Nach Wirecard-Skandal strengere Regeln für den Dax
Mischa Ehrhardt Frankfurt am Main
24. November 2020
Die Deutsche Börse zieht Konsequenzen aus dem Betrugsskandal um Wirecard. Strengere Kriterien müssen erfüllt werden, um in den Deutschen Aktienindex zu gelangen. Der soll auf 40 Werte anwachsen.
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Verschwundene Milliarden, eine gefälschte Bilanz, ein Vorstand in Untersuchungshaft, ein anderer auf der Flucht: Der insolvente Zahlungsabwickler Wirecard hat nicht nur für Schlagzeilen gesorgt, er hat auch Vertrauen zerstört und den deutschen Leitindex Dax durcheinandergewirbelt. Deswegen zieht die Deutsche Börse nun Konsequenzen, deren Wichtigste: Ab September 2021 soll das Börsenbarometer um 10 auf dann 40 Konzerne aufgestockt werden. So steht der Index in Zukunft auf breiterer Basis - und soll so die Unternehmenslandschaft besser abbilden. Denn das Börsenbarometer wurde über lange Zeit geprägt vor allem von Unternehmen aus Branchen wie Chemie, der Autoindustrie, dem Energiesektor und dem Finanzwesen.
Mit der Erweiterung des Deutschen Aktienindex allerdings wird zugleich die Tabelle in der zweiten Börsenliga kürzer: Der MDax für die mittelgroßen Unternehmen schrumpft um zehn Unternehmen - also von 60 auf 50 Firmen. Das birgt aber auch Nachteile. "Wenn wir auf den Dax schauen, haben wir einige Sorgen", sagt Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz. "Denken sie aktuell an Banken oder Autobauer. Die zweite Reihe mit starken und funktionierenden Geschäftsmodellen im Mittelstand dagegen hat extrem gut performt. Und wenn man nun den Dax vergrössert und den MDax verkleinert, dann ist die Attraktivität im mittleren Bereich zumindest angefressen."
Mehr Nachhaltigkeit und gute Unternehmensführung
Als Konsequenz aus dem Wirecard-Bilanzskandal gilt künftig auch, dass Firmen aus dem Dax fallen, wenn sie ihre Bilanzen nicht fristgemäß vorlegen. Diese Regel gilt ab sofort, weil sie leicht umzusetzen ist und keine lange Vorbereitung braucht. Zudem müssen Dax-Unternehmen in Zukunft auch einen Prüfungsausschuss im Aufsichtsrat haben. Der überwacht beispielsweise die Rechnungslegung und zieht Konsequenzen aus Regelverstößen. Im Vorfeld diskutiert wurde auch, ob Unternehmen mit einem Umsatz von über zehn Prozent mit umstrittenen Waffen ('controversial weapons') ein Zugang zum Dax verwehrt sein soll. Dieses Kriterium wird nicht eingeführt. Das hätte beispielsweise den Flugzeugbauer Airbus treffen können - eine der Tochterfirmen wartet die Trägerraketen für die Force de frappe, die französischen Atomstreitkräfte.
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"Die Antworten, die wir dazu bekommen haben, waren sehr heterogen", sagte Stephan Flägel, Leiter des zur Deutschen Börse gehörenden Indexanbieters Qontigo. "Die Zustimmung zu dieser Regel war nicht stark und nicht homogen genug, um sie einzuführen." Die Konsultation von Marktteilnehmern habe aber gezeigt, dass Themen wie Nachhaltigkeit und gute Unternehmensführung wichtigste Trends an den Finanzmärkten blieben und das Investitionsverhalten in den kommenden Jahren grundlegend verändern werde. Deswegen habe das Thema Nachhaltigkeit für Qontigo eine "sehr hohe Priorität".
Gewinne müssen sein
Ingo Speich, Experte bei der Deka Bank, geht das nicht weit genug. "Nachhaltigkeit ist heute bei vielen Investoren im Investment-Prozess integriert und bietet einen Mehrwert. Eine stärkere Berücksichtigung wäre wünschenswert gewesen." Vor wenigen Tagen hat die Deutsche Börse in diesem Zusammenhang angekündigt, für umgerechnet 1,5 Milliarden Euro das amerikanische Beratungsunternehmen ISS zu kaufen. ISS ist ein Großaktionärsberater und spezialisiert auf Themen wie Nachhaltigkeit und gute Unternehmensführung.
Zum guten Wirtschaften gehört in Zukunft jedenfalls auch, dass Dax-Anwärter in den zwei Jahren vor der Aufnahme in den Leitindex einen Gewinn vor Steuern und Abschreibungen ausweisen müssen. Aktionärsschützer Marc Tüngler sieht da allerdings noch Luft nach oben: "Das ist nicht gut greifbar. Wir würden vorschlagen, dass man das harte Ergebnis nimmt - also das Ergebnis unter dem Strich."
Klar ist aber: Würden die neuen Regeln heute schon gelten, dürfte der Wirecard-Nachfolger Delivery Hero künftig nicht mehr in den Dax aufgenommen werden. Denn bisher arbeitet die Plattform für Essenslieferungen nicht profitabel. Da die neue Regel aber bestehende Dax-Mitglieder nicht trifft, darf Deilvery Hero weiter dem Kreis der 30 - und bald 40 wichtigsten Börsenunternehmen des Landes angehören. Die nächste Überprüfung der Indizes steht im März an. Die Aufstockung will die Deutsche Börse bis September des kommenden Jahres umsetzen. Chancen für einen Aufstieg in die erste Börsenliga haben dann Firmen wie Airbus, Siemens Healthineers, Symrise oder der Online-Modehändler Zalando. In Zukunft wird es also um einiges bunter im Dax werden. Und vielleicht schafft es ja auch die Lufthansa wieder zurück nach ganz oben in die Börsenliga.
30 bewegte Jahre: Happy Birthday Dax!
Am 30. Geburtstag hat man normalerweise die wildesten Jahre hinter sich. Für den Dax gilt das nicht unbedingt, denn im wichtigsten deutschen Börsenindex spiegelt sich das wirtschaftliche und politische Weltgeschehen.
Bild: picture-alliance/dpa/A. Dedert
Der erste Tag
Eingeführt wurde der Dax am 1. Juli 1988 von der Frankfurter Wertpapierbörse - der Vorgängerin der inzwischen ebenfalls im Dax gelisteten Deutschen Börse. Bis dahin hatten Banken, zum Beispiel die Commerzbank, sowie Medien wie die Börsenzeitung und die Frankfurter Allgemeine Zeitung die Entwicklung der Märkte in eigenen Indizes abgebildet.
Bild: Pietro Fiore
Der Erfinder...
war Frank Mella (Foto). Als Redakteur der Börsenzeitung hatte er vorher bereits einen anderen Index für sein Blatt entwickelt. Sein Verleger beauftragte ihn damit, sich einen Börsenindex für den Finanzplatz Deutschland auszudenken. Damit war der Dax geboren. Auch wenn er am 1. Juli 1988 seinen Einstand feierte - rechnerisch startet er am 30. Dezember 1987 bei einem Stand von 1000 Punkten.
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Deutsche Schwergewichte
Bis heute sind im Dax die Aktien der 30 größten und umsatzstärksten deutschen Unternehmen an der Frankfurter Börse gelistet. Er ist der bedeutendste deutsche Aktienindex und repräsentiert rund 80 Prozent der Marktkapitalisierung börsennotierter Aktiengesellschaften in Deutschland.
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Es geht um Leistung
Im Sekundentakt werden von 9 Uhr bis 17:30 Uhr die Dax-Werte anhand des elektronischen Handelssystem Xetra berechnet. Damit ist der Dax ein sogenannter Performance-Index - im Gegensatz zum Dow-Jones-Index für die US-Standardwerte, in dem die Aktien nicht gewichtet sind. Das Gewicht einer Aktie dort bemisst sich nach dem Anteil an der gesamten Kapitalisierung der im Index enthaltenen Werte.
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Die Geburten der kleinen Brüder
Im Frühjahr 1994 wird der sogenannte DAX 100 eingeführt. Dieser Index solle die Wertentwicklung der 100 liquidesten Werte des Aktienmarkts spiegeln. Am 1996 kommt der MDax hinzu, der 70 mittelgroße Unternehmen abbildet. Er wird 2003 auf 50 Firmen verkleinert. Im selben Jahr löst der HDAX den DAX 100 ab. Heute gibt es noch den ÖkoDAX, den TecDax, den ShortDAX und viele weitere Segmente.
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Der erste schwarze Tag
Wer richtig dauerhaft anlegte, darf sich heute über satte Gewinne freuen. Aber es gibt viele Auf und Abs im Laufe der letzten 30 Jahre. Den ersten schwarze Tag erlebt der Dax am 16. Oktober 1989. Damals bricht im Sog des Börsencrashs an der Wall Street auch der deutsche Index an einem Tag um rund 13 Prozent ein.
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Der "kleine Mann" wird wach
Den größten Börsengang in der Dax-Geschichte macht die Deutsche Telekom am 18.11.1996. Telekom-Chef Ron Sommer (Foto rechts) wirbt mit Erfolg, die Nachfrage nach T-Aktien übersteigt das Angebot um das Fünffache. Getrieben von der Euphorie will nun auch der "kleine Mann" sein Geld anlegen. So kann sich der Dax in den drei Jahren und drei Monaten nach dem Telekom-Börsendebüt fast verdreifachen.
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Kurze Episode des Neuen Marktes
Totale Euphorie herrscht am Parkett, als im März 1997 der Neue Markt für wachstumsstarke Technologiewerte eröffnet wird. Ein Boom an Börsengängen folgt, 1999 trauen sich 132 Firmen aufs Börsenparkett. (2017 waren es nur zwölf).
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Fusionsfieber und das wachsende Internet
... treiben den Dax am 7. März 2000 auf ein Hoch von 8136,16 Punkten. Dann kommt der 11. September 2001: Nach den Terroranschlägen in den USA fällt der Dax um neun Prozent. Danach geht es meist weiter bergab. 2002 verzeichnet der Dax mit 44 Prozent den größten Jahresverlust bisher. Die Feierlaune ist erstmal vorbei.
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Auf und ab an der Börse
Dann kommt es zu immer mehr ausufernden Verlusten und Skandalen bei den zuvor bejubelten Unternehmen des Neuen Marktes. Kurz nach der Jahrtausendwende verpufft auch die Begeisterung für Tech-Aktien und das Segment Neuer Markt wird am 21. März 2003 in aller Stille beerdigt.
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Das Comeback lässt auf sich warten
Denn zu viele Anleger hatten sich die Finger verbrannt. Der Dax rutscht im März 2003 unter 2200 Punkte und notiert damit so niedrig wie im November 1995. Danach erholt sich die Weltwirtschaft und mit ihr wächst das Vertrauen in die Unternehmen. Aber es dauert bis Sommer 2007, bis der Dax den Rekord von über 8000 Punkten aus dem Jahr 2000 erreicht. Doch der Gipfelsturm endet in einen jähen Absturz.
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Die Weltwirtschaft geht in die Knie
Die Finanzkrise kommt mit Wucht, als am 15. September 2008 die US-Investmentbank Lehman Brothers pleite geht. Im Oktober 2008 folgt auch für den Dax ein schwarzer Tag auf den anderen. Am 9. März 2009 hat der Dax 56 Prozent seit dem Hoch vom 13. Juli 2007 eingebüßt. Kurz darauf wirft die US-Notenbank Fed die Notenpresse an - und es geht wieder bergauf.
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Höchster Stand bisher bei 13.596 Zähler
Als die Europäische Zentralbank entscheidet, der Politik des billigen Geldes zu folgen, treibt das den Dax am 5. Juni 2014 erstmals über die 10.000-Punkte-Marke. Sie schiebt ihn weiter an, als sie am 22. Januar 2015 ebenfalls die Notenpresse anwirft. Der Dax klettert am 22. Januar 2015 auf über 10.400 Zähler. Den bislang höchsten Stand erreicht der Dax am 23. Januar 2018 mit über 13.596 Zählern.