Vor einer Woche hatten Eis- und Wassermassen das Unglück am Marmolata-Gletscher ausgelöst. Nun zieht die Polizei Bilanz. Die Staatsanwaltschaft ermittelt - denn das Risiko durch hohe Temperaturen war bekannt.
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Knapp eine Woche nach dem Gletscherabbruch in den Dolomiten ist der letzte noch vermisste Bergsteiger gefunden und tot geborgen worden. Damit stieg die Opferzahl des Unglücks auf elf. Alle seien identifiziert worden, sagte der zuständige Polizeibeamte Giampietro Lag. Es gebe derzeit "keine Hinweise", dass weitere Menschen verschüttet worden seien.
Der Sucheinsatz an der Marmolata in der norditalienischen Bergregion ging dennoch weiter: Auch am Wochenende sollten wieder Drohnen in der Nähe des Unglücksorts aufsteigen, teilte der Präsident der Provinz Trient, Maurizio Fugatti, mit. Von den nächsten Tagen an werden drei Teams in drei unterschiedlichen Zonen des Lawinenkegels arbeiten. Bislang hatte sich die Suche auf jeweils ein Gebiet beschränkt. Auch Hunde kamen zum Einsatz. Die Einsatzkräfte suchen weitere Leichenteile und anderes persönliches Material der Unfallopfer, sagte Fugatti.
Bei den Toten handelt es sich um sechs Männer und drei Frauen aus Italien sowie zwei tschechische Bergsteiger. Acht Menschen wurden verletzt, darunter ein Mann und eine Frau aus Deutschland.
Geröll mit 300 Stundenkilometern
Am vergangenen Sonntag war ein Teil des Marmolata-Gletschers abgebrochen, der auf der Nordseite des gleichnamigen höchsten Bergs der Dolomiten liegt. Die Lawine aus Eis, Gestein und Wasser bahnte sich mit einer Geschwindigkeit von mehr als 300 Stundenkilometern ihren Weg ins Tal und riss einige Alpinisten mit sich, die auf dem ausgewiesenen Wanderweg unterwegs waren.
Einige Angehörige von Opfern warfen den italienischen Behörden Fahrlässigkeit vor: Ihrer Ansicht nach hätte das gesamte Gebiet unterhalb des Gletschers abgesperrt werden müssen. Die Staatsanwaltschaft in Trient hat Ermittlungen zur Unglücksursache eingeleitet.
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Der Einfluss der Klimakrise
In ganz Norditalien herrschen derzeit ungewöhnlich hohe Temperaturen und eine schwere Dürre - so muss bereits in etlichen Gemeinden in der Poebene das Trinkwasser rationiert werden. Zudem hatte es in den Dolomiten im Winter deutlich weniger Schnee als in den Vorjahren gegeben. Eine Decke aus Schnee schützt den Gletscher besser als dunkleres Eis oder Gestein vor Erwärmung durch die Sonne.
Hohe Temperaturen und geringere Niederschlagsmengen dürften im Zuge des menschengemachten Klimawandels in Zukunft häufiger werden. Experten befürchten, die Alpen könnten bis Ende dieses Jahrhunderts fast gänzlich eisfrei werden. Der Weltklimarat IPCC zählt die Gletscher- und Schneeschmelze zu den zehn schwersten Bedrohungen durch die Erderwärmung.
Der Klimawandel bedroht die Bergregionen
Die globale Erwärmung bringt die Ökosysteme im Gebirge durcheinander. Das hat Folgen für Wasserversorgung, Landwirtschaft, Pflanzen, Tiere und Tourismus. Aktuelles Beispiel: Der Gletscherbruch in den Dolomiten.
Bild: Borut Zivulovic/REUTERS
Tödliche Lawine: Der Gletscher der Marmolata
Eine enorme Eislawine hat sich im Marmolata-Massiv in den italienischen Alpen gelöst, verursacht durch einen Gletschersturz. Am 3. Juli 2022 hat sie etliche Menschen mitgerissen. Es könnte Wochen dauern, bis alle Toten gefunden und geborgen werden, so die Bergrettung. Extrembergsteiger Reinhold Messner sieht als Hauptgrund für den Gletschersturz die Erderwärmung und den Klimawandel.
Bild: Borut Zivulovic/REUTERS
Sensible Beziehung: Gebirge und Klima
Bergmassive mögen rau erscheinen, sind aber empfindlich - und was sich hier oben abspielt, beeinflusst selbst weit entfernte Tiefebenen. Die Temperaturen steigen im Gebirge deutlich schneller als in anderen Lebensräumen. Wenn Gletscher und Schneedecken schwinden, leiden Gewässer, Artenvielfalt und die Agrarwirtschaft, wie bei diesen Viehhirten in Chinas nordöstlicher Provinz Xinjiang.
Bild: Photoshot/picture alliance
Die große Schmelze: Schnee und Permafrost
Der Weltklimarat IPCC warnt, dass die Schneedecke in niedrigen Lagen um bis zu 80 Prozent zurückgehen könnte, falls der CO2-Ausstoß unvermindert anhält. Die Gletscher in den Alpen würden im selben Umfang abschmelzen - hier der Pasterze Gletscher in Österreich. Rund ein Viertel des weltweiten Permafrosts liegt in Gebirgen. Wenn er taut, setzt das große Mengen an Treibhausgasen frei.
Bild: Gerken & Ernst/imageBROKER/picture alliance
Abtauende Gletscher - austrocknende Seen
Der Klimawandel schadet auch Gewässersystemen - mit einem Wendepunkt: Wenn Gletscher schmelzen, steigt zunächst der Wasserstand in den Flüssen, die sie nähren. Wenn es aber immer weniger Gletscher gibt, liefern sie auch weniger Schmelzwasser. Flüsse und Seen trocknen aus - wie hier im Gebirgszug Cordillera Huayhuash in Peru. Viele Gebiete mit kleineren Gletschern sind bereits an diesem Kipppunkt.
Bild: Wigbert Röth/imageBROKER/picture alliance
Artenvielfalt: Lebensräume schwinden
Es gibt Tiere und Pflanzen in Gebirgsregionen, die vom Klimawandel profitieren: Die in niedrigen Höhenlagen leben, sind klar im Vorteil - sie gedeihen besser in mehr schneefreien Gebieten. Wer aber an die Kälte angepasst ist, zieht den Kürzeren, so wie dieser Schneeschuhhase in Nordamerika oder auch Schneeleoparden in Asien. Sie müssen sich immer höher ins Gebirge zurückziehen, um zu überleben.
Schwindende Gletscher und abtauender Permafrost machen Berghänge instabiler. Die Folge sind mehr Überschwemmungen, Steinschlag, Erdrutsche und Lawinen - hier ein Rettungsteam auf der Suche nach Verschütteten in Norwegen. Waldbrände nehmen zu, vor allem im Westen der USA, weil der Schnee früher schmilzt. Abtauende Gletscher setzen auch Schwermetalle wie Quecksilber und andere Altlasten frei.
Bild: Stian Lysberg Solum/NTB/AP/picture alliance
Bedrohte Lebensart: Bergbewohner
Fast ein Zehntel der Menschheit lebt im Hochgebirge. Aber ihre Lebensweise wird immer mehr an den Rand gedrängt, Erwerbsmöglichkeiten schwinden und Naturkatastrophen nehmen zu. Auch die spirituellen und kulturellen Aspekte der Berge sind beeinträchtigt. Die indigenen Bewohner von Manang in der Annapurna-Region in Nepal sehen durch den Verlust der Gletscher ihre ethnische Identität bedroht.
Bild: Natallia Yaumenenka/Zoonar/picture alliance
Talfahrt: Landwirtschaft und Infrastruktur
Die steigenden Temperaturen versetzen der Landwirtschaft Rückschläge. Dieser Mais- und Kartoffelbauer in Peru klagt über Ernteausfälle. Auch die Infrastruktur leidet, wenn die Fundamente von Straßen, Schienen, Rohrleitungen und Gebäuden wackeln. An manchen Orten ermöglichen tauende Gletscher jetzt den Bergbau - aber der verursacht andere Probleme, etwa Umweltverschmutzung.
Bild: Rodrigo Abd/picture alliance
Wintersport: Skilaufen ohne Schnee
Zu den Opfern der Eis- und Schneeschmelze gehören auch Ski- und Bergtourismus. Bolivien hat in den vergangenen 50 Jahren die Hälfte seiner Gletscher verloren. Vor der höchsten Skihütte der Welt, 5395 Meter hoch auf dem Chacaltaya, rosten die Skilifte vor sich hin. Manchen Touristenorte setzen jetzt Kunstschnee ein, der die Umwelt stark belastet, andere bieten ganz neue Sportarten an.