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PolitikAsien

Nach Schlagabtausch: Iran und Pakistan wollen deeskalieren

19. Januar 2024

Nach dem Beschuss seines Territoriums durch den Iran hat Pakistan nun iranisches Gebiet attackiert. Nun bemühen sich beide Seiten um eine Entschärfung der Situation. Doch Iran griff zuletzt auch andere Länder an.

Spuren eines Einschlags pakistanischer Raketen in der iranischen Grenzregion Belutschistan
Spuren eines Einschlags pakistanischer Raketen in der iranischen Grenzregion BelutschistanBild: Ghani Kakar/DW

Auf die militärische Reaktion folgte die Warnung. Die pakistanischen Streitkräfte seien "in extrem hoher Alarmbereitschaft", hieß es am Donnerstag aus ranghohen Sicherheitskreisen des Landes. Auf jedes "Missgeschick" der iranischen Seite werde Pakistan energisch reagieren. Pakistan hatte Ziele auf iranischem Territorium, insbesondere in der Grenzstadt Saravan, beschossen, nachdem der Iran vor zwei Tagen Stellungen einer Miliz auf pakistanischem Territorium attackiert hatte. Das iranische Staatsfernsehen berichtete, in einem Dorf in Grenznähe seien drei Frauen und vier Kinder getötet worden. Dabei handele es sich nicht um iranische Staatsbürger.

Das pakistanische Außenministerium sprach am Donnerstag von "gezielten militärischen Präzisionsangriffen gegen Terroristen-Verstecke in der iranischen Provinz Sistan-Belutschistan" im Südosten des Nachbarlandes. Die Angriffe seien angesichts "glaubwürdiger Geheimdienstinformationen" über bevorstehende "terroristische Aktivitäten von großem Ausmaß" beschlossen worden. Dabei seien mehrere "Terroristen" getötet worden. Iranische Staatsmedien meldeten den Tod von neun Menschen. 

Iranische Angriffe auch auf andere Staaten

Die Attacke auf pakistanisches Territorium, die dem Angriff Pakistans vorangegangen war, ist nicht der einzige Militäraktion gegen ein Nachbarland, die der Iran in den vergangenen Tagen unternommen hat . Erst in der Nacht zum Dienstag hatte das Land Ziele in Syrien und im Irak attackiert. In Erbil, der Hauptstadt der autonomen Kurdenregion im Norden des Landes, waren mehrere iranische Raketen eingeschlagen. Irans staatliche Nachrichtenagentur Irna erklärte, die paramilitärische Einheit der Revolutionsgarden habe ein "Spionagehauptquartier" des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad sowie eine "Versammlung anti-iranischer Terrorgruppen" in Erbil angegriffen. Bei dem Angriff wurden nach irakischen Angaben mindestens vier Zivilisten getötet und sechs Menschen verletzt.  

In Syrien hatten die Revolutionswächter ihrer eigenen Darstellung nach vor allem die Terrorgruppe "Islamischer Staat" (IS) in den besetzten Gebieten Syriens ausfindig gemacht und durch den Abschuss einer Reihe von ballistischen Raketen zerstört.

Feuer nach dem pakistanischen Raketenangriff auf die Regionen Sistan und BelutschistanBild: Tasnim

Experten: Angriffe sollen die eigenen Leute beruhigen

Die Attacken stünden in Zusammenhang mit dem Anfang Januar verübten Anschlag in der Stadt Kerman in der Nähe des Grabes des 2020 von den USA getöteten ehemaligen Kommandanten der Revolutionsgarden, Kassem Soleimani, sagt die Politologin Sara Bazoobandi vom German Institute for Global and Area Studies (GIGA) im DW-Interview. Dabei waren rund 90 Personen getötet worden. Zu dem Anschlag hatte sich der IS bekannt. "Die Regierung hat sich zu dem Anschlag bislang kaum geäußert", so Bazoobandi. Auch über die Hintergründe sei bislang kaum etwas bekannt. "Vor allem können Regierung und Sicherheitsbehörden nicht erklären, warum sie einen derartigen Anschlag nicht verhindern konnten." 

Auch die tödliche Attacke auf den General der Revolutionsgarden Sayyed Razi Mousavi Ende Dezember in Syrien durch Israel habe bei den Anhängern des Regimes erhebliche Bestürzung ausgelöst, so Bazoobandi. Wenn das Regime nun unsystematisch Ziele jenseits seiner Grenzen angreife, wolle es damit zum Ausdruck bringen, dass es weiterhin stark sei. "Dazu passt auch die Erklärung, ein bei dem Angriff in Syrien getöteter kurdischer Geschäftsmann sei ein Spion in Diensten Israels gewesen. Letztlich geht es dem Regime darum, seine Anhänger durch eher zufällig ausgewählte Angriffe bei Laune zu halten."

Ähnlich sieht es der Politologe Ali Fathollah-Nejad, Direktor des Think Tank Center for Middle East and Global Order (CMEG). Der Iran verfolge durch die Attacken in erster Linie lokale und regionale Ziele. Die allerdings habe er nicht erreicht, schreibt er im Kurznachrichtendienst X: die offenbar erwünschte Eskalation sei ausgeblieben. Stattdessen habe das Land nun auch seinen Nachbarn Pakistan gegen sich aufgebracht.

"Wir wollen die Situation entschärfen"

Welche Motivation hinter dem Angriff auf Pakistan steht, ist aber noch unklar. Die Bewohner der Grenzregion zum Iran stünden seit langem unter Druck, sagt die dort lebende Koh e Mola Bakhsh Dashti aus der Region Koh e Sabz im Südwesten Pakistans. Der Angriff von dieser Woche sei nicht der erste dieser Art, so die Pakistanerin. "Wir sind an die Angriffe iranischer Streitkräfte gewöhnt. Der einzige Unterschied besteht darin, dass Menschen starben und Pakistan sich revanchierte. Hätte es sich um einen normalen Angriff ohne Todesopfer gehandelt, hätte sich niemand daran gestört."

 

Nach Aussage eines ehemaligen Sprechers der militanten, für die Unabhängigkeit der iranischen Provinzen Sistan und Belutschistan eintretenden Separatistenorganisation Jaish ul Adal - sie hat sich in der Vergangenheit zu einer Reihe von Überfällen auf das iranische Militär bekannt - war der Beschuss pakistanischen Territoriums seitens der Regierung in Teheran ursprünglich gar nicht geplant. Vielmehr habe die Regierung versucht, Mitgliedert der Gruppe ins Visier zu nehmen und habe die Raketen aus Versehen abgefeuert", so der Sprecher, der seinen Namen nicht veröffentlicht sehen will, gegenüber der DW. 

Sein Land habe aber auf die Attacke reagieren müssen, sagt der pakistanische Sicherheitsexperte Raashid Wali Janjua im Gespräch mit der DW.  "Die nationale Souveränität wurde verletzt. Pakistan stand unter Druck zu reagieren, da Zivilisten ins Visier genommen wurden." Nun aber gehe es darum, die Situation wider in den Griff zu bekommen. "Wir wollen die Lage nicht weiter eskalieren, sondern sie im Gegenteil entschärfen. Jetzt wird die Reaktion des Iran eine wichtige Rolle spielen. Wir hoffen, das Land handelt verantwortungsbewusst. Dann wird die Eskalation nach diesen beiden traurigen Vorfällen aufhören."

Teheran spielt Angriff herunter

Die iranischen Behörden und staatlichen Medien versuchen ihrerseits, den Gegenangriff Pakistans auf den Iran herunterzuspielen. Die Nachrichtenagentur Tasnim, die den Revolutionsgarden nahesteht, veröffentlichte ein Video, in dem Mumtaz Zahra Baloch, die Sprecherin des pakistanischen Außenministeriums, betont, Iran sei ein Bruderland und die Menschen in Pakistan hätten großen Respekt vor der iranischen Nation. "Wir haben nicht den Wunsch, die Spannungen eskalieren zu lassen, und angesichts der brüderlichen Beziehungen zwischen den beiden Ländern ist zu erwarten, dass keine Maßnahmen ergriffen werden, die die Sicherheit der Region beeinträchtigen", erklärte Mumtaz Zahra Baloch.

Um Deeskalation bemüht: Die Sprecherin des pakistanischen Außenministeriums Mumtaz Zahra BalochBild: Muhammet Nazim Tasci/Anadolu/picture alliance

Am Donnerstagmorgen äußerte sich der iranische Innenminister gegenüber den Medien zu den Ereignissen in Saravan. Er sprach von "Explosionen" in der Stadt Saravan. Den Begriff "Angriff" vermied er. 

In sozialen Netzwerken finden sich zahlreiche Kommentare wütender Iraner, die ihre Unzufriedenheit über die Reaktion der iranischen Regierung auf den Gegenangriff Pakistans auf Belutschistan zum Ausdruck bringen. Der Aktivist Khalil Balouch aus Belutschistan schreibt auf Twitter:

"Der durch Pakistans Raketenangriffe auf Saravan-Belutschistan verursachte Schaden ist sehr hoch. Häuser wurden zerstört, die Bilder sind äußerst herzzerreißend. Und sie behaupten dreist im staatlichen Fernsehen, dass bei diesem Angriff kein Iraner getötet wurde."

Der von Belutschen bewohnte Südosten Irans gehört zu den ärmsten Gegenden des Landes. In vielen Dörfern der Provinz Sistan und Belutschistan leben Flüchtlinge in der zweiten oder dritten Generation, die im Iran geboren und aufgewachsen sind. Dass sie nun den Preis für den iranischen Angriff auf Pakistan und die daraus resultierende Reaktion zahlen müssen, macht viele Iraner wütend.

Mitarbeit: Shabnam von Hein und Rabia Bugti.

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Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika