Der Journalist Deniz Yücel schmeißt hin: Hintergrund ist ein heftiger Streit innerhalb der Führungsriege der Schriftstellervereinigung PEN. Yücel sparte nicht an Kritik an dem Verband und dessen Präsidium.
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Der Journalist und Publizist Deniz Yücel hat nach einem Machtkampf im deutschen PEN-Zentrum überraschend seinen Rücktritt erklärt. "Ich möchte nicht Präsident dieser Bratwurstbude sein", sagte der Journalist am Freitag auf der PEN-Mitgliederversammlung. Zuvor wurde ein Antrag auf seine Abwahl nur knapp abgelehnt. Von 161 abgegebenen gültigen Stimmen votierten 75 gegen Yücels Abberufung, 73 dafür.
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Umstrittener Präsident
Das PEN-Präsidium, an dessen Spitze Deniz Yücel stand, war erst im vergangenen Oktober gewählt worden und hatte zuletzt mit heftigem Streit und Machtkämpfen für Schlagzeilen gesorgt. Das führte zu großen Verwerfungen in den Reihen der Mitglieder.
Bei dem Streit ging es unter anderem um Beleidigungen, Mobbingvorwürfe und den Umgangston. Die Vorwürfe beziehen sich auf einen umfassenden Mailwechsel im Präsidium. Der Führungsstil des Präsidiums wurde auf der aktuellen PEN-Mitgliederversammlung in Gotha hitzig und in sehr aufgebrachter Stimmung debattiert. Mitglieder äußerten die Sorge, dass die Grabenkämpfe das Image des PEN-Zentrums nachhaltig beschädigen könnten.
Leben und Schreiben im Exil
Wenn das Publizieren im eigenen Land zu gefährlich wird, gibt es für viele Schriftsteller nur eine Möglichkeit, um weiter schreiben zu können: die Flucht ins Exil.
Bild: Stuart Dee/robertharding/picture alliance
Stella Nyanzi aus Uganda
"Lächeln als Waffe, um jene zu verblüffen, die uns brechen wollen", so lautet der Schluss eines ihrer Gedichte. Stella Nyanzi schreibt im Stil der "radikalen Unhöflichkeit" gegen das Patriarchat in Uganda. Sie saß mehrmals in Haft, u.a. wegen Beleidigung des Präsidenten und dessen Frau, die sie als "ein paar Arschbacken" bezeichnet hat. Heute lebt die PEN-Stipendiatin in München.
Bild: Sumy Sadurni/AFP/Getty Images
Abdulrazak Gurnah aus Sansibar (Tansania)
Gurnah stammt von der zu Tansania gehörenden Insel Sansibar. Der damalige Präsident Karume hatte es auf den arabischstämmigen Teil der Bevölkerung abgesehen. Der spätere Literaturnobelpreisträger, der arabische Vorfahren hat, floh 1968 ins Exil. Zu seinen wichtigsten Werken gehört der Roman "Schwarz auf Weiß", in dem er die Vertreibung der Araber durch die schwarze Bevölkerung thematisiert.
Bild: Matt Dunham/AP/picture alliance
Isabel Allende aus Chile
"Das Geisterhaus", in dem sie die politischen Veränderungen vor und nach dem Militärputsch in Chile (1973) darstellt, ist ihr größter Erfolg. Allende, die 1975 ins Exil nach Venezuela ging, ist eine der meistgelesenen Autorinnen in spanischer Sprache. "Es ist gut, in einer fremden Umgebung zu sein, wenn man schreibt. Es zwingt einen, die Welt aufmerksamer zu beobachten und zuzuhören", sagt sie.
Bild: Oscar Gonzalez/NurPhoto/picture alliance
Wendy Law-Yone aus Myanmar
Vor dem Militärputsch gründete ihr Vater die Zeitung "The Nation", die erste englischsprachige Zeitung im unabhängigen Burma. Dann kam 1962 der Militärputsch, ihr Vater wurde verhaftet. Fünf Jahre später verließ sie ihr Geburtsland als Staatenlose. Seither lebt sie in London und der Provence. Zu ihren bekanntesten Büchern zählt die Autobiografie "A Daughter's Memoir of Burma" (2014).
Bild: Jörg Sundermeier
Taslima Nasrin aus Bangladesch
Die Autorin des Erfolgsromans "Scham" kämpft seit Jahren gegen den islamischen Fundamentalismus. 1993 hatten islamische Geistliche wegen der feministischen und religionskritischen Aussagen Taslima Nasrins in einer Fatwa zu ihrer Tötung aufgerufen. Nasrin floh aus ihrem Land, nachdem sie mehrere Drohungen von islamistischen Gruppen erhalten hatte, und lebt seitdem in vielen Ländern.
Bild: Chandan Khanna/AFP/Getty Images
Salman Rushdie aus Indien
Salman Rushdie stammt aus dem indischen Bombay, wo er am 19. Juni 1947 als Sohn einer muslimischen Familie geboren wurde. Sein erster Roman floppte, der zweite, "Mitternachtskinder", machte ihn berühmt. Sein Werk "Die satanischen Verse" brachte ihm Todesdrohungen ein. 2007 hat Königin Elizabeth II. den vielfach ausgezeichneten Autor und Kämpfer für die Meinungsfreiheit zum Ritter geschlagen.
Bild: Hannelore Foerster/Getty Images
Bei Ling aus China
Bei Ling wuchs in Shanghai und Peking auf, bis er 1988 erstmals in die USA reiste. Dort lernte er andere Exil-Chinesen wie Ai Weiwei und Liu Xiaobo kennen. Als er 2000 in seine Heimat zurückkehrte, wurde er kurzzeitig inhaftiert. Seit dem Haftaufenthalt in China lebt Bei Ling im Exil. Eins seiner bedeutendsten Bücher trägt den Titel: "Exiled: On China".
Bild: gezett/imago stock&people
SAID aus dem Iran
SAID, mit bürgerlichem Namen Said Mirhadi, wird 1947 in Teheran geboren. 1965 geht er fürs Studium nach Deutschland, wo er auch seine literarische Heimat findet. Zeit seines Lebens ist der Schriftsteller, dessen Künstlername "Der Glückliche" bedeutet, von Heimatlosigkeit und Einsamkeit geprägt. Das Exil ist seine literarische Inspiration und gleichzeitig die Quelle seines inneren Zwiespalts.
Bild: Martin Schutt/dpa/picture alliance
Mahmoud Darwisch, palästinensischer Autor
Mahmoud Darwisch war einer der einflussreichsten Lyriker der arabischen Sprache. Er hatte den Kampf um die Unabhängigkeit Palästinas immer wieder zum Thema gemacht. Als Mitglied der israelischen KP wurde er mehrfach inhaftiert. Dann floh er ins Exil und lebte in Beirut, Tunis, Paris. "Ein Gedächtnis für das Vergessen" und "Der Würfelspieler" gehören zu seinen berühmtesten Gedichtbänden.
Bild: Frank May/dpa/picture-alliance
Alexander Solschenizyn aus Russland
Bekannt wurde er mit "Der Archipel Gulag", in dem er über die Verbrechen des Sowjetregimes schrieb. Acht Jahre verbrachte er in Straflagern, 1974 wurde er ausgewiesen. 1994 kehrte er zurück und wurde zu einem Befürworter der russischen Politik und Unterstützer Putins. Von einer Symbolfigur des Widerstandes zum Verbündeten der autoritären Kräfte in Russland: Sein Erbe bleibt umstritten.
Bild: Sven Simon/imago images
Bertolt Brecht aus Deutschland
Einen Tag nach dem Reichstagsbrand im Februar 1933 floh Bertolt Brecht mit seiner Familie nach Paris und später weiter nach Dänemark. Kurz darauf wurden seine Bücher verbrannt und verboten. Seine Theaterinszenierungen waren lange davor von SA-Trupps gestört worden. 1941 zog Brecht mit Helene Weigel nach Los Angeles, erst 1949 kehrten sie nach Berlin zurück - in den Osten der geteilten Stadt.
Bild: HLG/ASSOCIATED PRESS/picture alliance
Thomas Mann aus Deutschland
Der berühmte Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger ("Buddenbrooks") nannte das Erstarken der Nationalsozialisten 1930 eine "exzentrische Barbarei". Im Frühjahr 1933 entschied die ganze Familie, aus den Ferien in der Schweiz nicht zurückzukehren. Sie zog erst nach Frankreich und siedelte 1938 in die USA über. Das Thomas-Mann-Haus nahe Los Angeles ist heute ein deutsches Kulturzentrum.
Bild: Fritz Eschen/akg-images/picture alliance
Hannah Arendt aus Deutschland
In der Hinwendung deutscher Publizisten und Philosophen zum Nationalsozialismus, etwa von Martin Heidegger, sah Hannah Arendt ein Versagen der Denker. 1933 emigrierte sie mit ihrem Mann nach Paris und verhalf jüdischen Jugendlichen zur Flucht nach Palästina. Als 1940 zahlreiche deutsche Flüchtlinge in Paris interniert wurden, floh Arendt mit ihrer Mutter und ihrem zweiten Ehemann nach New York.
Bild: AP/picture alliance
Vladimir Nabokov aus Russland
Nabokovs Leben war ein Leben auf der Flucht - zuerst floh die Familie 1917 vor den Bolschewiken nach Deutschland, nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten musste er ein weiteres Mal fliehen. Zusammen mit seiner jüdischen Frau emigrierte er in die USA. Bekannt wurde er durch seinen Roman "Lolita" (1955). In den 1960ern kehrte er wieder nach Europa zurück. Er starb in der Schweiz.
Bild: Pino/MP/Leemage/picture-alliance
Iwan Bunin aus Russland
Um 1900 war Bunin ein berühmter Autor von Kurzgeschichten. Als Gegner der Oktoberrevolution musste er 1918 Moskau in Richtung Odessa verlassen. Ein Jahr später sah er sich gezwungen, aus seiner Heimat für immer zu fliehen. Er ging nach Frankreich, wo er bis zu seinem Tod lebte. Als erster Russe erhielt er 1933 den Literaturnobelpreis. "Das Leben Arsenjews" ist eines seiner berühmtesten Werke.
Bild: akg-images/picture alliance
Victor Hugo aus Frankreich
Der Schriftsteller von "Der Glöckner von Notre-Dame" und "Les Misérales" hatte sich Mitte des 19. Jahrhunderts gegen den Staatsstreich aufgelehnt, mit dem sich Bonaparte 1851 zum Präsidenten auf Lebenszeit machte. Daraufhin wurde er aus Frankreich verbannt. Auch im Exil blieb er seinem Engagement für die Gleichheit der Menschen, gegen die Todesstrafe und das Elend, unter dem das Volk litt, treu.
Bild: Photo12/imago images
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Buhrufe und Beleidigungen
Deniz Yücel, der wegen angeblicher Terrorpropaganda ein Jahr in türkischer Untersuchungshaft saß, hatte sich gleich zum Auftakt des Treffens mit Buhrufen und Beleidigungen konfrontiert gesehen. Vor seinem Rücktritt hatte er auch Fehler eingeräumt: Das Präsidium, das PEN zurück auf die Höhe der Zeit führen wolle, habe gleich mehrere latente Probleme geerbt, hieß es in einem von ihm vorgelegten Bericht. Die schwelenden Konflikte und Spannungen wären, wenn nicht in diesem Präsidium, dann in einem anderen ausgebrochen.
Er sehe den PEN trotz der Konflikte aber gut aufgestellt, so der 48-Jährige. Dafür spreche auch das gewachsene Interesse der Öffentlichkeit an der Schriftstellervereinigung. Es gehe bei den Querelen nicht um einen Generationenkonflikt, betonte Yücel, der in Gotha auch öffentlich machte, zu Jahresbeginn an einer Depression gelitten zu haben.
Am Ende entschied er sich dennoch zu gehen: Zu den Streitigkeiten innerhalb des Präsidiums sagte Yücel in Gotha: "Ich habe es nicht nötig - take it or leave it, PEN."
Das PEN-Zentrum Deutschland mit nach eigenen Angaben 770 Mitgliedern ist eine der weltweit mehr als 140 Schriftstellervereinigungen, die im internationalen PEN vereint sind. Die drei Buchstaben stehen für die Wörter Poets, Essayists und Novelists.