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PolitikPolen

Polens Balanceakt zwischen Amerika und Europa

Jacek Lepiarz (aus Warschau)
10. März 2025

Durch Trumps Kehrtwende in der Ukraine-Politik sieht Polen seine Sicherheit gefährdet. Warschau will die Wehrkraft der EU stärken, ohne die USA zu verprellen. Tusk schickt alle Männer in die Militärausbildung.

Blick über die Reihen der Abgeordneten im polnischen Parlament auf das Rednerpult, an dem Premierminister Donald Tusk spricht. Hinter dem Präsidium hängt eine große polnische Fahne und das Staatswappen. Neben einer der zwei Türen am Kopfende des Raums stehen die polnische und die EU-Fahne, über der Tür hängt ein Kreuz
Der polnische Premierminister Donald Tusk spricht im Sejm, dem polnischen Parlament, am 7.03.2025Bild: Czarek Sokolowski/AP/picture alliance

Der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski gilt als streitlustig und als jemand, der keine Polemik scheut. Als US-Milliardär Elon Musk jüngst die Bedeutung seines Satellitensystems Starlink für die Ukraine betonte und auf der Plattform X schrieb: "Wenn ich es abschalten würde, bräche ihre gesamte Front zusammen", meldete sich der polnische Chefdiplomat sofort zu Wort.

Starlink werde mit ca. 50 Millionen Dollar jährlich von Polens Digitalministerium finanziert, schrieb er ebenfalls auf X und fügte hinzu: "Abgesehen vom ethischen Aspekt einer Drohung an die Adresse des Opfers der Aggression werden wir gezwungen sein, einen anderen Zulieferer zu suchen, falls SpaceX sich als unzuverlässig erweist." 

Sikorski kassierte dafür eine Rüge von jenseits des Atlantiks. "Sei still, kleiner Mann", entgegnete Musk. Polen bezahle nur einen kleinen Bruchteil der Kosten. Auch US-Außenminister Marco Rubio schaltete sich ein. "Ohne Starlink hätte die Ukraine diesen Krieg längst verloren, und die Russen stünden jetzt an der Grenze zu Polen", so Rubio.

Am Montag (10.03.2025) mischte sich auch Polens Regierungschef Donald Tusk in die Auseinandersetzung ein und mahnte Washington zur Mäßigung. "Niemals Arroganz. Liebe Freunde, denkt darüber nach", schrieb er auf X. "Wahre Führung bedeutet Respekt für Partner und Verbündete. Selbst für die kleineren und schwächeren."

Ein Wortgefecht von solchem Ausmaß mit Washington ist in Polen ein Ausnahmefall. Denn obwohl die polnische Mitte-Links-Regierung unter Tusk durch die Ukraine-Kritik von US-Präsident Donald Trump und sein Umwerben von Russland deprimiert und verunsichert ist, ist sich der Frontstaat Polen bewusst, dass er auf das Bündnis mit den USA angewiesen ist - egal wer im Weißen Haus regiert.

Militärausbildung für alle polnischen Männer 

Statt offener Kritik an Trump konzentriert sich Warschau daher auf die Stärkung eigener Kriegstüchtigkeit. So stellte Premierminister Tusk die Frage nach Krieg und Frieden in den Vordergrund seiner Rede am letzten Freitag (7.03.2025) im Parlament.

Überraschend kündigte er dabei eine Militärschulung für alle Männer in Polen an, "damit jeder erwachsene Mann für den Fall eines Krieges ausgebildet" sei. Als Vorbild solle das schweizerische Modell dienen, das eine relativ kurze Grundausbildung von 21 Wochen und regelmäßige Schulungen vorsieht. Die Ausbildung soll freiwillig sein und bedeutet keine Rückkehr zur allgemeinen Wehrpflicht. Auch Frauen können mitmachen, ergänzte Tusk später.

Polen demonstriert seine Verteidigungsfähigkeit bei einer Militärparade im August 2024Bild: Dominika Zarzycka/ZUMA/picture alliance

Vor den Abgeordneten nannte der Regierungschef eine Armee mit einer halben Million Soldaten samt Reservisten als Zielmarke. Er deutete auch den Rückzug seines Landes aus der Ottawa-Konvention an, die die Antipersonenminen verbietet, und stellte das Verbot von Streubomben in Frage.

Darüber hinaus soll bald jeder Bürger einen Ratgeber bekommen mit Hinweisen, wie er sich im Kriegsfall verhalten soll. Polen will auch mit Paris über den französischen Atomschirm reden, kündigte der Regierungschef an.

Zwei Lebensversicherungen: Amerika und Europa

Schützenhilfe bekam Tusk vom polnischen Präsidenten Andrzej Duda. Der schlug fast gleichzeitig vor, in der polnischen Verfassung festzuschreiben, dass die Verteidigungsausgaben dauerhaft mindestens vier Prozent des BIP betragen sollen. In diesem Jahr gibt Polen sogar 4,7 Prozent aus.

Obwohl der Glaube an das Bündnis mit den USA als Eckpfeiler der Sicherheit Polens stark erschüttert ist, klammern sich sowohl die Regierung als auch die Opposition an den Strohhalm, dass "Onkel Sam" sie nicht im Stich lassen werde.  

"Unsere Einstellung zu den transatlantischen Beziehungen und zur NATO muss unanfechtbar bleiben", sagte Tusk im Parlament. Auch Außenminister Sikorski teilt diese Meinung. "Polen hat zwei Lebensversicherungen, die NATO mit Amerika und Europa", betonte er in der Parlamentsdebatte. Und Tusk bekräftigte: "Jeder verantwortliche Politiker muss heute auf ein bewaffnetes, selbstsicheres, vertrauenswürdiges Europa setzen." Beide Garantien in Einklang zu bringen, hält Warschau für die wichtigste Aufgabe.

Wiederherstellung des "Ritterethos"

In der Krise wäre ein Schulterschluss zwischen Regierung und Opposition sinnvoll, zumal Politiker der oppositionellen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) einen guten Draht zu Trumps MAGA-Bewegung unterhalten. Doch die PiS erwartet eher die Unterstützung der US-Hardliner für ihren Kampf gegen Tusk. Sie fühlt sich bestätigt durch einen gerade veröffentlichten Bericht des konservativen amerikanischen Thinktanks Hudson Institute, in dem der polnischen Regierung undemokratische Methoden bei der Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit vorgeworfen wurden. Die wachsende antiukrainische Stimmung in Polen macht die Situation nicht einfacher.

Der polnische Regierungschef Donald TuskBild: SERGEI GAPON/AFP/Getty Images

Der Führer der National-Konservativen, PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski, befürwortet zwar die Idee der Militärausbildung für alle, meint aber, das bringe solange nichts, wie in Polen eine linke "Angstpädagogik" vermittelt werde. "Wir müssten in Polen das Ritterethos wiederherstellen", verlangt Kaczynski.

Kein Anti-Amerikanismus in Polen

Die seit zwei Jahrhunderten andauernde Liebe der Polen zu Amerika bröckelt gerade. Dennoch gibt es für den ideologischen Antiamerikanismus, wie er in Westeuropa existiert, in Polen keinen Platz. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts CBOS vom Februar 2025 gaben immer noch 58 Prozent der Polen an, dass sie Amerikaner mögen. Nur 10 Prozent mögen sie nicht.

Damit stehen die US-Bürger nach Italienern auf Platz zwei in der Gunst der Polen. Doch die Tendenz zeigt nach unten. Immerhin sind die Sympathiewerte für US-Amerikaner innerhalb eines Jahres um sieben Prozentpunkte gefallen. 43,9 Prozent der Befragten halten es für möglich, dass die USA die NATO verlassen. Nur 30 Prozent schließen das aus.

Verteidigungsfähigkeit Europas stärken

Polen beteiligt sich in den letzten Wochen an allen Initiativen, die die Verteidigungsfähigkeit Europas stärken sollen. Tusk spielte eine aktive Rolle bei Treffen in Paris und London. Im polnischen Parlament sprach er von einer "Wende" in der Denkweise der Europäischen Union, weil jetzt europäische Gelder direkt in die Verteidigung fließen sollen. Polen hofft vor allem auf Unterstützung für sein Vorzeigeprojekt "Schutzschild Ost", das Polens Grenze mit Belarus und Russland absichern soll. Eine gemeinsame Luftabwehr ist auch im Gespräch.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron empfängt den polnischen Premierminister Donald Tusk (17.2.2025)Bild: Ludovic Marin/AFP

Der konfrontative Kurs der Trump-Administration kann trotz verschiedener Meinungen in Berlin und Warschau zur strategischen Souveränität Europas zu einer weiteren deutsch-polnischen Annäherung führen. Die Tageszeitung Rzeczpospolita schlägt am Montag vor, "Polen und Deutschland könnten gemeinsam eine Atombombe entwickeln". Dieses Projekt, meint der Kommentator Jedrzej Bielecki, "würde die Versöhnung zwischen Polen und Deutschen endgültig vollenden".

Jacek Lepiarz Journalist in der polnischen Redaktion mit Schwerpunkt auf deutsch-polnischen Themen.