Nach Israel-Iran-Krieg: Was Israelis von Netanjahu erwarten
29. Juni 2025
Die Waffenruhe zwischen Israel und dem Iran wirkt fragil, doch bisher hält sie. Noch bevor Israels Heimatfrontbehörde alle Beschränkungen des öffentlichen Lebens am Dienstagabend aufhob, hatte in Jerusalem wieder reges Treiben auf den Straßen und in den Cafés geherrscht. Passanten auf dem Markt zeigten sich erleichtert über das Ende des Kriegs. Zwölf Tage lang mussten sie immer wieder in Schutzbunkern Zuflucht suchen. "Ich bin schon erleichtert, dass der Krieg zu Ende ist, aber es ist auch kompliziert, weil wir nie wissen, wem wir trauen können. Einen Tag haben wir Waffenruhe, am nächsten ist sie vorbei", sagte Liba Farkish, die gerade beim Einkauf war, als sie mit der DW sprach.
Nicht wenige hier zeigten sich zufrieden mit Israels Angriff auf den Iran und sind voll des Lobes für Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. "Ich finde, wir haben sie zu einem perfekten Zeitpunkt angegriffen, genau das mussten wir tun. Netanjahu hat sein Bestes gegeben", meint Schülerin Adina Bier. "Sie standen kurz davor, eine Waffe gegen uns in der Hand zu haben. Und ganz ehrlich, wir wurden im letzten Moment gerettet."
Ladeninhaber Avraham Levy ist ein langjähriger Likud-Wähler. Er meint, was Netanjahu getan habe, "hat er nicht nur für Israel getan, sondern für die ganze Welt. Im Iran herrscht ein radikales religiöses Regime, dessen Ziel die Auslöschung Israels ist."
Laut einer kürzlich durchgeführten Blitzumfrage des Meinungsforschungsinstituts Viterbi Family Center for Public Opinion and Policy Research am Israel Democracy Institute (IDI) unterstützen rund 82 Prozent der jüdischen Israelis nicht nur den Angriff Israels auf den Iran selbst, sondern auch den Zeitpunkt des Angriffs.
Netanjahu im Aufwind
Kein anderer israelischer Ministerpräsident hat sich je so lange im Amt gehalten wie Netanjahu - oft wird er sogar als "der Magier" bezeichnet, weil er so viele politische Krisen gemeistert hat. Noch vor einem Monat schien Netanjahu politisch angeschlagen. Wegen seines Umgangs mit dem Gaza-Krieg und seiner offensichtlichen Weigerung, einem Abkommen mit der Hamas zur Freilassung der verbleibenden Geiseln zuzustimmen, schlug ihm im Land und außerhalb wachsende Kritik entgegen.
Jetzt kann Netanjahu geltend machen, dass er seine Drohung, Israels Erzfeind und dessen Atomprogramm anzugreifen, wahr gemacht habe. Seit langem beharrt der Iran darauf, dass sein Atomprogramm friedlichen Zwecken diene. Doch führenden israelischen Politikern zufolge stand der Iran kurz davor, eine Atomwaffe zu bauen.
Mit dem Angriff auf den Iran konnte Netanjahu auch sein Image als Sicherheitsgarant wiederherstellen, das durch den von der Hamas angeführten Terrorangriff am 7. Oktober 2023 stark gelitten hatte. "Was den Angriff auf den Iran betrifft, kennen wir nicht alle Einzelheiten. Aber alles was wir hier seit dem 7. Oktober gesehen haben, deutet darauf hin, dass es im Grunde ein Masterplan der Iraner ist. Und jeder wusste, dass man sich darum kümmern musste. Niemand vertraute wirklich auf eine diplomatische Lösung, sondern nur auf eine militärische", macht Tal Schneider, politische Korrespondentin der Onlineplattform "Times of Israel" im Gespräch mit der DW deutlich.
Wie viel politischen Spielraum hat Netanjahu?
Auch wenn jüngste Umfragen darauf hindeuten, dass Netanjahus Likud-Partei nach dem vermeintlichen Militärerfolg an Beliebtheit gewonnen hat, ist das Bild komplexer. Bei näherer Betrachtung wird deutlich, dass Netanjahus Regierungskoalition bei einer Wahl voraussichtlich nicht die erforderliche Mehrheit erhalten würden, um ihre Regierung fortzuführen.
Er würde wohl ein paar Sitze für seine eigene Partei hinzugewinnen, erklärt Schneider, das allein gäbe ihm wenig Spielraum für künftige Koalitionen, denn die Stimmen seien auf Kosten eines nahen Verbündeten gegangen, der extrem-rechten Otzma Yehudit (Deutsch: "Jüdische Stärke") von Itamar Ben-Gvir, dem Minister für nationale Sicherheit. "Es ist Netanjahu nicht gelungen, Wähler der Mitte zu gewinnen. Menschen, die ihn ablehnen, lehnen ihn weiterhin ab. Trotz dieses großen militärischen und strategischen Erfolgs, den niemand abstreitet."
28 Menschen wurden laut israelischen Behörden durch iranische Luftangriffe getötet, mehr als 1000 verletzt. Im Iran wurden offiziellen Zahlen zufolge 606 Menschen getötet und 5332 verletzt. Andere Quellen nennen höhere Zahlen.
Israelische Kommentatoren lobten zwar die Leistung des israelischen Militärs im Iran - ob die Operation gegen die iranischen Atomanlagen und das ballistische Raketenprogramm wirklich so erfolgreich war, wie von Netanjahu behauptet, bleibt jedoch offen. In einer am Dienstagabend veröffentlichten Stellungnahme erklärte er, Israel habe "einen historischen Sieg errungen, der über Generationen Bestand haben wird".
Unter Druck wegen Gaza
In Israel richtet sich die Aufmerksamkeit nun wieder auf den Krieg gegen die Hamas in Gaza. Am Mittwochmorgen erwachten die Israelis mit der Nachricht, dass sieben Soldaten im südlichen Gazastreifen getötet worden waren. Wie der Radiosender Kan berichtete, befanden sie sich in einem gepanzerten Armeefahrzeug, das offenbar durch einen Sprengsatz in Brand geriet.
"Manchmal muss man einfach das Richtige tun. Trump hat es getan. Wenn Trump es konnte, können Sie es auch. Sie müssen hier und jetzt den unnötigen Krieg in Gaza beenden", schrieb der renommierte Journalist Ben Caspit in der Tageszeitung "Maariv" und wandte sich in seinem Artikel direkt an Netanjahu. "Die besten unserer Söhne sterben dort jetzt, und wofür? Für die Zerstörung weiterer 'terroristischer Infrastruktur? Ist das Ihr Ernst? Hören Sie sich selbst zu?"
Umfragen zeigen durchweg große Unterstützung für ein Geiselabkommen mit der Hamas, das die verbleibenden 50 Geiseln - tot oder lebendig - nach Hause bringen und zu einem Ende Kampfhandlungen führen würde.
"Es ist wichtig für Netanjahu eine Lösung zu finden, denn unseren Erkenntnissen zufolge will die Mehrheit seiner Anhänger, dass die Geiseln heimkehren, selbst wenn das eine Einstellung der Kampfhandlungen - nicht ein Ende des Krieges - bedeutet", sagte Tamar Herman, Forschungsbeauftragte beim Israel Democracy Institute (IDI) und akademische Leiterin des Viterbi Family Center for Public Opinion and Policy Research, der DW. "Wenn er also seine Umfragewerte verbessern will, sollte er in dieser Hinsicht etwas unternehmen."
Einige Menschen auf den Straßen Jerusalems schließen sich dem an. "Wir haben gerade sieben Soldaten in Gaza verloren. Wir sollten versuchen, ein Abkommen zu erzielen, zu Israels Bedingungen. Wir dürfen ihnen nicht mehr erlauben, dass sie (die Hamas, A.d.R.) bestimmen, wie es weitergeht. Dieses Land gehört uns, es sind unsere Leute, sie müssen zurückkommen, wir müssen nur die richtigen Bedingungen finden", sagt Schülerin Adina Bier.
Netanjahus Kritiker werfen ihm schon lange vor, dass er den Krieg gar nicht beenden wolle. Dass er sei nicht gewillt sei, einem neuen Abkommen mit der Hamas zur Freilassung der Geiseln zuzustimmen, weist der Premier vehement zurück. Allerdings haben seine rechts-extremen Koalitionspartner damit gedroht, die Koalition platzen zu lassen, wenn er den Krieg beendet, ohne die Hamas zu stürzen. "Er muss das Problem in Gaza lösen, bevor er unsere Probleme im Iran löst", fordert die Passantin Inbal Leibovitch. "Das Wichtigste sind Gaza und die Geiseln."
Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.