Bundesanwaltschaft verdächtigt Russland
4. Dezember 2019Nach dem mutmaßlichen Auftragsmord an einen Georgier in Berlin geht die Bundesanwaltschaft dem Verdacht nach, dass der Mann im Auftrag staatlicher Stellen Russlands oder Tschetscheniens getötet wurde. Dafür gebe es "zureichende tatsächliche Anhaltspunkte", teilte die Behörde in Karlsruhe mit. Deshalb habe die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen übernommen. Bundesinnenminister Horst Seehofer dankte auf einer Pressekonferenz der Bundesanwaltschaft und sagte, die Ermittlungen sagten "etwas über die Bedeutung dieses Verbrechens" aus.
Zuständig ist die Bundesanwaltschaft nur dann, wenn es den konkreten Verdacht gibt, dass der Geheimdienst einer fremden Macht hinter einer Tat steht. Dann wird in Karlsruhe die Spionage-Abteilung tätig. Hintergrund ist, dass "geheimdienstliche Agententätigkeit" die äußere Sicherheit Deutschlands gefährden könnte.
Unterdessen gab das Auswärtige Amt bekannt, Deutschland weise im Zusammenhang mit dem Mord zwei russische Diplomaten aus. Sie seien mit sofortiger Wirkung zu unerwünschten Personen erklärt worden. Mit diesem Schritt reagiere die Bundesregierung darauf, dass die russischen Behörden "trotz wiederholter hochrangiger und nachdrücklicher Aufforderungen nicht hinreichend bei der Aufklärung des Mordes" mitgewirkt hätten, erklärte das Außenministerium in Berlin.
Rückhalt der Kanzlerin
Bundeskanzlerin Angela Merkel verteidigte die Ausweisung der russischen Diplomaten. Am Ende des NATO-Gipfels in London sagte sie, die Bundesregierung habe die Maßnahmen ergriffen, da sie nicht gesehen hätte, "dass Russland uns bei der Aufklärung dieses Mord unterstützt". Merkel habe darüber auch mit NATO-Verbündeten gesprochen. Es sei "bilateral schon ein Ereignis, dass wir von Russland leider keine aktive Hilfe bei der Aufklärung dieses Vorfalls bekommen haben", fügte die Kanzlerin hinzu.
Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter begrüßte die Entscheidung der Bundesregierung und sagte gegenüber der DW, die Ausweisung sei "maßvoll und folgerichtig". Moskau wäre "eindeutig in der Lage gewesen, bei der Identifizierung des Täters zu helfen" und sei nun zur Kooperation aufgerufen.
Am hellichten Tag
Am 23. August war ein 40 Jahre alter Tschetschene mit georgischer Staatsangehörigkeit in einem kleinen Park in Berlin-Moabit von hinten erschossen worden. Sein Mörder hatte sich ihm am helllichten Tag auf einem Fahrrad genähert und auf Rücken und Kopf gezielt. Der mutmaßliche Täter, ein 49 Jahre alter Mann mit russischem Pass, war kurz nach der Tat gefasst worden. Seit seiner Festnahme schweigt er.
Das Mordopfer hatte nach verschiedenen Medienberichten Anfang der 2000er-Jahre auf der Seite muslimischer Tschetschenen gegen Russland gekämpft. Auf den Mann soll es im Mai 2015 in der georgischen Hauptstadt Tiflis schon einmal einen Mordanschlag gegeben haben, den er verletzt überlebte. Nach seiner Flucht aus Georgien stellte der Mann in Deutschland einen Asylantrag. Dort lebte er seit 2016.
"Unfreundlich und unbegründet"
Russland reagierte auf die Entscheidungen Deutschlands und wies jede Verwicklung in den Mord von sich. "Das ist eine absolut haltlose Spekulation", sagte der Sprecher des Kreml, Dimitri Peskow, auf einer Telefonkonferenz. "Dieses Thema wird von den deutschen Medien irgendwie aufgebauscht. Aber das bedeutet nicht, dass die Dinge so gelaufen sind." Er glaube nicht, dass es ernsthafte Verdachtsmomente einer Verwicklung der russischen Behörden gebe.
Aus dem russischen Außenministerium hieß es, Russland wolle nach der Ausweisung seiner Diplomaten ebenfalls Schritte einleiten. Moskau sehe sich gezwungen, darauf zu reagieren, meldete die staatliche Agentur Tass. Das Vorgehen Deutschlands sei unfreundlich und unbegründet.
lh/ww (dpa, rtr, afp)