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Politik

Die Lage der Menschen in Kiew

Alexander Sawizkij
3. März 2022

In der Nacht gab es erneut schwere russische Angriffe. Die humanitäre Lage in Kiew ist stabil, aber die Angst angesichts des heftigen Beschusses anderer Städte nimmt zu. DW-Reporter Alexander Sawizkij berichtet.

Ukraine | Kiew während Russlands Invasion
Kiew: Aufrufe auf einem Bildschirm an russische Soldaten, sich zu ergebenBild: Oleksandr Savytsky/DW

Nach den relativ ruhigen letzten beiden Tagen wurden in den Nachtstunden erneut schwere russische Angriffe auf Kiew gemeldet. In sozialen Medien wurden Videos mehrerer schwerer Explosionen geteilt. Behörden zufolge schlug ein Geschoss südlich des Hauptbahnhofs ein. Es soll sich um Trümmer einer von der ukrainischen Luftwaffe abgeschossenen russischen Rakete gehandelt haben. Unabhängig verifiziert werden können diese Angaben nicht.

Lebensmittel, Trinkwasser und Medikamente

Tags zuvor waren relativ viele Menschen und Privatautos in den Straßen der Hauptstadt zu sehen. Die kommunalen Dienste laufen weiter stabil, auch der öffentliche Nahverkehr funktioniert weitgehend. Allerdings ist die Taktung nach den Kämpfen der vergangenen Woche deutlich reduziert worden. So verkehrt die Metro nur noch etwa alle 40 Minuten und bedient nicht mehr alle Stationen. Die meisten Kiewer nutzen die U-Bahn, um wichtige Knotenpunkte zu erreichen, darunter den Hauptbahnhof der Stadt.

Auch am siebten Tag der Verteidigung der ukrainischen Hauptstadt ist das drängendste Problem der Menschen, sich mit Lebensmitteln, Trinkwasser und Medikamenten einzudecken. Lange Menschenschlangen vor den Geschäften sind allerdings nicht mehr zu sehen. Denn die Supermärkte großer Einzelhandelsketten werden derzeit wieder häufiger beliefert, zudem sind auch viele kleine Geschäfte nun wieder geöffnet.

Vor allem frische Milchprodukte, Obst und Gemüse sind jedoch knapp geworden. Die entsprechenden Regale sind in den Supermärkten als erste leer. Manchmal werden die Waren schon auf dem Weg dorthin von den Paletten gegriffen. Zudem mangelt es an Brot, Mehl und Müsliprodukten.

Schlange vor einem Laden für Tiernahrung in KiewBild: Oleksandr Savytsky/DW

Warteschlangen gibt es vor allem noch vor Apotheken, allerdings sind sie nicht mehr so lang wie noch in den Tagen zuvor. Neben den staatlichen haben inzwischen auch wieder private Apotheken geöffnet. Sie folgten damit einem Aufruf des Humanitären Krisenstabs der Stadt Kiew. Er koordiniert die Hilfe für die von schweren Straßenkämpfen am stärksten betroffenen Bezirke und Vororte im Norden der Hauptstadt, etwa in Butscha oder Hostomel. Laut einer Verordnung wurde die Abgabe von Insulin an Diabetiker vereinfacht, die sie nun auch an Erste-Hilfe-Stellen erhalten können. Der Stab hat die Kiewer zudem aufgerufen, sich um alleinstehende und ältere Menschen zu kümmern und sie mit notwendigen Medikamenten zu versorgen.

Starker Zusammenhalt in der Not

Überall in Kiew ist ein rührender Umgang der Menschen untereinander zu beobachten. Es herrscht große Hilfsbereitschaft. So wurde ich selbst von einer jungen Frau in der Nähe meiner Wohnung in der Innenstadt angesprochen und gefragt, wie die Versorgungslage im nächsten Supermarkt aussehe. Als sie hörte, dass es dort wenig zu kaufen gibt, gab sie mir einige fertige Essenspakete. "Ich arbeite in der Ambulanz, wir werden dort kostenlos verpflegt, und wir dürfen auch Essen mit nach Hause nehmen. Ich gebe einiges auch an meine Nachbarn weiter", sagte sie.

Menschen übernachten in der Kiewer MetroBild: Emilio Morenatti/AP Photo/picture alliance

Auch wenn die Sirenen in der Hauptstadt nicht mehr so ​​oft ertönen wie in den letzten Tagen, gehen die örtlichen Behörden davon aus, dass schätzungsweise 15.000 Menschen in Notunterkünften Zuflucht suchen. In mehreren Metrostationen liegen die Menschen nicht nur auf dem Boden der Stationen, sondern auch in Zügen, die nicht mehr in Betrieb sind.

Zuversicht trotz Angst und Flucht

Zwar hat sich die Lage in Kiew in den vergangenen beiden Tagen etwas entspannt, doch die Angst unter den Menschen nimmt angesichts der Berichte über groß angelegte Raketenangriffe und Bombardierungen durch die russischen Truppen von Wohngebieten in Charkiw, Tschernihiw, Schytomyr und anderen Städten zu.

Menschen drängen sich im Kiewer HauptbahnhofBild: Dimitra Dilkoff/AFP/Getty Images

Die Lage am Hauptbahnhof erinnert an Filmausschnitte aus dem Zweiten Weltkrieg. Zahlreiche Menschen drängen sich dort und versuchen, in Züge zu steigen, die in westliche Richtung fahren. Unter ihnen sind viele Flüchtlinge aus den schwer umkämpften Gebieten im Süden und Osten des Landes. Am Fahrkartenschalter herrscht teilweise Chaos. Einige Menschen schlafen zwischen den Schaltern, andere stehen in langen Schlangen an. Informationen über Sonderzüge, die die Stadt verlassen, kommen nur spärlich durch.

Trotz dieser Lage zeigen erste Umfragen seit Beginn des großangelegten Krieges Russlands gegen die Ukraine überraschende Ergebnisse. Nach Angaben des Forschungsinstituts "Rating" glauben fast 90 Prozent der Befragten an die Fähigkeit ihres Landes, einen Angriff Russlands abzuwehren. 98 Prozent unterstützen die Streitkräfte der Ukraine und weitere 93 Prozent den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. 84 Prozent der Ukrainer stehen hinter der Führung der lokalen Behörden in ihren Städten und Gemeinden.

Adaption aus dem Ukrainischen: Markian Ostaptschuk

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