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Eriksen-Drama: "Ganz Dänemark ist mit dir"

17. Juni 2021

Auch ohne den herzkranken Christian Eriksen begeistert Dänemark bei der EURO 2020 gegen Belgien, verliert aber dennoch. Viel wichtiger: Alle Beteiligten bekunden, dass das Drama um Eriksen nicht vergessen ist.

Euro 2020 - Gruppe B - Dänemark v Belgien
Bild: Hannah Mckay/AP/dpa/picture alliance

Es war genauso angekündigt worden: Weil Dänemarks Mittelfeld-Star Christian Eriksen die Rückennummer 10 trägt, unterbrachen die Teams von Dänemark und Belgien in der 10. Spielminute ihr Spiel. Eine Minute lang gab es von den Tribünen donnernden Applaus. Eriksen war während des ersten EM-Auftritts der Dänen gegen Finnland kurz vor der Halbzeitpause mit einem Herzstillstand zusammengebrochen und hatte die Welt geschockt. Nun standen die rund 25.000 Zuschauer im Stadion "Parken" von Kopenhagen auf. Die Spieler beider Teams klatschten ebenfalls, Trikots mit Eriksens Nummer 10 wurden auf den Rängen in die Kameras gehalten. "Ganz Dänemark ist mit dir, Christian", stand auf einem Banner, das die dänischen Fans hochhielten. 

"Dass es Christian gut geht, ist wichtig. Es ermöglicht uns, den Fokus wieder auf Fußball und das nächste Spiel zu richten", hatte Dänemarks Nationaltrainer Kasper Hjulmand vor der Partie gesagt. Eriksen ist nach wie vor im Krankenhaus. Demnächst soll ihm ein Defibrillator implantiert werden. Und Hjulmand untermauerte - trotz des Respekts vor dem Weltranglistenersten aus Belgien, der Auftaktniederlage gegen Finnland und dem schrecklichen Vorfall um Eriksen - die eigenen Ziele: "Es wird eine Herkulesaufgabe aus mehreren Gründen. Aber wir werden alles tun, um wieder ins Turnier zurückzufinden. Die EM ist für uns noch nicht vorbei." 

Alles im Zeichen der "10": "Kopenhagen für Eriksen" und "Ganz Dänemark ist mit dir, Christian"Bild: Wolfgang Rattay/REUTERS

Der Blick ging bei Hjulmand nach vorne, nachdem er zuletzt kritisiert hatte, dass die Partie gegen Finnland fortgesetzt worden war. Eriksen selbst hatte aus dem Krankenhaus gegenüber den Teamkollegen den Wunsch geäußert, das weitergespielt werden solle. Die UEFA verteidigte die Entscheidung vor dem Spiel. "Ich war selbst vor Ort. Wir sind mit dem Ganzen gut umgegangen", sagte Turnierdirektor Martin Kallen am Donnerstag. "Wir waren flexibel und haben alle Optionen in Betracht gezogen. Am Ende war es die gemeinsame Entscheidung aller Beteiligten, das Spiel fortzusetzen. Dennoch werden wir nach dem Turnier analysieren, ob es für die Zukunft andere Optionen geben kann", so der UEFA-Vertreter. 

Unerwarteter Start nach dem Unfassbaren

Doch schon vor der nicht-sportlichen Szene des Tages brandeten Applaus und Jubel im Stadion in Kopenhagen auf - mehrfach. Vor dem Anpfiff wurde zunächst ein gigantisches Trikot mit Christian Eriksens Rückennumer 10 auf den Platz getragen. Anschließend überreichte Belgiens Kapitän Jan Vertonghen seinem dänischen Kollegen Simon Kjaer ein belgisches Trikot mit der Nummer 10 - darauf Eriksens Name und die Unterschriften aller Spieler. Zuvor schallte für Christian Eriksen der Fußballhymnen-Klassiker "You'll never walk alone" durch Stadion. 

Und dann die Explosion nach rund 100 Sekunden: Yussuf Poulsen erzielte mit der ersten Chance des Spiels gleich die dänische Führung - was für eine Fügung. Dabei sollten es doch eigentlich zehn Minuten sein, die bis zum ersten historischen Moment verstreichen sollten. Das interessierte in diesem Augenblick aber niemanden mehr.

"Es war sehr emotional geprägt heute, besonders am Anfang. Man hat gemerkt, dass wir das ganze Spiel über Gepäck zu tragen hatten, aber wir haben eine richtig gute Leistung gezeigt. Schade, dass wir nichts mitnehmen konnten", sagte der Torschütze im ZDF. "Was wir letzte Woche erlebt haben, hat die Atmosphäre hier natürlich beeinflusst. Wir haben heute morgen mit Christian Kontakt gehabt und sind einfach nur froh, dass es ihm gut geht. Das ist das A und O."

Gamechanger De Bruyne 

Dass ein solch traumatisches Ereignis wie der Zusammenbruch von Eriksen, bei dem sich noch zeigen muss, ob er wieder auf hohem Niveau Fußball spielen kann, auch Kräfte freisetzen kann, zeigte sich in der ersten Halbzeit der Dänen eindrucksvoll: Das erstes Foul von Hjulmands Team gab es nach etwa 40 Minuten. Dänermark kontrollierte Gegner und Spiel. Doch dann wechselte Belgiens Trainer Roberto Martinez Kevin De Bruyne ein und erhöhte auf Knopfdruck die spielerische Klasse seines Teams. In der 54. Minute gelang den Gästen nach einer traumhaften Vorarbeit des Offensivstars von Manchester City der Ausgleich durch den Dortmunder Thorgan Hazard.  

Einwechslung, Assist, Tor: Kevin De BruyneBild: Stuart Franklin/REUTERS

Und noch eine besondere Geschichte gab es in diesem Spiel: In der 59. Minute brachte Martinez Axel Witsel ins Spiel. Für den Mittelfeld-Spieler war es nach einem Achillessehnenriss der erste Einsatz in einem Fußballspiel seit Januar. Auch für Witsel gab es Applaus. Doch Geschenke verteilte Mitfavorit Belgien nicht. Im Gegenteil: In der 70. Minute zeigte erneut De Bruyne seine Klasse: Er traf aus rund 15 Metern mit einer Direktabnahme zum 2:1 für Belgien

Dänemark wäre in der Folge fast noch zum Ausgleich gekommen, aber der Kopfball von Martin Braithwaite landete auf der Querlatte, statt im Tor von Thibault Courtois. Doch die EM-Träume leben trotz der neuerlichen Niederlage weiter, vorausgesetzt das Hjulmand-Team gewinnt im letzten Gruppenspiel gegen Russland mit 2:0 oder höher. Aber das war nur Nebensache. Viel wichtiger: Christian Eriksen lebt. Dänemarks Teamgeist lebt. Wohl eine der denkwürdigsten Geschichten, die bei Fußball-Europameisterschaften jemals geschrieben wurden. 

David Vorholt Redakteur, Reporter und Autor in der DW-Sportredaktion
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