Nachdenklichkeit tut not
9. Juli 2009Eines klar vorweg: Viele der Vorwürfe, die ägyptische Medien und aufgebrachte Bürger seit einigen Tagen gegen Deutschland erheben, sind völlig überzogen. Weder herrscht in Deutschland generell eine offen feindliche Stimmung gegenüber Muslimen, noch kann man der Justiz vorwerfen, nachweisbare Fälle von Kriminalität gegenüber Muslimen grundsätzlich nicht ernsthaft zu verfolgen. Deutschland ist kein Land, in dem Kopftuchträgerinnen von führenden Politikern oder Medien öffentlich als potentielle Terroristen abgestempelt würden. Es gibt zahlreiche Initiativen, in denen sich Muslime und Nicht-Muslime für Dialog und Verständigung und gegen jede Benachteiligung einsetzen.
Und wo Diskriminierung von Muslimen wirklich vorkommt, da wird sie im Regelfall auch von einem gewichtigen Teil der Medien thematisiert. Selbst der Politik kann man allenfalls vorwerfen, im Dialog mit den hierzulande lebenden Muslimen bisher nicht sonderlich weit gekommen zu sein. Aber alle Probleme liegen offen auf dem Tisch. Und die Regierung hat für diesen Dialog mit der Islam-Konferenz auch ein politisch sehr hoch angesiedeltes Forum geschaffen. Jeder, der dieses Land unvoreingenommen betrachtet, wird bestätigen können: Es herrscht trotz aller Vorurteile und Ängste, und trotz schlimmer Kampagnen rechtsextremer Klein-Parteien, kein Klima anti-islamischer Hetze.
Wirkung unterschätzt
Alles bestens also? Keineswegs. Die Wut und die Emotionen vieler Menschen in Ägypten und insbesondere der Angehörigen sind verständlich und müssen ernst genommen werden. Sie müssen vor allem auch Anlass für eine selbstkritische Reflexion gerade in diesem speziellen Fall sein - angefangen bei den Medien und den Verantwortlichen bei Gericht bis hinauf zur Bundesregierung. Wie ist es zu erklären, dass die Dimension des Falles und seine Auswirkungen bis nach Ägypten von einem Großteil der deutschen Medien sprichwörtlich verschlafen wurde?
Warum hat die Bundesregierung erst nach und nach deutliche Worte der Verurteilung gefunden - und auch erst, nachdem ein arabischer Korrespondent sie gebeten hatte, ein Statement zu den erhobenen Vorwürfen abzugeben? Sicherlich war dies kein Zeichen von Desinteresse oder fehlendem Mitleid, aber es ist von vielen Muslimen - auch in Deutschland - offenbar genau so verstanden worden. Wenn es nicht - wie in einigen ägyptischen Medien - sogar als Versuch gewertet wurde, den Tod der Ägypterin bewusst herunterzuspielen.
Islamophobie nur Randphänomen?
Hier hat die Politik kein gutes Bild abgegeben und damit Deutschland unnötig ein Imageproblem beschert. Einzig der Zentralrat der Muslime und auch der Zentralrat der Juden haben frühzeitig ihre Stimmen in diesem Fall erhoben und die Tat deutlich verurteilt. Kritische Selbstreflexion ist aber auch von Bürgern gefragt - von Muslimen in Ägypten und Deutschland ebenso wie von Nicht-Muslimen. Wenn die verständliche Wut und Aufregung über diesen Fall abgeebbt ist, sollte vielleicht auch von Seiten der deutschen Muslim-Vertreter noch einmal deutlich hervorgehoben werden, dass Islamophobie bislang kein dominantes Wesenselement der deutschen Gesellschaft ist.
Wer das behauptet oder auch nur suggeriert, zeichnet mutwillig ein zu einfaches und vor allem auch ungerechtes Bild. Zugleich jedoch darf das Phänomen Islamophobie keinesfalls kleingeredet werden, es ist durchaus real: Viele Umfragen deuten darauf hin, dass eine Mehrheit der Deutschen tatsächlich ein starkes Misstrauen und auch viele Ängste gegenüber Islam und Muslimen empfindet. Die Tat von Dresden ist aber kein typischer, sondern extremer Ausdruck davon. In Zeiten von Wirtschaftskrise und Arbeitsplatz-Abbau birgt dieses Thema aber längerfristig durchaus sozialen Sprengstoff.
Autor: Rainer Sollich
Redaktion: Thomas Kohlmann