1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Mehr Schutz für Synagogen in Deutschland

10. Oktober 2019

Es dauerte lange Minuten, bis die Polizei kam. Denn es waren keine Beamten als Wache für die Synagoge abgestellt. Nach dem Terroranschlag von Halle fordern jüdische Gemeinden nun mehr Schutz vom Staat.

Halle am Tag nach dem Anschlag
Bild: Reuters/F. Bensch

Splitter ragen aus der schweren Holztür der Synagoge in Halle. Einschusslöcher klaffen über, unter und neben dem Schloss. Es sind die Spuren des Anschlags vom Mittwoch. Ein rechtsextremer Terrorist erschoss zwei Menschen - eine Frau vor der Synagoge, einen Mann in einem nahegelegenen Imbiss. Hätte das Holz nicht nur gesplittert, die Synagogentür nicht standgehalten, dann hätte der Täter eindringen und hier ein Massaker anrichten können.

Hinter der Tür waren 80 Menschen zum Gottesdienst versammelt, zu Jom Kippur, dem Versöhnungsfest, dem wichtigsten Feiertag der Juden. "Ich musste erst einmal verstehen, was los ist", sagt Gemeindevorsteher Max Privorozki der DW. Privorozki rief dann die Polizei, die Gläubigen rückten Möbel vor die Eingangstür und flohen vor den Schüssen ins Innere des Gebäudes, in die Gemeindeküche. Erst nach mehr als zehn Minuten sei ein Polizeiauto vorgefahren, sagt Privorozki.

Morde hätten verhindert werden können

Es gab also keinen Polizeischutz für die gut besuchte Synagoge in Halle? "In Halle, in Sachsen-Anhalt ist das normal", sagt Privorozki. "Es gibt ständigen Kontakt zur Polizei. Aber nach Aussage der Polizei war es ausreichend, dass sie sporadisch, ich weiß nicht, wie oft, vorbeigefahren sind. Sie haben gesagt: Wenn man die Polizei nicht sieht, heißt das nicht, dass die Polizei nicht da ist."

Gemeindevorsteher Privorozki (2.v.r.) mit Bundespräsident Steinmeier (Mitte) und Zentralratspräsident Schuster (3.v.l.) in HalleBild: Reuters/F. Bensch

Wäre ein Polizist direkt vor Ort gewesen, als Wachposten an der Synagoge, dann hätte der Täter sofort unschädlich gemacht werden können, sagt Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, im Interview mit dem Deutschlandfunk. Die zwei Morde wären so wohl verhindert worden. "Offensichtlich hat man dort die Situation im Vorfeld verkannt und nicht richtig eingeschätzt", so Schuster weiter. 

Bundesinnenminister Horst Seehofer kündigte bei einer Pressekonferenz in Halle einen sofortigen und dauerhaft besseren Schutz für jüdische Einrichtungen in ganz Deutschland an. Die Synagogen müssten allerdings zusätzlich zur Stationierung von Sicherheitskräften auch baulich besser geschützt werden. "Diese Bundesregierung wird alles tun, dass die Juden in unserem Land ohne Bedrohung, ohne Angst leben können», versprach Seehofer und erklärte, er wolle den Verfassungsschutz und das Bundeskriminalamt um Hunderte Stellen aufstocken. 

Synagoge als Trutzburg

Polizeiarbeit ist Ländersache in Deutschland. Doch in den meisten Bundesländern wird mehr für den Schutz von Synagogen getan als in Sachsen-Anhalt. Etwa in Nordrhein-Westfalen. Dort sei der Polizeischutz vor Synagogen und anderen jüdischen Einrichtungen wie Schulen oder Altenheimen stets "hoch", sagt eine Sprecherin des Innenministeriums im Gespräch mit der DW. Über Details rede man nicht, aus Sicherheitsgründen. Nur so viel: Nach dem Anschlag in Halle seien nun mehr Beamte im Einsatz als sonst. "Die Einrichtungen werden 24 Stunden pro Tag, sieben Tage die Woche bewacht."

Vor der Synagogen-Gemeinde in Köln zeigt sich dieser Schutz in Form eines VW-Busses der Polizei. Wie fast an jedem Tag steht er auch heute vor dem Gebäude aus Tuffstein, das von einem Davidsstern gekrönt wird. Von Betonpollern zur Straße hin geschützt, mit seinen schweren Eisentoren und den neo-romanischen Ziertürmchen erinnert das Gotteshaus ein wenig an eine Trutzburg. Heute liegen Blumen vor der Tür.

Kameras, Gitter, Poller: die Synagoge an der Roonstraße in KölnBild: picture-alliance/Arco Images

Um diese und andere Synagogen im Land sicherer zu machen, stellt Nordrhein-Westfalen nicht nur Polizisten zum Wachdienst ab. Das Land hat mit der jüdischen Gemeinde einen Staatsvertrag geschlossen. Darin steht: Drei Millionen Euro pro Jahr gibt NRW aus, um Gebäude der jüdischen Gemeinden sicherer zu machen, etwa mit massiveren Türen, Überwachungskameras oder so genannten Panikräumen, in die man sich bei Gefahr zurückziehen kann. Einige jüdische Gemeinden beauftragen zudem private Sicherheitsdienste, die für zusätzlichen Schutz sorgen sollen. Dabei sind ehemalige israelische Soldaten als Sicherheitsberater jüdischer Einrichtungen rund um die Welt besonders gefragt.

Blumen und Beamte in Berlin

Ein ähnliches Bild wie in Köln zeigt sich vor der Neuen Synagoge an der Oranienburger Straße im Herzen Berlins. Sie wird auch an diesem Donnerstag von der Polizei geschützt, wie immer. Passanten haben Blumen niedergelegt zum Gedenken an die Opfer der Gewalttat. Eine ältere Frau sagt auf die Frage der DW, dass sie hierher gekommen sei, um an einer Mahnwache teilzunehmen, von der sie gehört habe. Die es dann aber doch nicht gab. "Man muss dringend etwas tun. Die Politiker tun nichts. Am 3. Oktober durften hier Neonazis marschieren, und Leute wie ich standen sehr hilflos am Straßenrand." Und ein junger Mann, der für eine christliche Kirche arbeitet, ist aus Solidarität hierhergekommen. "Es liegt schon länger in der Luft, die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen sind so", sagt er. Die jüdischen Gemeinden, findet er, seien gefährdeter als noch vor wenigen Jahren: "Wenn die Gesellschaft sich spaltet, sich polarisiert, dann ist immer die Frage: Was ist mit den Juden?"

Im Blick: Wache vor der Neuen Synagoge in BerlinBild: picture-alliance/dpa/C. Soeder

Besucher aus dem Ausland dagegen machen sich wesentlich weniger Sorgen um die jüdischen Menschen in Deutschland. Aus Australien ist ein älteres jüdisches Ehepaar gekommen. Der Mann sagt: "Wir sind sehr froh, hier die Polizei zu sehen, und wir sind froh, dass Deutschland Verantwortung übernimmt und die Synagogen schützt." Und seine Frau ergänzt, auch in ihrer Heimat müssten Schulen und Synagogen von der Polizei geschützt werden. Auch ein junges Paar aus London ist zwar entsetzt über den Anschlag in Halle, aber die Frau sagt: "Wir sind total glücklich hierhergekommen. Und ich habe mich, seitdem wir hier sind, auch noch überhaupt nicht unsicher gefühlt." 

Der Schutz von Synagogen in Deutschland sei absolut nötig, sagt Israel Ben-Ami Welt, Krisen-Manager des Jüdischen Europäischen Kongresses (EJC). "Für die jüdischen Gemeinden hier in Deutschland ist die Situation sehr kompliziert", so Welt im Gespräch mit der DW. "Auf der einen Seite sind die extremen Rechten in Deutschland sehr stark, aber auch die Dschihadisten sind sehr präsent. Viele von ihnen sind von den Kämpfen im Irak und in Syrien zurückgekehrt." Welt sieht die deutschen Behörden in der Pflicht: "Was man klar sagen muss: Das ist kein Problem der jüdischen Gemeinden. Das ist ein Problem Deutschlands."

Beten ohne Angst

Was wird sich nach dem Anschlag von Halle ändern? In Zukunft werden wohl vor allen Synagogen in Deutschland Polizisten zu sehen sein. Das fordern nun Vertreter der jüdischen Gemeinden, etwa Yehuda Teichtal, Rabbiner der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. "Wir erwarten von den Behörden, dass jede Synagoge in Deutschland während der Gebetszeiten geschützt werden soll", so Teichtal. "Wenn Menschen beten gehen, sollten sie keine Angst haben und wissen, dass sie geschützt sind."

Doch es geht nicht nur um Schutz vor Mord und Totschlag. Teichtal selbst wurde diesen Sommer bespuckt und beschimpft, als er von der Synagoge nach Hause ging, gemeinsam mit seinen Kindern. Antisemitische Angriffe dieser Art findet man vermehrt in deutschen Polizeiberichten. Nach Ansicht vieler bereiten sie den Nährboden, aus dem Taten wie der Angriff in Halle erwachsen. Nach einem Besuch der Synagoge sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier: "Die gesamte Gesellschaft muss Haltung zeigen und entschiedene Solidarität mit den jüdischen Mitmenschen in unserem Land - nicht nur nach Ereignissen wie diesen." 

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen