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Wie gefährlich ist die "Reichsbürger"-Szene?

Veröffentlicht 7. Dezember 2022Zuletzt aktualisiert 22. März 2023

In mehreren Bundesländern haben Ermittlungsbehörden Objekte der "Reichsbürger"-Bewegung durchsucht. Dabei soll auch ein Polizist verletzt worden sein. Bereits im Dezember gab es eine Großrazzia in dem Milieu.

Razzia gegen Reichsbürger / Bad Lobenstein, Thüringen 7.12.22
Schon mehrfach gab es große Razzien unter "Reichsbürger"-Anhängern, hier im DezemberBild: Fricke/NEWS5/AFP

Die Bundesanwaltschaft hat bestätigt, dass bei der Durchsuchung einer Wohnung in Reutlingen in Baden-Württemberg ein Schuss auf Polizisten gefallen ist. Zuvor hatte die ARD darüber berichtet. Offenbar war die Wohnungsdurchsuchung Teil einer Razzia im sogenannten Reichsbürger-Milieu.

Bereits im Dezember vergangenen Jahres gab es eine Großrazzia gegen eine Gruppe sogenannter Reichsbürger und Querdenker, die sich über Monate hinweg auf einen "Tag X" vorbereitet haben soll, an dem sie nach den Erkenntnissen von Bundesanwalt Peter Frank die staatliche Ordnung beseitigen wollten. Es gab damals Haftbefehle gegen 22 mutmaßliche Mitglieder einer terroristischen Vereinigung im Reichsbürger-Milieu sowie drei Unterstützer der Gruppierung, darunter eine russische Staatsbürgerin. Angeführt wurde die Gruppe von Heinrich XIII. Prinz Reuß. Die erneuten Razzien stehen im Zusammenhang mit dieser Gruppierung um Heinrich XIII. 

Wer sind die "Reichsbürger"?

In den vergangenen Jahren hat die wachsende Szene der sogenannten Reichsbürger die Sicherheitsbehörden alarmiert. In einem Bericht vom Juni 2022 rechnet der Inlandsgeheimdienst rund 21.000 Menschen zu dieser Szene.

Besorgniserregend sei vor allem das hohe Gewaltpotential der "Reichsbürger": "Etwa 500 Personen verfügen nach wie vor über mindestens eine waffenrechtliche Erlaubnis", warnt das Bundesamt für Verfassungsschutz.

Was ist der ideologische Nährboden?

"Reichsbürger" lehnen die Bundesrepublik Deutschland und ihre demokratischen Strukturen ab, teilweise propagieren sie die Wiedererrichtung eines deutschen Kaiserreichs oder glauben daran, dass im Verborgenen immer noch die Alliierten des Zweiten Weltkriegs herrschen, die Nazi-Deutschland 1945 besiegt haben.

Dabei wird häufig verkürzt von den "Reichsbürgern" gesprochen. Die "Reichsbürger" gibt es aber nicht, wie eine Studie der Amadeu-Antonio-Stiftung aus dem Jahr 2018 betont. Demnach lässt sich das "große, sehr unterschiedliche Milieu der Reichsideologie" in vier Submilieus unterteilen: Souveränisten, Selbstverwalter, "Reichsbürger" und Rechtsextremisten. Die Grenzen sind teilweise fließend.

Dabei sind die Gruppen unterschiedlich stark gewaltbereit, aber alle eint der Glaube, dass Deutschland kein souveräner Staat sei. 

Innerhalb des Reichsideologie-Milieus zählten im Jahr 2021 rund 1150 Personen, also etwas mehr als fünf Prozent, zur Gruppe der Rechtsextremisten. Allerdings bedient sich auch der übrige Teil rechtsextremer Ideologie-Fragmente. Darunter sind antisemitische Verschwörungsmythen oder die Vorstellung, dass das deutsche Staatsgebiet wieder auf frühere Grenzen im Osten ausgedehnt werden sollte.

Wie gefährlich ist die Szene?

In den vergangenen Jahren wurden einige schwere Straftaten aus dem "Reichsbürger"-Milieu bekannt. Immer wieder stehen seine Anhänger wegen Mordes oder versuchten Mordes vor Gericht. Die vom Bundesamt für Verfassungsschutz registrierten Straftaten sind zwischen 2020 und 2021 stark gestiegen, auch die der Gewalttaten.

Timo Reinfrank ist Geschäftsführer der Amadeu-Antonio-Stiftung, die die Zivilgesellschaft gegen Rechtsextremismus stärken will. Für Reinfrank liegt die Militanz schon in der Ideologie der Gruppe begründet. "Weil 'Reichsbürger' die Verfassung und die Legitimität der Sicherheitsbehörden nicht anerkennen, legitimiert ihre Ideologie sie dazu, mit Gewalt zu agieren." Das habe man bei vergangenen Hausdurchsuchungen gesehen oder auch, wenn einzelne Mitglieder in Kontakt mit Gerichtsvollziehern kommen. "Da gibt es eine erhebliche Militanz und Gewaltbereitschaft", sagt Reinfrank. Und: "Das sind keine Leute, die willkürliche Anschläge verüben. Die wollen gezielt die staatliche Grundordnung angreifen, wie gewählte Kommunalpolitiker und -politikerinnen." 

Auch die Proteste gegen die Maßnahmen der Corona-Pandemie hätten noch einmal eine Radikalisierung mit sich gebracht – und dem Milieu neue Unterstützer gebracht. Zunehmend sei zu beobachten, so Reinfrank, wie sich aus punktuellen Protesten gegen Corona-Maßnahmen ein demokratiefeindliches Milieu entwickele. Ein Beispiel ist in seinen Augen eine Demonstration der Gruppe "Freie Geister", die ein Banner mit der Aufschrift "Souveränität. Für die Freiheit unseres Landes" vor sich hergetragen hatte.

Ein Demonstrationszug durch Berlin-Mitte am 9. November 2022Bild: Berlin gegen Nazis

"Die Szene hat sich radikalisiert. Die Menschen werden empfänglicher für die Kernidee des Reichsbürger-Milieus, dass Deutschland und die gewählte Regierung nicht souverän sind", sagt Reinfrank. 

Wie gut vernetzt sind "Reichsbürger"?

Besonders besorgniserregend: Die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft richteten sich im Dezember auch gegen einen Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr und mehrere Reservisten. Auch eine ehemalige Bundestagsabgeordnete der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland war unter den Verdächtigen. Außerdem ein ehemaliger Polizist, der vor seiner Suspendierung für die Sicherheit der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen zuständig war.

Seit Jahren warnen Experten vor rechten Netzwerken bei Sicherheitsbehörden und Bundeswehr. Im Juli 2020 löste die damalige Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer eine ganze Kompanie des KSK auf. Unter Angehörigen der Truppe soll der verbotene Hitlergruß gezeigt worden sein, auf Partys sei unter Extremisten beliebter Rechtsrock gespielt worden. Bei einem Soldaten der Kompanie hatte die Polizei in Sachsen ein Waffenversteck mit Munition und Sprengstoff ausgehoben.

Thüringens Verfassungsschutzpräsident Stephan Kramer wies nach der Großrazzia im Dezember ebenfalls noch einmal auf die Gefahren der Gewalt- und Revolutionsfantasien hin, die über die Reichsbürgerszene hinaus auch die Neue Rechte insgesamt beträfen. Der Deutschen Presse-Agentur sagte er: "Die Szene ist gefährlich und wir tun gut daran, sie nicht kleinzureden." 

Verschwörungsmythen: Autor Tobias Ginsburg im Gespräch

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Mitarbeit: Anne Höhn und Hans Pfeifer

Dieser Text wurde erstmalig am 07.12.2022 veröffentlicht und am 22.03.2023 aktualisiert.

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