1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

"Man fühlt sich komplett hilflos"

Helena Kaschel
13. Juli 2017

Eine Woche nach dem G20-Gipfel ist bei der Hilfe für Betroffene noch manches unklar. Martin Gauer erlebte die Gewalt mit, sein Auto wurde beschädigt. Im DW-Gespräch schildert er seine Erfahrungen.

G20 Gipfel -Gewalt im Schanzenviertel
Plünderer, Randalierer und Aktivisten des Schwarzen Blocks ziehen am 7. Juli durch das Schanzenviertel in HamburgBild: picture-alliance/dpa/M.Scholz

DW: Herr Gauer, die Polizei Hamburg hat auf Anfrage mitgeteilt, dass sie den durch die Krawalle verursachten Schaden noch nicht überblicken kann. Auch, wie viele Hamburger Bürger betroffen sind, sei noch nicht bekannt. Wie haben Sie als Bewohner des Schanzenviertels die Gewalt rund um den G20-Gipfel erlebt?

Martin Gauer: Zunächst habe ich gedacht, uns wird schon nichts passieren, weil wir sehr nah an einer Polizeiwache wohnen. Auch an dem Tag, als in Altona die ersten Autos gebrannt haben, war morgens bei uns noch nichts los. Am Freitagnachmittag hat man eine Demo in der Nähe gehört. Ich bin kurz vor die Tür und habe gesehen, dass die Polizei schon Wasserwerfer eingesetzt hat und Böller und Flaschen geworfen wurden. Da habe ich noch gedacht, ich müsste mein Auto nicht umparken, weil es noch weit genug weg war. Auf einmal kamen aus einer anderen Eckstraße Vermummte, die aus einer Baustelle in unserer Straße die Absperrgitter herausgerissen, daraus eine Barrikade gebaut und irgendwas angezündet haben.

Das ging alles sehr schnell: Innerhalb von fünf Minuten war die Straße voller Menschen und es hat gebrannt. Als die Hundertschaft kam, fingen die Vermummten an, Steine in Richtung Polizei zu werfen. Dabei haben einige dicke Pflastersteine mein Auto getroffen. Ich stand zwei Meter davon entfernt mit unseren Nachbarn hinter unserer gläsernen Eingangstür. Meine Frau hat geweint. Wir hatten alle wirklich Angst, weil wir nicht wussten: Kommen die gleich hier rein und verprügeln uns auch noch? Als sich eine Möglichkeit ergeben hat, habe ich das Auto schnell weggefahren, weil ich nicht wollte, dass es vielleicht auch noch angezündet wird.

Pflastersteine, Glasscheiben, Müll im Schanzenviertel: Noch ist nicht klar, mit wie viel Hilfe die Anwohner rechnen könnenBild: picture alliance/dpa/A.Heimken

Sie haben auf Twitter geschrieben, dass sich der Schaden in Ihrem Fall auf 6000 Euro beläuft. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz hatten direkt im Anschluss an den Gipfel unbürokratische und schnelle Hilfe in Aussicht gestellt. Ist man Ihnen in den ersten Tagen entgegengekommen?

Ich bin nach dem Vorfall zur nächsten Polizeiwache gefahren und habe den Schaden aufnehmen lassen. Am Montag habe ich den Wagen in die Werkstatt gebracht. Die Heckscheibe und die Seitenscheiben auf der Fahrerseite sind kaputt, die Windschutzscheibe hat auch was abgekommen, im Blech auf der Fahrerseite sind einige Dellen und der Kotflügel ist verzogen. Die Versicherung hat mir am Telefon gesagt, dass Vandalismus durch meine Vollkaskoversicherung abgedeckt sei. Natürlich habe ich mich nicht über die 500 Euro Selbstbeteiligung gefreut, ich habe ja nichts getan. Aber immerhin ging bei der Werkstatt alles sehr schnell. Sie meinten, sie würden sich um alles kümmern.

Mit den Papieren aus der Werkstatt habe ich beim Hamburger Verkehrsbund ein kostenloses Monatsticket bekommen. Die verteilt der HVV an G20-Opfer. Dann bin ich noch zu einem der von der Polizei in der Schanze aufgestellten Infostände gegangen. Das war kurz und schmerzlos: Man hat alles aufgeschrieben und mir gesagt, man melde sich, wenn klar sei, inwiefern Frau Merkel das alles zurückzahlen wolle. Auch die 500 Euro Selbstbeteiligung gehörten dazu, meinte der Beamte. Danach hatte ich das Gefühl, es läuft alles.

Das klingt ja ziemlich positiv…

Ja, nur habe ich gestern einen Anruf von der Versicherung bekommen, bei dem mir gesagt wurde, dass sich noch mehr Betroffene gemeldet hätten und man nun doch prüfen müsse, ob es sich um "innere Unruhe" handelt. Die Dame hat aber mit keinem Wort erklärt, was das bedeuten könnte. Ich habe das gegoogelt. Unterm Strich heißt das: Sie zahlen nichts, weil das Risiko unkalkulierbar ist. Die Versicherung will mir bis morgen Bescheid geben, ob sie den Schaden übernimmt. Ich habe bei der Arbeit gesagt, dass ich keinen klaren Gedanken fassen kann und nach Hause fahre. Am meisten macht mir wirklich die verlorene Zeit zu schaffen, das ständige Hin und Her und die Frage, was passiert, bis klar ist, wer wann wie viel Entschädigung bekommt.

Bild: Martin Gauer

Die Bundesregierung und die Stadt Hamburg wollen sich jeweils zur Hälfte an den Entschädigungszahlungen beteiligen. Dafür soll ein Hilfsfonds eingerichtet werden. Es ist allerdings unklar, um wie viel Geld es geht. Nach Medienberichten will Hamburg eine Ansprechstelle für Betroffene einrichten und sich auch um die Forderungen an die Versicherungen kümmern. Für die G20-Opfer könnte also doch noch alles gut ausgehen...

Es hat enorm geholfen, dass direkt gesagt wurde: Irgendwer kümmert sich, irgendwer bezahlt das. Da ist mir schon ein Stein vom Herzen gefallen. 6000 Euro - oder auch nur 500 - schneidet man sich nicht mal eben aus den Rippen.

Insgesamt hat aber das ganze Wochenende bei mir und meiner Frau einen absolut bitteren Nachgeschmack hinterlassen. Auch, wie im Nachhinein darüber gesprochen wird: Jetzt wird sich das Maul zerrissen, wer Schuld hat, wie das zu bewerten ist, ob es Terror war oder nicht und so weiter. Die Opfer werden dabei nicht mehr beachtet. Man fühlt sich einfach komplett hilflos.

Mir als Anwohner bringt die ganze Schuld-Diskussion nichts, ich will einfach, dass mir geholfen wird. Ein bisschen mehr Verständnis wäre schön. Zum Beispiel hat jemand aus Karlsruhe auf Twitter geschrieben, dass man es nicht übertreiben solle und dass man auf keinen Fall von Terror sprechen könne. Für jemanden, der das alles gesehen hat und wirklich Angst um sein Leben hatte, ist das eine andere Erfahrung. Aber da kann sich vielleicht nicht jeder hineindenken.

Wir sind jedenfalls seit Montag auf Wohnungssuche. Hier im Viertel sind ja ständig Demos und bis zum Wochenende hat mich das nie gestört, aber jetzt ist das Thema für uns durch.

Martin Gauer, 29, ist Webentwickler und wohnt mit seiner Frau in der Hamburger Sternschanze.

Das Interview führte Helena Kaschel.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen