US-Außenministeriums öffentlich machen konnte. Entgegen allen Zusicherungen gelangten in der Folge jedoch die Namen von Informanten aus engsten US-diplomatischen Kreisen in China, Iran und Afghanistan in die Öffentlichkeit - das Image von Wikileaks leidet darunter bis heute.

Bei einer Auslieferung ihres Chefs müsste Wikileaks nun einen weiteren Rückschlag verkraften. "Die letzte Veröffentlichung ist vom Februar 2012", rechnet Medienexperte Rhomberg vor. "Davor ist seit Oktober 2011 nichts passiert. Man sieht daran, wie eng sich der Haftbefehl und Hausarrest von Assange auswirken."

Demonstrationen in London: "Wir glauben, dass es bei dem Fall (…) nicht einfach nur um Julian Assange geht"Bild: Reuters

Unterstützer Assanges - Unterstützer der Freiheit?

Die Assange-Fangemeinde, die sich "Friends of Wikileaks" oder kurz "FoWL" nennt, befeuert derweil die These einer politisch motivierten Justiz. Bereits am Freitag (25.05.2012) verfassten Aktivisten eine "Unterstützungserklärung" für Assange. "Die Art und Weise, in welcher der Fall gegen Julian Assange geführt wurde und die sachlichen Ungenauigkeiten, die für die Darstellung der Mainstream-Medien sowohl von ihm als auch von Wikileaks charakteristisch gewesen sind, haben dazu geführt, dass wir glauben, dass es bei dem Fall (…) nicht einfach nur um Julian Assange geht", heißt es darin. Sind am Ende vielleicht die USA dafür verantwortlich, dass Assange nun gegen seinen Willen nach Schweden ausgeliefert wird?

Martin Heger, Lehrstuhlinhaber für europäisches Strafprozessrecht an der Berliner Humboldt-Universität, hält diesen Vorwurf für übertrieben: "Erstens gibt es auch zwischen Großbritannien und den USA ein Auslieferungsabkommen, und man hätte den direkten Weg gehen können. Zweitens ist die Veröffentlichung geheimer Dokumente in den USA nicht strafbar - nur, wenn sie mit Wissen von Assange gestohlen worden wären." Verschwörungen seien aber sehr schwer nachzuweisen. "Ich vermute, dass die US-Behörden genau das die ganze Zeit prüfen, aber noch zu keinem Schluss gekommen sind", so Jurist Heger.

Ähnlich sieht es Assange-Biograf Carsten Görig: "Letztlich geht es ja momentan nur darum, dass Assange aussagen soll", meint er. "Mir scheint, dieser Prozess ist nur eine weitere Gelegenheit für Assange, sich aufzuspielen."

Vorläufiges Ende eines Medienprozesses

Zugleich habe Julian Assange durch Wikileaks aber auch die Frage gestellt, wie transparent Politik sein müsse - und "diese Diskussion wird weitergehen."

Carsten Görig, Autor von "Julian Assange - Der Mann, der die Welt verändert"Bild: Scorpio Verlag

Ganz ähnlich klingt auch das Fazit, das Wikileaks-Unterstützer Andy Müller-Maguhn zu Protokoll gibt, bevor er das Flugzeug zurück nach Deutschland besteigt: "Als Architekt einer Idee" habe Julian Assange eine wichtige Rolle gespielt, doch nun stehe der "Strukturaufbau" von Wikileaks im Vordergrund: "Gerade findet eine Professionalisierung statt, indem neue Subplattformen aufgebaut werden. Teams von Journalisten sind eingebunden, um die Rohdaten künftig besser zu erklären." Wikileaks sei längst "ein Konzept, eine Geschichte und eine Gruppe von Leuten", meint Müller-Maguhn. Er verspricht: "Da wird schon noch die eine oder andere Überraschung kommen."

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