Nach der Bundestagswahl: eine neue deutsche Außenpolitik?
24. Februar 2025
"Die Welt da draußen wartet nicht auf uns. Wir müssen jetzt schnell wieder handlungsfähig werden", hatte CDU-Chef Friedrich Merz bereits am Abend seines Wahlsiegs betont. Der voraussichtliche nächste Bundeskanzler verfolgt einen ambitionierten Zeitplan: Möglichst bis Ostern, also bis Mitte April, will Merz eine neue Bundesregierung bilden, "damit wir in Europa wieder präsent sind und auf der Welt wahrgenommen wird: Deutschland wird wieder zuverlässig regiert".
Dass die Erwartungen an Deutschland hoch sind, hat Merz in vielen Gesprächen erfahren, die er in den letzten Wochen mit Politikern befreundeter Länder geführt hat. Bei der Unterstützung der Ukraine, bei der Verteidigungsfähigkeit Europas und im transatlantischen Verhältnis - stets werden von Deutschland sowohl Einsatz als auch eigene Initiativen gefragt.
Trump macht den Europäern zu schaffen
Das gilt umso mehr, seit Donald Trump wieder ins Weiße Haus eingezogen ist. Schon in seinen ersten Wochen im Amt hat Trump das transatlantische Verhältnis schwer beschädigt. In der Ukraine-Politik hat er sich vom gemeinsamen Kurs mit Europa abgewandt. Über ein mögliches Ende des Kriegs verhandelt Washington mit Moskau über den Kopf des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj hinweg, den Trump als "Diktator" verunglimpft hat.
Nach den jüngsten Aussagen des US-Präsidenten sei für ihn klar, "dass den Amerikanern, jedenfalls diesem Teil der Amerikaner, dieser Regierung das Schicksal Europas weitgehend gleichgültig ist", hatte Merz am Wahlsonntag (23.02.2025) in der TV-Sendung "Berliner Runde" gesagt. Für ihn werde es daher absolute Priorität haben, Europa so schnell wie möglich so zu stärken, "dass wir Schritt für Schritt auch wirklich Unabhängigkeit erreichen von den USA."
Dessen ungeachtet will Merz "alles dafür tun", um das transatlantische Verhältnis zu erhalten. "Wenn es zerstört werden sollte, wird es nicht nur zum Schaden von Europa sein, es wird auch zum Schaden von Amerika sein", sagte Merz am Montag in der Berliner Parteizentrale der CDU.
Deshalb habe er auch noch am Wahlabend mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron telefoniert, der zu diesem Zeitpunkt auf dem Weg nach Washington zu einem Treffen mit Donald Trump war. Die Positionen von Macron und ihm hätten vollkommen übereingestimmt, betonte der CDU-Chef, der bei seiner ersten Pressekonferenz nach der Wahl wie ein erfahrener Staatenlenker auftrat. Ein Regierungsamt bekleidet hat Merz allerdings noch nie.
Merz strebt eine schwarz-rote Koalition an
Bevor er sich voll und ganz der deutschen Außenpolitik zuwenden kann, muss Merz zunächst einmal eine handlungsfähige Regierung zusammenstellen. Mit einem Stimmenanteil von 28,5 Prozent brauchen die konservativen Parteien CDU/CSU einen Koalitionspartner. Merz strebt ein Regierungsbündnis mit den Sozialdemokraten an, die bei der Wahl auf gut 16 Prozent der Stimmen abgestürzt sind. Zusammen haben beide Fraktionen aber genug Mandate für eine stabile Regierungsmehrheit im Bundestag.
Dem noch amtierenden Bundeskanzler Olaf Scholz hält die CDU vor, nicht genügend auf die europäischen Partner zugegangen zu sein. So sei ein informelles europäisches Gipfeltreffen als Reaktion auf Trumps Außenpolitik von der französischen Regierung in Paris initiiert worden, während Berlin nicht aktiv geworden sei.
Ein einiges Europa
"Wir müssen als Deutschland wieder eine Führungsrolle in Europa übernehmen, nicht von oben herab, sondern mit Frankreich, mit Polen, mit einer starken Europäischen Union", hatte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann im Wahlkampf betont und ergänzt: "Wir werden nicht, wie Herr Scholz es gemacht hat, isoliert auf Herrn Putin zugehen".
Scholz hatte zuletzt Mitte November mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin telefoniert, was auf Kritik gestoßen war. Die CDU hält Initiativen, die mit Partnern wie Frankreich, Großbritannien und Polen abgestimmt sind, für wirkungsvoller. "Die Botschaft muss sehr klar sein: Europa ist einig und geschlossen", betonte Merz.
In der Ukraine-Politik dürfte sich dennoch eine gemeinsame Linie von CDU/CSU und SPD finden lassen. Einigkeit herrscht darüber, dass Verhandlungen über eine Beendigung des Krieges nicht über die Köpfe der Ukrainer und Europäer hinweg geführt werden dürfen. Auch dass Deutschland die Ukraine weiter mit Waffen unterstützen wird, steht außer Frage.
Es gibt aber auch Unterschiede: Friedrich Merz befürwortete im Wahlkampf die Lieferung von deutschen Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine. Diese haben eine Reichweite von bis zu 500 Kilometern und könnten gegen Ziele auf russischem Staatsgebiet eingesetzt werden. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern stets mit der Begründung abgelehnt, dass Deutschland nicht in den Ukraine-Krieg hineingezogen werden dürfe.
Eine Frage des Geldes
Seit dem russischen Großangriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 hat die Bundesregierung Militärhilfen in Höhe von etwa 28 Milliarden Euro für die Ukraine bereitgestellt. Damit war Deutschland nach den USA der größte Unterstützer der Regierung in Kyjiw. Nun heißt es aus Washington, weitere Hilfen für die Ukraine seien in erster Linie die Aufgabe der Europäer. Auch um seine Verteidigungsfähigkeit müsse Europa sich fortan stärker selbst kümmern.
All das wird viel Geld kosten, doch schon jetzt klafft ein Loch im Bundeshaushalt. Einer der größten Streitpunkte in den Koalitionsverhandlungen dürfte daher sein, woher diese Mittel kommen sollen: Aus neuen Krediten oder aus Umschichtungen im Bundeshaushalt? Die SPD hält es für unvermeidbar, neue Schulden aufzunehmen. Ganz anders Wahlsieger Friedrich Merz: Er setzt auf Wirtschaftswachstum und fordert Kürzungen bei den Sozialleistungen. Das ist für die Sozialdemokraten inakzeptabel.
Am Tag nach der Wahl zeigte sich Merz aber bereit, mit dem jetzigen Bundestag noch über eine Lockerung der Schuldenbremse zu sprechen, welche die Kreditaufnahme stark begrenzt. Im zukünftigen Bundestag könnte das wegen der neuen Mehrheitsverhältnisse nicht mehr möglich sein.
Fest steht in jedem Fall: Der Verteidigungsetat muss in den kommenden Jahren deutlich steigen - trotz knapper Kassen. Bereits im Jahr 2028 werden 80 Milliarden Euro für die Bundeswehr gebraucht, wenn Deutschland weiter seinen Verpflichtungen in der NATO nachkommen will. Demnach müssen alle Verbündeten mindestens zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgeben. Bleibt der Etat auf dem jetzigen Niveau – zuletzt betrug er rund 52 Milliarden Euro – wird das nicht zu schaffen sein.
Einladung an Netanjahu
Auch wenn Friedrich Merz bei seiner ersten Pressekonferenz nach der Wahl auf die künftige deutsche Nahostpolitik nicht näher einging, so hatte er doch eine Botschaft an den israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu, den er nach eigenem Bekunden gut kennt. Gegen Netanjahu liegt wegen mutmaßlicher Verbrechen im Gaza-Krieg ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs vor. Merz erklärte, er habe Netanjahu zugesagt, "dass er Deutschland besuchen kann und auch wieder verlassen kann, ohne dass er in Deutschland festgenommen worden ist". Für ihn sei es "eine abwegige Vorstellung", dass ein israelischer Ministerpräsiden Deutschland nicht besuchen könne.