Nach Erdbeben in Afghanistan: Wer hilft Frauen und Mädchen?
3. September 2025
Am 31. August, kurz vor Mitternacht, erschütterte ein Erdbeben der Stärke 6,1 den Osten Afghanistans. Laut Angaben der Taliban sind mehr als 1.400 Menschen ums Leben gekommen. Mindestens 3.124 weitere Personen wurden verletzt, und mehr als 5.400 Häuser wurden zerstört. Die Hoffnung, noch Überlebende in den Trümmern zu finden, schwindet.
Auf den Fotos und Videos, die Nachrichtenagenturen und Hilfsorganisationen aus dem Erdbebengebiet veröffentlichen, sind kaum Frauen zu sehen – nicht einmal unter den Verletzten, die in Krankenhäuser gebracht wurden.
"Männliche Familienangehörige lassen es nicht zu, dass Frauen oder Mädchen von fremden Menschen gesehen werden. Sie wollen auch nicht, dass Fremde ihnen helfen", sagt die Frauenaktivistin Fatima Rezaei im Gespräch mit der DW. Sie lebt weit entfernt vom Erdbebengebiet in der westafghanischen Stadt Herat, steht jedoch in Kontakt mit Aktivistinnen im ganzen Land.
"Ärztinnen, die sich in der Nähe abgelegener Dörfer in der Bergregion befanden und am ersten Tag als Freiwillige helfen wollten, wurden von den Taliban daran gehindert. Auch die Männer aus den Dörfern lehnten ihre Hilfe ab. Wir wissen nicht einmal, ob und wie Frauen verletzt worden sind", erzählt sie weiter.
Es wird befürchtet, dass noch viele Menschen unter den Trümmern eingeschlossen sind. Der UN-Koordinator für humanitäre Hilfe in dem Land, Indrika Ratwatte, nannte es am Dienstag eine "riesige Herausforderung", das Katastrophengebiet überhaupt zu erreichen. In den entscheidenden ersten 24 Stunden sei der Zugang sehr eingeschränkt gewesen, weil Erdrutsche und Felsstürze etliche Straßen zerstört hätten.
Viele Menschen seien im Schlaf unter den aus Lehm und Holz gebauten Dächern ihrer Häuser begraben worden. Die Region ist abgelegen, vielerorts fehlt es an grundlegender Infrastruktur. Schon vor den Zerstörungen durch das Erdbeben gab es vielerorts nicht einmal Strom.
Keine Ärztinnen für verletzte Frauen
Lokale Quellen in den Provinzen Kunar und Nangarhar berichten, dass die medizinischen Zentren dieser Provinzen mit einem gravierenden Mangel an Ärztinnen zu kämpfen haben, was die Behandlung verletzter Frauen erheblich erschwert.
"Wir haben Informationen über den Tod mehrerer verletzter schwangerer Frauen, die gestorben sind, weil Ärztinnen fehlten", erzählt Zahra Haghparast im Gespräch mit der DW.
Die Zahnmedizinerin ist empört, ihre Stimme zittert. "Wissen Sie, wie viele Ärztinnen und Krankenschwestern gerade jetzt in Afghanistan bereit sind, sich sofort auf den Weg zu machen, um diesen verletzten Frauen zu helfen? Doch die Taliban erteilen ihnen keine Genehmigung."
Zahra lebt in Deutschland. Sie musste ihre Praxis in Kabul nach der Machtübernahme der Taliban schließen. Ihre Protestaktionen gemeinsam mit anderen Frauen, die gezwungen waren, ihre Arbeit aufzugeben und sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen, brachten sie ins Visier der Taliban. Sie wurde verhaftet, misshandelt und erst gegen Geldzahlung freigelassen.
Dass die Männer vor Ort nicht zulassen, dass Frauen helfen, sei das Ergebnis der Politik der Taliban, sagt sie und fügt hinzu: "Vor den Taliban hatten wir eine Phase, in der sich die Gesellschaft zu verändern begonnen hatte. Die Taliban drehen alles wieder zurück. Das Land braucht Ärztinnen. Frauen dürfen aber nicht mehr studieren. Die Taliban haben die Arbeit von Ärztinnen massiv eingeschränkt, sodass den Verletzten in dieser kritischen Situation nicht geholfen werden kann."
Auch beim afghanischen Roten Halbmond, der Hilfs- und Ärzteteams in die betroffenen Provinzen entsandt hat, gibt es kaum Ärztinnen für die Nothilfe. Die islamistischen Taliban haben Frauen die medizinische Ausbildung verboten.
Seit ihrer Machtübernahme im August 2021 ist Mädchen und Frauen der Zugang zu höheren Schulen und Universitäten versperrt. Frauen werden systematisch aus dem öffentlichen Leben verdrängt und Schritt für Schritt entrechtet. "Sie haben nicht das Recht auf Leben", sagt Zahra.
Katastrophale humanitäre Lage
Das Beben hat die ohnehin katastrophale humanitäre Lage in Afghanistan noch einmal verschärft. Seit der Machtübernahme der Taliban hat der Westen seine Hilfen für das Land drastisch zurückgefahren.
Nach Angaben der Vereinten Nationen leben 64 Prozent der afghanischen Bevölkerung in Armut. Etwa die Hälfte der 41,5 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner sind auf humanitäre Hilfe angewiesen, um zu überleben. 14 Millionen Menschen leiden akut an Hunger.
Die EU kündigte nun an, eine Million Euro an humanitäre Organisationen in der Region weiterzuleiten, um den Menschen vor Ort zu helfen. Darüber hinaus werde die EU rund 130 Tonnen Hilfsgüter aus eigenen Beständen spenden. Dabei handele es sich unter anderem um Zelte, Kleidung, medizinische Hilfe und Material zur Wasseraufbereitung.