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Trauer und Wut über Jo Coxs Tod

Samira Shackle, London/ cb17. Juni 2016

In Großbritannien wird die Frage laut, ob die erbitterte Referendumsdiskussion zum Mord an Jo Cox beitrug. Viele sehen einen deutlichen Zusammenhang. Samira Shackle berichtet aus London.

Eine Frau legt Blumen neben einem großen Foto von Jo Cox nieder. (Foto: Reuters/S. Wermuth)
Bild: Reuters/S. Wermuth

Großbritannien trauerte am Freitag nach dem Mord an der Labour-Abgeordneten Jo Cox in West Yorkshire. Bei spontanen Gedenkveranstaltungen am Parlamentsgebäude in London und in Birstall, wo sie ermordet wurde, legten Freunde und Unterstützer Blumen nieder und zündeten Kerzen an.

Kollegen aus dem Parlament und Freunde darüber hinaus würdigten sie als Menschenfreundin mit hohen Grundsätzen. Ihr Tod löste eine Diskussion über den Tonfall der politischen Debatte im Vereinten Königreich aus.

Auch die breite Öffentlichkeit trauert um Cox. "Ich schäme mich zu sagen, dass ich von Jo Cox bis gestern noch nie gehört hatte. Es klingt, als sei sie eine bemerkenswerte Frau gewesen, die in kurzer Zeit etwas im Parlament bewegt hat", sagt Anwältin Tania Brooks. "Es ist schockierend, dass eine gewählte Abgeordnete ermordet wurde - es fühlt sich an, als würde unser gesamtes politisches System angegriffen."

Kerzen und Blumen für Jo Cox

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Das Vereinte Königreich befindet sich mitten in einem harten Kampf um das Referendum zur EU-Mitgliedschaft. Sowohl das "Leave" als auch das "Remain" Lager haben den Wahlkampf bis Samstag unterbrochen.

"Das Referendum ist ein großartiges Beispiel für gelebte Demokratie", sagte George Osborne, Schatzkanzler in David Camerons Regierung. "Aber der Wahlkampf wurde auf beiden Seiten ausgesetzt aus Respekt vor Jo und ihrer Familie - und für die Demokratie, in deren Diensten sie stand."

Premierminister Cameron hat eine Pro-EU Rede abgesagt, die er eigentlich in Gibraltar halten sollte.

"Ich finde es richtig, dass der Wahlkampf unterbrochen wurde", sagt Lehrer James Bride. "Es war ein deprimierender Wahlkampf voller Lügen und persönlicher Rivalitäten. Nach der Tragödie von Jo Coxs Tod, wünsche ich mir, dass alle Beteiligten sich ein bisschen würdevoller benehmen, wenn es weitergeht."

Der Wahlkampf zum EU-Referendum wurde auf beiden Seiten unterbrochenBild: Reuters/J. Nazca

Meinungsforscher sagten zuletzt, beide Seiten lieferten sich ein Kopf-an-Kopf Rennen. Der Ton der Debatte hat sich verschärft. Politiker auf beiden Seiten glauben, dass das Referendum der politische Kampf ihres Lebens ist und ziehen alle Register. In der Diskussion geht es zunehmend um Einwanderung.

Für viele repräsentiert das besonders ein kontroverses Poster, das die UK Independence Party (UKIP) an dem Tag veröffentlichte, an dem Cox ermordet wurde. Es zeigt eine lange Schlange von arabisch aussehenden Flüchtlingen mit dem Slogan: "Breaking point: Die EU hat uns alle im Stich gelassen". In den sozialen Medien war die Wut über das Plakat groß und Unison, die Gewerkschaft für Arbeiter im Öffentlichen Dienst, erstattete bei der Polizei Anzeige wegen Anstiftung zu Rassenhass.

Boris Johnson, ehemaliger Bürgermeister von London und Vorsitzender der offiziellen "Vote Leave" (Stimmt für den Austritt) Kampagne, sagte das Plakat repräsentiere "nicht meine Politik".

In einer vielgelobten Kolumne für die Zeitschrift Spectator fasste Journalist Alex Massie zusammen, wie viele Bürger eine Beziehung zwischen der aufgeheizten Debatte und dem Mord sehen. "Wenn man immer wieder BREAKING POINT ruft, dann kann man nicht überrascht sein, wenn bei jemandem irgendwann die Zerreißgrenze erreicht ist. Wenn ihr Politik als eine Angelegenheit von Leben und Tod darstellt, als eine Frage des nationalen Überlebens, seid nicht überrascht, wenn jemand euch beim Wort nimmt. Ihr habt die Person nicht gezwungen, es zu tun, nein, aber ihr habt auch nicht viel getan, um es aufzuhalten. Manchmal hat Rhetorik Konsequenzen."

Diese Ansicht wird von vielen Briten geteilt. "Mich persönlich hat der Tonfall der politischen Debatte in Großbritannien sehr deprimiert, nicht erst in den vergangenen Wochen, sondern in den letzten zehn Jahren", sagt Lucy McFarlane, die bei einer Wohltätigkeitsorganisation arbeitet. "Hass ist zur Normalität geworden, nicht nur auf Seiten der Rechtsextremen, sondern in der generellen Politik. Wir veranstalten nächste Woche praktisch eine Volksabstimmung über Einwanderung. Dieses Ereignis scheint wie das natürliche, wenn auch verheerende, Produkt einer vergifteten politischen Kultur."

Politisierung der Tat

Der Labour Abgeordnete Neil Coyle, der die Londoner Wahlbezirke Bermondsey und Southwark vertritt, zog eine direkte Verbindung zwischen der Rhetorik des "Leave" Lagers und dem Mord.

"Ich glaube, dass mit dem Schwachsinn, zu dem sie Internetnutzer mit anonymen Accounts inspirieren, und mit der Hauptaussage des Plakats, dass sie heute veröffentlicht haben … das Risiko besteht, dass sie rechtsextreme Elemente in diesem Land ermutigen", sagte Coyle in der größten BBC Nachrichtensendung Newsnight. In den sozialen Medien wurde er daraufhin scharf dafür kritisiert, den Tod von Cox zu "politisieren".

Es gibt viele Analysten, die sich mit der Beziehung zwischen dem Tonfall der politischen Diskussion im Vereinten Königreich und dem tragischen Tod von Jo Cox beschäftigen. "Dieser Angriff auf eine Volksvertreterin kann nicht im luftleeren Raum betrachtet werden", sagte Guardian Kolumnistin Polly Toynbee. "Er trug sich im Kontext einer hässlichen öffentlichen Stimmung zu, in der uns gesagt wird, dass wir die politische Klasse verachten und ihnen nicht trauen sollen und dass wir diejenigen entmenschlichen sollen, mit denen wir uns nicht ohne weiteres identifizieren."

Britischen Abgeordneten wurde geraten, ihre Sicherheitsmaßnahmen zu überprüfenBild: Reuters/C. Brough

Downing Street bestätigte, dass Politiker gewarnt wurden, sie sollten ihre Sicherheitsvorkehrungen überprüfen. Gäbe es Grund zur Sorge, sollten sie die Polizei alarmieren. Alle Abgeordneten halten sich zurzeit in ihren Wahlkreisen auf, weil sich das Parlament vor dem Referendum am 23. Juni in einer Tagungspause befindet.

Die Abgeordneten haben entschlossen verkündet, dass die wichtige Arbeit in ihren Wahlkreisen nicht eingeschränkt werde. "Eine der Tugenden unserer parlamentarischen Demokratie ist, dass die Abgeordneten tagtäglich für die Menschen, die sie repräsentieren, erreichbar sind", sagte Schatzkanzler Osborne. "Das ist es, was unsere Art der Regierung von vielen anderen unterscheidet. Wir glauben an Freiheit und Gerechtigkeit."

Lord Nigel Jones, ein Politiker der Liberaldemokraten, der 2000 von einem Wähler mit einem Samuraischwert angegriffen wurde, warnte vor zu viel Angst. "Abgeordnete machen einen schwierigen und manchmal gefährlichen Job. Aber sie sind kein Sonderfall. Viele Menschen in unserer Gesellschaft treffen häufig mit der Bevölkerung zusammen", sagt Jones. "Es ist wichtig, dass die Bevölkerung einen sicheren Zugang zu ihren gewählten Vertretern hat. Das ist Teil des Landes, das wir sind."

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