Nach den Pager-Explosionen im Libanon: Sorge in Israel
18. September 2024Mindestens zwölf Tote und rund 2800 Verletzte, viele von ihnen Milizionäre der schiitischen Hisbollah, zudem auch der Botschafter Irans im Libanon, Modschtaba Amani: Das ist das Ergebnis der zeitgleich erfolgten Massenexplosion von hunderten Funkempfängern in verschiedenen Teilen des Libanon.
Die Hisbollah hatte die Funkempfänger - so genannte Pager - eingesetzt, weil diese sich im Unterschied zu Handys nicht orten lassen. Medienberichten zufolge könnte Israel die nun zur Explosion gebrachten Pager der Marke Gold Apollo wohl unbemerkt abgefangen und mit Sprengstoff versehen haben. Dann wurden die präparierten Apparate weiter an die Hisbollah geliefert und mutmaßlich gezielt gezündet. Diese wie auch der mit ihr verbündete Iran machen Israel für die Aktion verantwortlich.
Am Mittwoch, einen Tag nach der Explosion der Pager, sind bei einer Welle von Walkie-Talkie-Explosionen mindestens drei Menschen getötet und mehr als hundert weitere verletzt worden. Das bestätigten die libanesische Nachrichtenagentur Ani und auch Behörden.
Israelische Aktionen?
Zwar hat Israel die Verantwortung für die Aktionen bislang nicht offiziell übernommen. Sie fand aber im Kontext der gewaltsamen Auseinandersetzung statt, in der sich Israel und die Hisbollah seit dem 7. Oktober vergangenen Jahres befinden. Damals attackierte die militant-islamistische, in Deutschland, der EU, den USA und einigen anderen Staaten als Terrororganisation eingestufte Hamas israelisches Gebiet, tötete rund 1200 Menschen und nahm rund 250 als Geiseln. Aus Solidarität mit der Hamas beschoss die Hisbollah das Grenzgebiet im Norden Israels. Über 60.000 Israelis haben in der Folge ihre Häuser verlassen. Umgekehrt mussten auf libanesischer Seite rund 110.000 Menschen in andere Teile des Landes fliehen.
Israelische Medien gehen überwiegend von einer Verantwortung Israels für den Anschlag aus. So etwa fiel der Zeitung Haaretz zufolge die Entscheidung, die Pager zur Explosion zu bringen, sehr kurzfristig. Ursprünglich hätte die Aktion zu Beginn der erwarteten größeren Auseinandersetzung gestartet werden sollen. Doch offenbar hätten zwei Hisbollah-Milizen bemerkt, dass die Pager präpariert worden seien, berichtet Haaretz. So habe man sich entschieden, die Pager vorzeitig zur Explosion zu bringen. Es habe sich gezeigt, dass "die operativen Einheiten der Hisbollah vollständig durchdrungen und schwer beschädigt wurden", schreibt Haaretz. "Das verstärkt das Gefühl der Unsicherheit innerhalb der Organisation und dürfte ihr Kommando- und Kontrollsystem in naher Zukunft aushöhlen."
Gescheiterte Diplomatie zwischen Israel und Hisbollah
Aus israelischer Sicht spiele die Operation vor dem Hintergrund, dass eine diplomatische Einigung mit der Hisbollah nicht absehbar sei, sagt Gil Murciano, geschäftsführender Direktor des Israeli Institute for Regional Foreign Policies (Mitvim). Zwar habe man die Pager offenbar früher als ursprünglich geplant zünden müssen. "Aber angesichts eines ungelösten, sich vermutlich ausweitenden Konflikts dürfte die Aktion der Hisbollah zu verstehen geben, dass Israel die derzeitige Situation bereits als offenen Krieg betrachtet. Und die Bereitschaft zur Eskalation ist Teil dieses Krieges. Es geht nicht darum, bloß eine operative Gelegenheit zu nutzen. Sondern Israel zeigt, dass es alle nur erdenklichen Maßnahmen ergreifen wird, um die Kampfkraft der Hisbollah zu begrenzen."
Wie die Hisbollah nun reagiert, sei zwar grundsätzlich offen, sagt der in Beirut lebende Journalist Ronnie Chatah, Betreiber der Webseite The Beyruth Banyan. Er gehe aber davon aus, dass die Miliz trotz ziviler Opfer und trotz großen menschlichen Leids auf eine Vergeltungsaktion im ganz großen Stil verzichten werde. "Nach dem 7. Oktober schrecken alle Seiten davor zurück, noch einmal in ein Szenario wie im Juli 2006 (damals standen Israel und die Hisbollah für einen guten Monat im Krieg, Anm. d. Red.) oder im Libanonkrieg 1982 zu treten." Darum dürfte sich der Krieg weiterhin auf militärische Ziele beschränken. "Die Hisbollah wird nichts tun, was den Krieg darüber hinaus ausweiten könnte."
Rolle der USA
Die Aktion fand zu einem Zeitpunkt statt, zu dem Amos Hochstein, ein politischer Berater von US-Präsident Joe Biden, in die Region gereist war. Um einen drohenden Krieg zwischen Israel und der libanesischen Hisbollah doch noch abzuwenden, hatte er zu Beginn der Woche in Israel Gespräche mit Staatspräsident Isaac Herzog, Premierminister Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Yoav Gallant geführt. Ziel der Unterredungen: die israelische Führung davon zu überzeugen, keine groß angelegte Militäroperation gegen die Hisbollah zu starten. Anschließend sollte Hochstein zu Gesprächen mit Vertretern der libanesischen Regierung reisen. Diese, so der Plan, sollten sich dann mit der Hisbollah abstimmen. Offenbar wusste Hochstein nichts von der bevorstehenden Pager-Aktion. Allerdings hatte Israels Verteidigungsminister Gallant seinen US-Kollegen Lloyd Austin über einen in Kürze erfolgenden Schlag informiert, ohne aber Einzelheiten zu nennen.
Eine Belastung der Beziehungen zwischen Israel und den USA stelle die Aktion nicht dar, sagt Gil Murciano. "Die Amerikaner erklären, sie seien nicht über den Angriff informiert gewesen. Ihnen kommt es darauf an, in der Region zu vermitteln."
Allerdings hätten die USA ein Problem, sagt Ronnie Chatah: Ihnen fehle im Libanon ein Ansprechpartner. "Es gibt keine Repräsentanten, keinen Politiker, der in der Lage wäre, den Konflikt zu beenden, und zwar auf eine Weise, die dem Land nutzen würde. Auch ist keiner dieser Politiker in der Lage, die Hisbollah zum Einlenken zu bewegen. Umgekehrt scheint mir, dass auch die Israelis die amerikanischen Belange nicht immer berücksichtigen."
Die weitere Entwicklung ist offen. Wenig optimistisch zeigt sich Haaretz. "Der Angriff, der Israel zugeschrieben wird, hat die Schwäche der Hisbollah aufgedeckt und ihre Anführer gedemütigt", schreibt die Zeitung auf ihrer Webseite. "Dies ist nicht die Art von Vorfällen, die im Nahen Osten zu einem ruhigen Ende führen."
Mitarbeit: Rola Farhat, Beirut.