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PolitikIsrael

Nach Sinwars Tod: Wie stark wächst der Druck auf Israel?

Andreas Noll
19. Oktober 2024

Nach der Tötung von Hamas-Chef Jihia al-Sinwar geht der Krieg im Nahen Osten weiter. Doch die Kritik aus dem Westen wächst: Die USA, Italien und Frankreich erhöhen den Druck auf Israel. Berlin verfolgt andere Pläne.

Frankreichs Präsident Macron (li.) und Israels Ministerpräsident Netanjahu (Oktober 2023) reichen sich auf einer Pressekonferenz die Hand. Im Hintergrund die israelische Flagge
Überziehen sich gegenseitig mit Kritik: Frankreichs Präsident Macron (li.) und Israels Ministerpräsident Netanjahu (Oktober 2023)Bild: CHRISTOPHE ENA/AFP

Auch nach dem Tod von Hamas-Chef Jihia al-Sinwar hält Israel den militärischen Druck auf seine Gegner aufrecht. Das Militär setzt die Angriffe auf den Gazastreifen und Ziele im Libanon fort. Im Gazastreifen selbst ist aktuell noch völlig offen, wer Sinwars Nachfolge antreten und welchen Kurs ein neuer Hamas-Chef einschlagen wird.

US-Präsident Joe Biden hofft trotzdem auf ein Momentum für eine politische Lösung: "Jihia al-Sinwar war ein unüberwindliches Hindernis für die Erreichung all dieser Ziele. Dieses Hindernis besteht nun nicht mehr", reagierte Biden auf die Todesnachricht Sinwars. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz, Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron und der britische Premier Keir Starmer setzen auf Verhandlungen und eine Waffenruhe. Konkrete Details dazu wurden nach einem Treffen der vier Politiker in Berlin am Freitag allerdings nicht bekannt. In den Tagen zuvor hatten westliche Staaten den Druck auf Israel aber erhöht.

Reduzieren die USA ihre Militärhilfe für Israel?

Nicht am Telefon oder in einer Pressekonferenz, sondern schriftlich in einem Brief haben US-Außenminister Antony Blinken und Verteidigungsminister Lloyd Austin der israelischen Regierung eine Frist gesetzt, um die humanitäre Lage im Gazastreifen zu verbessern. In einem von den Ministern unterzeichneten Brief vom 13. Oktober äußern sie "tiefe Besorgnis" über die humanitäre Lage im Gazastreifen. Parallel dazu übte das Weiße Haus in dieser Woche auch massive Kritik an den fast täglichen israelischen Angriffe auf dicht besiedelte Gebiete in Beirut.

Drahtseilakt für die Wahlkämpferin: Vizepräsidentin Kamala Harris (r.) mit Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu im Juli 2024Bild: Julia Nikhinson/dpa/AP/picture alliance

"Der Brief mit den Forderungen ist eine Reaktion auf die katastrophale humanitäre Lage in Gaza, die sich weiter zu verschlechtern droht", analysiert die USA-Expertin Rachel Tausendfreund von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin. Die US-Regierung wirft Israel vor, für einen deutlichen Rückgang der humanitären Hilfe verantwortlich zu sein. Sollte sich diese Situation in den nächsten 30 Tagen nicht ändern, sei die amerikanische Militärhilfe für Israel gefährdet.

Welche Rolle spielt der Krieg im Wahlkampf?

Vor allem für die demokratische Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris gleicht die Nahostpolitik im Wahlkampf einem Drahtseilakt. Der republikanische Kandidat Donald Trump hatte ihr beim TV-Duell im September vorgeworfen, eine Israel-Hasserin zu sein.

Die enge Zusammenarbeit der Regierung Biden/Harris mit Israel stößt bei den arabischstämmigen Einwohnern in den USA auf Ablehnung. Zwar ist deren Anteil an der US-Bevölkerung mit rund einem Prozent sehr gering, doch im Swing State Michigan, wo mit Dearborn die "muslimische Hauptstadt der USA" liegt, könnte die arabischstämmige Wählergruppe am 5. November eine entscheidende Rolle spielen. Kamala Harris forderte die israelische Regierung Anfang der Woche via Twitter auf, die Hilfslieferungen zu beschleunigen.

Der Wahlkampf, so USA-Experte Tausendfreund, sei aber nicht der zentrale Grund für die jüngste Kritik aus Washington an der Regierung von Benjamin Netanjahu. Mit einem schärferen Kurs könne Harris zwar einerseits Wähler gewinnen, andererseits aber auch verlieren. 

Geht Frankreich auf kalkulierte Konfrontation?

Den Tod von Hamas-Chef Sinwar hat Frankreich Staatspräsident Macron als "militärischen Erfolg Israels" begrüßt. Frankreich habe immer an der Seite Israels gestanden. "Die Existenz und die Sicherheit Israels sind für Frankreich und die Franzosen unantastbar", sagte der Präsident am Rande eines EU-Gipfels in Brüssel.

Versöhnliche Worte nachdem beide Seiten sich zuvor gegenseitig schwere Vorwürfe gemacht haben. Macron hatte scharfe Kritik an Ministerpräsident Netanjahu geübt und israelische Firmen von einer Marinemesse in Frankreich ausladen lassen. "Frankreich verfolgt eine feindselige Politik gegenüber dem jüdischen Volk", wetterte Israels Verteidigungsminister Yoav Gallant auf dem Kurznachrichtendienst X, ehemals Twitter.

Für alle sichtbar geworden war die Krise in den israelisch-französischen Beziehungen Anfang Oktober im Streit um ein Waffenembargo. "Die Priorität muss heute sein, eine politische Lösung zu finden, und die Waffenlieferungen für die Kämpfe in Gaza zu stoppen", sagte Präsident Macron damals im Podcast "Etcetera". "Frankreich liefert keine. Wenn man zu einem Waffenstillstand aufruft, ist es konsequent, keine Kriegswaffen zu liefern." Israels Ministerpräsident Netanjahu nannte die Forderungen Macrons eine "Schande".

Um die humanitäre Hilfe im Gazastreifen zu verbessern, fordert Frankreich eine WaffenruheBild: Mahmoud Issa/PIN/IMAGO

Praktisch allerdings fallen die Exporte Frankreichs kaum ins Gewicht. Laut einer aktuellen Studie des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRIstammen die letzten größeren Waffenexporte Frankreichs nach Israel aus dem Jahr 1998. Größeren Einfluss hat in diesen Zusammenhang die Tatsache, dass auch Rom schon vor Monaten die Rüstungslieferungen gestoppt hat. Neben den USA und Deutschland gehörte Italien zwischen 2019 und 2023 zu den Hauptlieferanten von Rüstungsgütern an Israel.

"Nach dem Beginn der [israelischen] Militäroperationen in Gaza hat die Regierung sofort alle neuen Exportlizenzen ausgesetzt, und alle nach dem 7. Oktober unterzeichneten Abkommen wurden nicht umgesetzt", hatte die italienische Regierungschefin Giorgia Meloni in dieser Woche in Rom erklärt.

Welche Ziele hat Frankreich im Nahen Osten?

Die Kritik Macrons an der israelischen Kriegführung lässt sich nicht nur mit der hohen Zahl ziviler Opfer im Nahen Osten erklären. Emmanuel Macron, so betonen seine Berater, glaube nicht an eine gewaltsame Transformation des Nahen Ostens, wie sie der israelische Ministerpräsident anstrebe.

Zudem fühle sich Macron von Netanjahu getäuscht, weil Israel im September einen französisch-amerikanischen Vorschlag für eine dreiwöchige Waffenruhe mit der Hisbollah entgegen vorheriger Ankündigungen nicht angenommen habe.

Macron dürfte in dieser Krise eine gewisse Machtlosigkeit spüren, wie es in der Vergangenheit sein Berater Aurélien Le Chevallier gegenüber der Zeitung "Le Figaro" formuliert hat. Doch gerade im Libanon, wo Frankreich bis 1941 als Mandatsmacht engagiert war, sieht sich Paris bis heute als Schrittmacher und beansprucht Einfluss und Mitsprache. Das belegt auch die Ausrichtung einer Libanon-Konferenz mit Präsident Macron, die am kommenden Donnerstag in Paris stattfinden soll.

Hinzu kommen langfristige Aspekte: Frankreich legt Wert auf eine unabhängige Außenpolitik und ist sehr darauf bedacht, die Interessen der Palästinenser zu wahren. Als ehemalige Kolonialmacht achtet Paris auch auf gute Beziehungen zur arabischen Welt. Die große arabischstämmige Minderheit ist in Frankreich zudem ein politischer Faktor.

Deutscher Streit um Rüstungsexporte nach Israel

Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz, aber auch seine Vorgängerin Angela Merkel haben hingegen immer wieder deutlich gemacht: Die Sicherheit Israels ist deutsche Staatsräson.

Trotzdem tobt seit gut einer Woche ein Streit zwischen Opposition und Regierung um Rüstungsexporte nach Israel. Der Vorwurf: Außenministerin Annalena Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck blockierten Waffenlieferungen an den Verbündeten.

Will weiter Rüstungsgüter nach Israel schicken: Bundeskanzler Olaf ScholzBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Noch im vergangen Jahr hatte die Bundesregierung Rüstungsexporte in Höhe von 326,5 Millionen Euro nach Israel genehmigt - die Masse davon nach dem 7. Oktober. In diesem Jahr wurden bis Mitte August lediglich 14,5 Millionen Euro genehmigt - davon entfallen allerdings nur zwei Prozent auf Kriegswaffen.

Seit März gab es keine deutschen Exportgenehmigungen mehr. Von einem dauerhaften Exportstopp will die Bundesregierung aber nichts wissen.

"Es gibt Lieferungen, und es wird immer Lieferungen geben. Darauf kann sich Israel verlassen", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz am 16. Oktober im Bundestag.

Laut Baerbock hat die Bundesregierung von Israel allerdings eine schriftliche Garantie verlangt, dass die aus Deutschland gelieferten Rüstungsgüter nicht völkerrechtswidrig eingesetzt werden. Diese liege nun vor, so Baerbock am gleichen Tag im Parlament.

 

Aktualisierte Fassung eines Artikels vom 17. Oktober

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