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PolitikKosovo

Nach gescheiterter Regierungsbildung: Kosovo am Scheideweg

Bekim Shehu (aus Pristina)
30. Oktober 2025

Acht Monate nach den Wahlen bleibt Kosovo ohne funktionsfähige Regierung. Das kleine Balkanland steuert auf mögliche Neuwahlen im Dezember zu. Auch das Mandat von Präsidentin Vjosa Osmani läuft im April 2026 aus.

Ein Mann, der geschäftsführende Premierminister Kosovos, Albin Kurti, steht am Rednerpult des Parlaments und spricht mit weit ausgebreiteten Armen
Albin Kurti versuchte, eine Regierung zu bilden - vergeblichBild: Valdrin Xhemaj/REUTERS

Acht Monate nach den Parlamentswahlen ist Kosovo in eine tiefe institutionelle Krise geraten und steht sehr wahrscheinlich vor Neuwahlen noch in diesem Jahr. Albin Kurti, Vorsitzender der Bewegung Vetevendosje, der das Land mehr als fünf Jahre regiert hat und bei den letzten Wahlen am 9. Februar 2025 rund 42 Prozent der Stimmen erhielt, konnte keine regierungsfähige Mehrheit bilden.

Der amtierende Premierminister erhielt im Parlament kürzlich nur 56 von 120 Stimmen - damit ist er der erste Wahlsieger in der Geschichte des jungen kosovarischen Staates, dem es nicht gelingt, eine Regierungsmehrheit zu bilden. Kurti, dessen Partei Vetevendosje über 48 Abgeordnete verfügt, hätte mindestens 61 Stimmen benötigt. 52 Abgeordnete der bisherigen Oppositionsparteien stimmten gegen ihn, vier enthielten sich.

Leere Regierungsbank im kosovarischen Parlament: Die Regierungsbildung scheiterte am 26.10.2025Bild: Valdrin Xhemaj/REUTERS

Der Parlamentspräsident Kosovos, Dimal Basha, erklärte nach Kurtis Scheitern, dass "die Verantwortung nun auf die Präsidentin Kosovos, Vjosa Osmani, übergeht". Laut Verfassung kann sie Kurti jedoch nicht erneut mit der Regierungsbildung beauftragen.

Gefahr einer Finanzkrise

Ohne eine neue Regierung droht Kosovo auch eine Finanzkrise, da der Haushalt für 2026 nicht verabschiedet werden kann. Präsidentin Osmani, die vor fünf Jahren noch Unterstützerin Kurtis war, wird die politischen Parteien zu einem Kompromiss aufrufen, um zu verhindern, dass das Land ohne Haushalt bleibt.

Ihr Sprecher, Bekim Kupina, erklärte: "Die Präsidentin wird zu einem politischen Kompromiss aufrufen, durch den die Interessen Kosovos und seiner Bürgerinnen und Bürger gewahrt sowie ein Weg nach vorn für die Weiterentwicklung des Landes sichergestellt werden soll." Die Staatschefin werde die politischen Parteien ermutigen zusammenzuarbeiten, "um jede Blockade zu vermeiden, die sich negativ auf das Wohlergehen der Bürger und die Funktionsweise der Institutionen Kosovos auswirken könnte."

Alle schauen nun auf Kosovos Staatspräsidentin Vjosa OsmaniBild: Ludovic Marin/AFP/Getty Images

In einem Brief an Osmani warnten 21 zivilgesellschaftliche Organisationen, dass das Fehlen eines neuen Staatshaushalts die Löhne und Zahlungen an Lehrer, Ärzte, die öffentliche Verwaltung sowie Sozialtransfers für Hunderttausende Bürger lahmlegen würde. "Die finanzielle Zukunft des Landes und das Wohlergehen der Bürger dürfen nicht zum Spielball politischer Blockaden werden", heißt es in dem Schreiben. "Ihre Erfahrung, Ihr Ansehen und Ihre einigende Rolle als Präsidentin können entscheidend sein, um eine Krise zu vermeiden, die viele Familien betreffen würde."

Politische Blockade

Die drei größten Oppositionsparteien - die Demokratische Partei Kosovos (PDK), die Demokratische Liga Kosovos (LDK) und die Allianz für die Zukunft Kosovos (AAK) - lehnen eine Koalition mit Vetevendosje und Albin Kurti ab. Kurti seinerseits weigert sich, eine Koalition mit der serbischen Partei "Srpska Lista" einzugehen, die neun Abgeordnete stellt und von der serbischen Regierung in Belgrad unterstützt wird.

PDK-Chef Memli Krasniqi kritisierte Kurti scharf: "56 Stimmen für Albin Kurti und keine einzige mehr. Das ist das Ende einer politischen Täuschung, die unser Land in den letzten Monaten Isolation, Spaltung und Zeitverlust gekostet hat. Albin Kurti wird nicht mehr Premierminister sein."

In dieser Situation kündigte Kurti Neuwahlen für Dezember 2025 an. Sollte das Ergebnis ähnlich ausfallen wie bei der letzten Abstimmung, drohen erneute Wahlen im Frühjahr 2026. Das fiele dann mit der Wahl des Staatsoberhaupts zusammen, denn das Mandat von Präsidentin Osmani endet nach fünf Jahren im Amt. Eine zweite Amtszeit ist möglich. Im April 2026 müssen die Abgeordneten mit einer Zweidrittelmehrheit entscheiden, ob sie ihr eine weitere Amtszeit ermöglichen oder einen anderen Kandidaten zum Präsidenten wählen.

Verfassungsmäßige Krise

Seit den Parlamentswahlen am 9. Februar konnte sich das Parlament Kosovos monatelang weder konstituieren noch eine Regierung bilden. Erst vor einem Monat wurde ein Parlamentspräsident gewählt und die Volksvertretung konnte sich konstituieren. Allerdings ohne den Vizepräsidenten aus den Reihen der serbischen Vertreter, da die Srpska Lista die Wahl von Nenad Rasic, dem einzigen serbischen Abgeordneten außerhalb dieser Partei, anfechtet. Der Fall liegt nun beim Verfassungsgericht, das die Angelegenheit prüft.

Dimal Basha wurde am 26. August zum Parlamentspräsidenten gewähltBild: Press office of Vetëvendosje (official publications for media)

Die achtmonatige politische und institutionelle Krise hat auch die Ratifizierung des Abkommens über die Reform- und Wachstumsfazilität der Europäischen Union, das EU-Finanzinstrument für den Westbalkan, blockiert. Kosovo könnte aus diesem Paket über 880 Millionen Euro erhalten, bisher wurde jedoch kein Cent ausgezahlt.

Laut Weltbank-Bericht wird das Wirtschaftswachstum im Westbalkan von 3,6 Prozent (2024) auf 3,0 Prozent (2025) zurückgehen. Die größten Einbußen werden für Serbien und Kosovo erwartet, Länder, die seit 2013 im EU-vermittelten Dialog stehen, jedoch ohne nennenswerte Fortschritte.

Schwierigkeiten im Kosovo-Serbien-Dialog

Das Fehlen einer neuen Regierung erschwert auch den Dialog zwischen Kosovo und Serbien. Zwar hat die amtierende Regierung 2025 in Brüssel mehrere Treffen mit dem EU-Sonderbeauftragten für den Dialog, Peter Sorensen, abgehalten, doch die Oppositionsparteien LDK und PDK kritisierten diese Treffen. Sie erklärten, dass "jede Vereinbarung oder Verpflichtung, die in dieser Phase des Dialogs mit Serbien eingegangen wird, keine bindenden Verpflichtungen für Kosovo schafft".

Auch Experten des Kosovo Institute for Justice (IKD) sehen die amtierende Regierung als weder legal noch legitim an, um den Dialog fortzuführen. "Das verfassungsmäßige vierjährige Mandat dieser Regierung endete am 22. März 2025. Seitdem übt sie nur noch geschäftsführende Funktionen aus, die auf die alltägliche Verwaltung öffentlicher Angelegenheiten beschränkt sind", erklärt Naim Jakaj, leitender Forscher am IKD. Seiner Ansicht nach verfügt die amtierende Regierung weder über die politische Unterstützung des Parlaments noch über ein Mandat, um Maßnahmen zu ergreifen, die dauerhafte Folgen für den Staat haben könnten, einschließlich internationaler Vereinbarungen politischer oder rechtlicher Natur. "Der Dialog mit Serbien ist ein Prozess, der politische Entscheidungen auf höchster Ebene und vollständige institutionelle Verantwortung erfordert - etwas, das eine geschäftsführende Regierung laut Verfassung und Gesetz über die Regierung nicht leisten kann", so Jakaj.

Bekim Shehu Korrespondent aus Kosovo, vor allem für DW Albanisch