Meinung
1. Dezember 2010Die Vorwürfe tauchten schon zu Jahresanfang auf. Damals zeichnete sich ab, dass Deutschland besser und schneller als andere das Tal der Krise verlassen würde. Kein Wunder, so hieß es damals vom Nachbarn aus Frankreich: Deutschlands starke Exportwirtschaft nehme den anderen die Luft zum Atmen. Man solle doch lieber mehr dafür tun, die heimische Nachfrage zu stärken. Dann hätten auch andere die Chance, von Deutschlands Boom zu profitieren.
Debatte ja, Ratschläge nein
Dann, ein paar Wochen waren ins Land gegangen, eine neuerliche Attacke vor dem G20-Gipfel von Toronto im Juni: Absender in diesem Fall der US-Präsident: Der nörgelte nicht nur an der deutschen Sparpolitik herum, sondern schlug in dieselbe Kerbe wie die Franzosen: Die Exportüberschüsse der Deutschen gefährdeten die Erholung der Weltwirtschaft. Besser sei es, den Leuten mehr Geld zu geben, damit sie mehr einkaufen. Die Debatte über die Ungleichgewichte in der Weltwirtschaft war eröffnet. Es ist eine Diskussion, die unbedingt geführt werden muss. Aber nicht mit solch kruden Vorwürfen. Es wäre nur allzu unsachlich, wenn beispielsweise wir Deutschen den Amerikanern empfehlen, doch bitte ihren Arbeitsmarkt zu reformieren und mehr zu sparen – auch wenn dies ein sicher richtiger Ratschlag wäre.
Brauchbare Rezepte
Glücklicherweise ließen sich die Deutschen nicht beirren und verboten den Firmen nicht den Export ihrer Waren. Und auch die Gewerkschaften bewahrten Augenmaß und forderten keinen zweistelligen Lohnzuwachs. So konnte das zweite deutsche Wirtschaftswunder seinen Lauf nehmen: das stärkste Wirtschaftswachstum in einem Quartal seit der Wiedervereinigung vor zwanzig Jahren. Die Zahl der Beschäftigten ist ebenfalls auf dem höchsten Stand seit zwei Jahrzehnten. Und so konnte man aus den Zahlenreihen der Statistiker unlängst Bemerkenswertes herauslesen: Der Aufschwung wird mittlerweile schon wieder zur Hälfte vom privaten Konsum getragen. Und allem Anschein nach wird sich diese Entwicklung fortsetzen: Einige Experten sehen den Anteil der Binnennachfrage am Zuwachs der Wirtschaftsleistung im kommenden Jahr auf bis zu 90 Prozent steigen. Auch wenn Deutschland ohne seine Exportwirtschaft sicher nur halb so stark wäre: Die Vorwürfe aus Paris und Washington, sie schmelzen dahin wie Schnee in der Frühlingssonne.
Kein Wunder, sondern harte Arbeit
Nun könnte man von einem Wunder sprechen, allein: Das ist es nicht. Denn es gibt handfeste Gründe für den Erfolg: Da ist das immer wieder erwähnte Instrument der Kurzarbeit, mit dem der Staat und die Unternehmen gemeinsam in der Krise dafür gesorgt haben, die Belegschaften an Bord zu halten. Da sind die Tarifparteien zu erwähnen, die schon in den Jahren vor der Krise durch Zurückhaltung dafür gesorgt haben, dass am vergleichsweise teuren Standort Deutschland weiter zu marktfähigen Preisen produziert werden kann.
Und da ist der sprichwörtliche Unternehmergeist in diesem Land: Nach vorne schauen, auch wenn einem der Wind der Globalisierung ins Gesicht bläst. Jetzt, nach der Krise, bedanken sich eine Reihe von Unternehmen auf ihre Weise bei den Belegschaften: Lohnerhöhungen werden vorgezogen, neue Mitarbeiter werden eingestellt. Das hilft dann wieder dem privaten Konsum: Denn wer weiß, dass sein Arbeitsplatz sicher ist, der geht auch gerne mal wieder auf Shopping-Tour. Im Schnitt 245 Euro will jeder Deutsche in diesem Jahr für Weihnachtsgeschenke ausgeben. Der Aufschwung ist also auch unterm Christbaum angekommen.
Autor: Henrik Böhme
Redaktion: Rolf Wenkel