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Politik

"Keine Seite wird sich bewegen"

Mariel Müller Barcelona
2. Oktober 2017

90 Prozent der Katalanen, die bei dem umstrittenen Referendum abgestimmt haben, wollen die Unabhängigkeit von Spanien. Premier Rajoy tut dagegen so, als habe es nie stattgefunden. Welche Lösungen bleiben?

Barcelona Protest
Bild: Reuters/E.Alonso

Am Sonntagabend verkündet Kataloniens Regierungschef Carles Puigdemont in Barcelona, mit diesem Votum habe Katalonien das Recht auf einen "unabhängigen Staat" gewonnen. In Madrid erklärte Premierminister Mariano Rajoy dagegen, es habe kein Unabhängigkeitsreferendum gegeben. "Das war kein Referendum zur Selbstbestimmung in Katalonien. Alle Spanier konnten sehen, dass unser Rechtsstaat weiterhin stark und gültig ist." Mit dem letztem Satz bezieht er sich auf die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten am Tag des Referendums.

Die EU-Kommission kritisierte die Ausschreitungen scharf: Gewalt dürfe kein Instrument in der Politik sein, hieß es an die Adresse des Premiers. Und an die katalanische Regierung in Barcelona ließ der Europa-Staatsminister verlauten, die Regeln von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie seien von allen zu achten; das gelte vor allem für die Urteile oberster Gerichte.

"Wir sind die schweigende Mehrheit”

Auf der einen Seite demonstrieren Studenten mit zugeklebten Mündern am Montag gegen Polizeigewalt. Die separatistische Linke Kataloniens wirft Mariano Rajoy und der spanischen Polizei einen "kalkulierten und organisierten Angriffs auf die Bevölkerung" vor. Rajoy sei außerdem eine "Schande für Europa". Auf der anderen Seite fragen sich diejenigen, die am Sonntag aus Protest nicht zur Wahl gegangen sind, besorgt, was als nächstes passieren wird. "Wir sind die schweigende Mehrheit", sagt Taxifahrer Bernet. "Wir wollen keine Unabhängigkeit. Ich habe Angst davor, was passiert, wenn die katalanische Regierung die Unabhängigkeit deklariert."

Stumme Proteste in BarcelonaBild: Getty Images/D. Kitwood

Wenn das passiert, könnte es sehr gut sein, dass die spanische Regierung Artikel 155 der spanischen Verfassung anwendet, der es der Regierung in Madrid erlaubt, Katalonien seinen Autonomiestatus abzuerkennen, sagt Jesús Palomar, Politikprofessor an der Universität von Barcelona. "Dann könnte die spanische Regierung Puidgemont, Minister Romeva (Minister für auswärtige Angelegenheiten Kataloniens - d. Red.) oder andere Regierungsmitglieder verhaften lassen, die an der Aktion beteiligt waren." Dafür bräuchte Rajoy aber die Zustimmung anderer Parteien im Parlament. "Podemos und die Sozialisten würden wohl nicht zustimmen", sagt Palomar. Ausschließen könne er die Verhaftungen trotzdem nicht. Der spanischen Regierung traue er alles zu.

Jesús Palomar: "Die Gesellschaft will nicht mehr"Bild: DW/M.Müller

Bis vor einigen Jahren hätte man noch einen politischen Konsens, zum Beispiel eine finanzielle Lösung finden können, sagt der Politologe, aber jetzt gerade sei das nicht mehr möglich, "nicht weil die Politiker nicht wollen, sondern weil die Gesellschaft jetzt, nach Sonntag, nicht mehr will." Wenn die Unabhängigkeit allein ein politisches Ziel der Parteien wäre, könnte man darüber noch verhandeln, aber seit dem Tag des Referendums wollen vor allem die Menschen die Unabhängigkeit, sagt Palomar.

Unvereinbare Positionen

"Auf der einen Seite haben wir Premier Rajoy, der, koste es was es wolle, nicht über Unabhängigkeit sprechen möchte und auf der anderen Seite haben wir Regierungschef Puigdemont, der nur darüber reden möchte, wie er am besten die Unabhängigkeit durchsetzen kann." Diese absolut konträren Positionen seien unmöglich zusammen zu bekommen.

Premier Mariano Rajoy: "Kein Referendum für eine Selbstbestimmung in Katalonien"Bild: Getty Images/AFP/J. Soriano

Eine vorstellbare Lösung sei, so Palomar, einen Mediator aus dem Ausland einzuschalten, eine für beide Seiten glaubwürdige Persönlichkeit, die schlichtend tätig werden könnte, zum Beispiel einen Friedensnobelpreisträger. Aber würde die spanische Regierung einen internationalen Mediator akzeptieren? Palomar: "Wahrscheinlich nicht." Die Positionen auf beiden Seiten sind so festgefahren wie noch nie. So könne es keinen Dialog geben, ist er sich sicher: "Keiner wird sich auf den anderen zubewegen."

"Entweder Separatist oder Faschist"

In diesem Szenario wirkt die Gewalt, ausgeübt durch die nationale Polizei, fast schon wie ein Befreiungsschlag - aus der Sicht des Politikwissenschaftlers. "Sonntag war ein Wendepunkt, die Polizei hat Grundrechte einfacher Bürger verletzt. Jetzt können wir die Menschenrechtsverletzungen auch vor internationalen Institutionen anprangern und deren Unterstützung bekommen."

EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker hat das aber zurückgewiesen. Der Konflikt sei eine "innere Angelegenheit" Spaniens - noch, denn in den kommenden Tagen soll es zum Thema Katalonien eine Debatte im EU-Parlament geben.

Staatsmacht: Polizeieinsatz in Barcelona (am Sonntag)Bild: picture-alliance/newscom/UPI/A. Garcia

Haben die Bilder von blutenden Demonstranten den Separatisten geholfen? War das Festhalten am Referendum und die Durchsetzung der Abstimmung politisches Kalkül? Die Bilder gingen am Sonntag und am Montag um die Welt. Kataloniens Unabhängigkeitsbestrebungen schaffen es nun sogar bis ins EU-Parlament. "Nein, niemand hätte diese Gewalt vorhersehen oder sich vorstellen können. In vierzig Jahren haben wir so etwas nicht gesehen", beteuert Palomar.

Ein Punkt, in dem sich Taxifahrer Bernet und der Politikprofessor einig sind: Die Gewalt am 1. Oktober hat die Polarisierung der Gesellschaft verstärkt. Bernet spricht von einer Spaltung: "Entweder du bist Separatist oder Faschist, seit dem ersten Oktober gibt es nichts mehr dazwischen. Das ist hier die Stimmung."

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