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Nach dem Wahlsieg der AfD: Was will Björn Höcke?

3. September 2024

Nach dem Rekordergebnis der AfD in Thüringen wächst der politische Einfluss der Partei. Dabei deutet Björn Höcke als AfD-Landeschef an, wofür er diesen nutzen will: blockieren statt regieren.

Björn Höcke, Partei- und Fraktionsvorsitzender der AfD in Thüringen und Spitzenkandidat, geht am Tag der Landtagswahl am 1.9.2024 nach der Prognose um 18 Uhr durch den Landtag in Erfurt, Thüringen.
Björn Höcke, rechtsextremer AfD-Parteichef in ThüringenBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Wochenlang hat sich Björn Höcke von seinen Anhängerinnen und Anhängern als zukünftiger Ministerpräsident von Thüringen feiern lassen. Am 1. September 2024 hat er es schließlich geschafft: seine Partei, die 'Alternative für Deutschland' wurde mit Abstand zur stärksten politischen Kraft in Thüringen gewählt. Mit Höcke als Zugpferd. Es ist ein triumphaler Abend für ihn.

Björn Höcke ist auch in seiner eigenen Partei umstritten. Seine Radikalität geht selbst in der radikalen AfD vielen zu weit. Seine eigene Partei hatte 2017 einen Parteiausschluss Höckes angestrebt, weil er unter Pseudonym in einer Neo-Nazi-Zeitschrift publiziert haben soll. Aber der Parteivorstand konnte sich nicht durchsetzen. Sieben Jahre später, an diesem 1. September 2024, hat Höcke für die AfD ein Rekordergebnis eingefahren.

Auf der AfD-Wahlparty in einer Thüringer Gaststätte jubeln Höckes Anhänger am Wahlabend. Sie rufen seinen Namen. Johlen. Die Bilder sind nur verwackelt zu sehen, denn die AfD hat die Medien ausgesperrt. Eine rechtsextreme Medienplattform bekommt trotzdem Zugang zu Videos und Bildern. Höcke ist zu sehen, wie er der ersten Hochrechnung zur Wahl entgegenfiebert. Er ist umringt von Menschen. Die fangen feixend an zu grölen. Es ist die Melodie des Partysongs "L'amour toujours". Die rechtsextreme Szene liebt das Lied, seit Jugendliche auf einer Party auf die Melodie des Songs die Forderung "Ausländer raus" gegrölt haben. Es ist zu einer einer Chiffre von Rassisten geworden. Die Umstehenden lachen. Höcke lächelt wohlwollend.

"Abschieben! Abschieben! Abschieben!"

Kurz darauf hält er eine erste kurze Siegerrede. So zeigen es die Bilder. "Es kann kein Weiter-so geben!" fordert Höcke. Er meint damit vor allem die deutsche Asyl- und Migrationspolitik. Der Kampf gegen eine vielfältige Gesellschaft ist der Kern seiner Politik. Migration nennt er "die Mutter aller Krisen". Die Menge antwortet ihm begeistert: "Abschieben! Abschieben! Abschieben!"

Höcke betont in seinen Reden, Interviews und Streitgesprächen immer wieder: Es gehe ihm nicht um einzelne Reformen oder um einzelne Projekte oder einzelne Gesetze. Es geht ihm um das große Ganze. Er will ein ganz anderes Land. Er will zum Beispiel nicht einfach nur die Einwanderung stoppen. Er will millionenfache Massenabschiebungen. Von Menschen, die er nicht zur "autochthonen" deutschen Bevölkerung zählt. Also von Geflüchteten. Von Einwanderern. "Autochthon" sind in der AfD-Sprache in der Regel weiße und nicht migrantische Menschen.

Höcke nennt seine Pläne selbst "grausam". In seinem Buch "Nie zweimal in denselben Fluss" schreibt er dazu, man werde "nicht um eine Politik der "wohltemperierten Grausamkeit", wie es Peter Sloterdijk nannte, herumkommen. Das heißt, daß (sic!) sich menschliche Härten und unschöne Szenen nicht immer vermeiden lassen werden." Der deutsche Philosoph Peter Sloterdijk hatte im Jahr 2015 im Zuge der Debatte über den Zuzug von Flüchtlingen ein "Abwehrsystem" gefordert, dass "wohltemperierte Grausamkeiten" enthalte. 

Björn Höcke träumt von einem "vollständigen Sieg" der AfD in DeutschlandBild: Jens Schlueter/Getty Images

Es sind solche Aussagen, die die AfD zu einer rechtsextremen Partei machen. Die vom Verfassungsschutz beobachtet werden darf. Und weswegen alle anderen Parteien Abstand zu ihr halten.

Jetzt sind Höcke und die AfD so stark, dass sie aus den Ergebnissen der Landtagswahl erstmals einen direkten Machtanspruch ableiten. 32,8 Prozent der Wählerstimmen hat seine Partei in Thüringen bekommen. Das sind fast zehn Prozentpunkte mehr als die zweitstärkste Partei, die konservativen Christdemokraten. "Wir sind bereit, Regierungsverantwortung zu übernehmen", erklärt Björn Höcke am Wahlabend im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Und auch sein Co-Vorsitzender in der AfD-Thüringen, Stefan Möller, bekräftigt am Tag nach der Wahl auf einer Pressekonferenz der AfD: "In Thüringen ist eine stabile Regierung möglich, und wir stehen dafür auch bereit." Aber was heißt das konkret? Wie und mit wem will die AfD in Thüringen ihre Politik umsetzen?

AfD: Wahlsieg mit Ankündigung

Die Partei hatte alle Zeit, sich auf die aktuelle Situation vorzubereiten: seit über zwei Jahren führen die Meinungsumfragen sie als mit Abstand stärkste Partei in Thüringen. Und genauso eindeutig zeigen die Zahlen, dass die AfD ohne Koalitionspartner nicht regieren kann. Alleinregierungen sind in Deutschland eh ungewöhnlich. Koalitionen sind die Normalität.

Was aber machen Höcke und die AfD im Moment des Triumphes? Sie prügeln ungebremst auf alle potentiellen Koalitionspartner ein. Die Christdemokraten? Höcke beschimpft sie als "Kartellpartei". Das neue, ebenfalls migrationsfeindliche 'Bündnis Sahra Wagenknecht'? Höcke nennt es eine "Scheinopposition zum Kartell", das "keine wirkliche Alternative für eine Erneuerung Deutschlands und Thüringens" sei.

Keine Koalition: weder CDU-Politiker Mario Voigt (Mitte) noch der abgewählte Ministerpräsident Bodo Ramelow wollen mit Höcke und der AfD koalieren.Bild: picture alliance/dpa

Immer wieder wird Höcke nach der Wahl gefragt, wie er jetzt Ministerpräsident werden will? Eine konkrete Antwort gibt er nicht. Er verweist auf seine Parteigremien, die nach der Wahl erstmal beraten würden, um dann gegebenenfalls Gespräche anzubieten.

Will Höcke überhaupt regieren?

Viele Beobachter in Deutschland bezweifeln, dass Björn Höcke überhaupt regieren will. Zumindest nicht in Thüringen, in einer nervenaufreibenden Koalition, die mit viel Geschick, Feingefühl und Sachverstand zusammengehalten werden müsste. Die sich mit fortlaufenden Kompromissen immer wieder an der Realität messen lassen muss. Höcke dagegen ist ein Mann der Maximalforderungen. Der Maximalversprechen.

David Begrich denkt, dass Höckes Wunschvorstellung ein Tolerierungsmodell wäre. In dem die AfD einer Koalition anderer Parteien die nötigen Stimmen für eine Mehrheit geben würde. Begrich arbeitet für den Verein Miteinander, ein Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit. "Das würde für die AfD nämlich den Vorteil ergeben, dass sie für die Regierungspolitik nicht verantwortlich ist, aber trotzdem einen unmittelbaren politischen Durchgriff auf politische Entscheidungen hat."

Was für diese Strategie spricht: so vielsagend vage Höcke nach der Wahl zu seinen konkreten Regierungsplänen bleibt, so vielsagend konkret wird er, was weitere Oppositionspläne betrifft. Die Sperrminorität im Landtag nennt er schon euphemistisch "Gestaltungsminorität". Aufgrund ihrer parlamentarischen Stärke kann die AfD nämlich zahlreiche wichtige Entscheidungen in Thüringen blockieren, wie zum Beispiel Verfassungsänderungen oder die Besetzung von Richterposten. Und in einem Interview mit dem rechtsextremen Onlinemedium Compact TV orakelte er schon fast freudig über mögliche Neuwahlen: "Ich rechne nicht damit, dass eine Koalition, die mit knapper Mehrheit vielleicht zustande kommt, die Legislatur überstehen wird. Und dann haben wir Neuwahlen und dann schauen wir mal." Regieren ja. Aber nur ohne Kompromisse. Die verachtet die AfD. Sie hat dafür ein Schimpfwort: "Melonisierung", nennt sie die. Nach der italienischen Postfaschistin Giorgia Meloni, die sich - nach Auffassung vieler AfD-Mitglieder - den anderen Parteien zu sehr annähern würde.

Am Ende spricht vieles dafür, dass Björn Höcke sich selbst nicht als zukünftigen Ministerpräsidenten von Thüringen sieht. Kurz vor der Landtagswahl hatte ein rechtsextremes Medienprojekt einen aufwendigen Propagandafilm über Höcke veröffentlicht. Der hat das Projekt umfangreich unterstützt. Am Ende der knapp 100 Minuten lächelt Björn Höcke als überdimensionales Ölgemälde von der Wand. In seinem Hintergrund: der Berliner Reichstag.

Björn Höcke (AfD) in Thüringen: antidemokratische Vorbilder

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