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Reise

Wo die Alpen noch idyllisch sind

Monika Griebeler
1. März 2019

Riesige Skigebiete, Hotelburgen und lärmende Après-Ski-Partys sind Standard in vielen Alpengegenden. Nicht so im Berchtesgadener Land. Die Region hat manch touristische Entwicklung ausgelassen - nun profitiert sie davon.

Die weltberühmte Ramsauer Dorfkirche im winterlichen Ortsbild
Bild: DW/M. Griebeler

Nur ein leises Rauschen vom Wimbach ist zu hören, Vogelgezwitscher und Pferdehufe im Schnee. Rings um den kleinen Ort Ramsau im südöstlichsten Zipfel Bayerns erheben sich mächtig die Berge der Alpen. "Beeeetziiiiii Beeeeetziii Beeeeetz, kimm, kimm!", gellt da ein Ruf durch das Tal. Und knapp 40 Schafe schieben sich zum Zaun ihres Geheges, hin zu Renate Aschauer.

Ohne sie würde es die Tiere heute wohl nicht mehr geben. Das Alpine Steinschaf war fast ausgestorben. Doch inzwischen stehen Aschauers Tiere im Sommer wieder auf den Ramsauer Almen, bewacht nur von den drei Hütehunden, fast so wie vor Jahrhunderten. Alpenidylle wie im Bilderbuch.

Das Alpine Steinschaf ist eine der ältesten Schafrassen überhaupt - und heute eine stark gefährdete ArtBild: DW/M. Griebeler

Eine Sesselbahn der Entschleunigung

In der Realität ist diese Idylle selten geworden. Künstlich beschneite Skipisten so breit wie Autobahnen, riesige Liftanlagen und Après-Ski-Hütten machen zahlreiche Orte in den Alpen zur Event-Hölle mit zehntausenden Besuchern im Jahr.

Auch Ramsau hätte vor Jahrzehnten gerne eine Bahn auf den Watzmann, Deutschlands markantesten Gipfel, gehabt. Doch Ende der 1970er Jahre mit der Einrichtung des Nationalparks wurde der Plan endgültig begraben. "Zum Glück", sagt Fritz Rasp, Tourismusdirektor in Ramsau. "Denn so ist es viel naturnaher und das ist für uns das Gebot der Stunde."

Rund 1800 Menschen leben in Ramsau, der Tourismus ist eine der Haupt-EinnahmequellenBild: DW/M. Griebeler

Statt großer Bettenburgen gibt es hier vor allem kleine Hotels und Pensionen, statt sündhaft teure Schneekanonen zu installieren, züchten sie hier lieber seltene Schafrassen, statt in 16er-Gondeln können die Gäste direkt aus dem Bett in die Loipen steigen oder Wandern gehen. Ramsau hat die höchste Bergführerdichte Deutschlands. Und Tourismusdirektor Rasp Schwierigkeiten, alle Touren in den Gästebroschüren unterzubringen.

Das Skigebiet am Hochschwarzeck ist dagegen winzig. Und die Sesselbahn fährt laut Rasp "so langsam, dass unser schnellster Skibergsteiger schon am Gipfel ist, bevor die Bahn da ankommt."

Ohne Schnee steht der Lift - mit Absicht

Binnen zehn Minuten kommt man von jedem Haus in Ramsau auf einen WanderwegBild: DW/M. Griebeler

2015 wurde Ramsau sogenanntes Bergsteigerdorf, das erste in Deutschland. Der Initiative des Österreichischen Alpenvereins haben sich bislang insgesamt vier deutsche Orte angeschlossen, die naturnahen Tourismus fördern und Traditionen erhalten wollen. Der Titel ist für Ramsau aber kein Marketing-Label, sagt Rasp. "Sondern vielmehr die Bestätigung dessen, was wir seit fast 30 Jahren machen: Mensch und Natur zusammenbringen."

Das heißt aber auch: kein Kunstschnee. Gerade in wärmeren Wintern sind die Lifte am Hochschwarzeck deshalb kaum rentabel. Trotzdem will das Mini-Skigebiet auch künftig nicht beschneien, sondern weiter mit Naturschnee werben. Das haben die Ramsauer so entschieden.

Nachhaltig von den Putzmitteln bis zum Lammfleisch

Und ihr Konzept macht sich offenbar bezahlt: Insgesamt beträgt die durchschnittliche Verweildauer in den Alpen weniger als drei Tage. Übers Jahr sind viele Hotels nicht einmal zur Hälfte ausgelastet. In Ramsau, wie im ganzen Berchtesgadener Land, blieben die Gäste hingegen zuletzt mehr als vier Nächte. Unterkünfte wie etwa das Berghotel Rehlegg erzielen 75 Prozent Auslastung übers ganze Jahr.

Zwei, die ihren Teil dazu beitragen wollen, dass die Berge bleiben, wie sie sind: Fritz Rasp (links) und Hannes LichtmaneggerBild: DW/M. Griebeler

Hotel-Chef Hannes Lichtmannegger hat sein Haus schon vor sechs Jahren auf Nachhaltigkeit umgestellt, von den Putzmitteln und der Stromversorgung bis hin zu regionalen Produkten. Früher kam etwa das Lammfleisch aus Neuseeland, inzwischen deckt er den gesamten Jahresbedarf über Züchter wie Renate Aschauer ab: "Es sind zwei Kilometer Transportweg statt 20.000 und man hat eine Qualität, die man weltweit nicht kriegt."

Lichtmannegger ließ auch den Laufer Landweizen wieder anbauen, eine uralte, fast vergessen Getreidesorte. Die Klimabilanz des Hotels ist ausgeglichen. Und vor der Tür stehen Elektroautos und E-Mountainbikes für die Gäste.

Mehr als Wellness

Die nutzen die Natur. An diesem Wintertag ist der Parkplatz der Hochschwarzeck-Bahn zwar voll, die Schlange am Lift aber kurz. Ein junger Mann ist mit seiner Freundin zum Wellnessurlaub in die Region gekommen. "Eine Woche Sauna ist doch etwas eintönig - und hier kann man zwischendurch spazieren gehen oder Schlittenfahren", erzählt er.

Bahnen zum Rodeln und die Berge - das macht für diese Urlauber aus Thüringen Ramsau ausBild: DW/M. Griebeler

Ein Vater aus Dänemark schiebt seine kleine Tochter im Buggy Richtung Wald. Er sagt: "Es gibt Angebote für alle Altersklassen und ein gutes Preis-Leistungsverhältnis. Das ist super für den Familienurlaub."

Berchtesgadener leben lieber langsamer

Zugute kommt Ramsau das Konzept, dass sich die ganze Region einem verträglichen Tourismus verschrieben hat. Auf dem weltbekannten Königssee fahren schon seit mehr als 100 Jahren Elektroboote. Das Berchtesgadener Land ist Biosphärenregion. Tradition und Handwerk werden groß geschrieben, etwa im Laden von Franz Stangassinger.

Er fertigt Lederhosen, wie schon der Großvater und Vater. Die Wartezeit auf ein maßgeschneidertes Exemplar liegt bei knapp anderthalb Jahren. Sein Geschäft vergrößern will Stangassinger dennoch nicht: "Wir sind seit 130 immer gleich groß und das hat immer gelangt. Dieses 'immer größer, immer weiter' hat für mich keine Zukunft", sagt er. "Ich glaube, dass eine Zeit kommen muss, in der man sagt: Es genügt."

Bei Franz Stangassinger hat selbst schon das spanische Königshaus eingekauftBild: DW/M. Griebeler

Von diesem Berchtesgadener Weg wollen sich Anfang März rund 300 Tourismus-Experten aus aller Welt vor Ort ein Bild machen - bei einer UN-Konferenz zum Bergtourismus. "Da können wir eine gute Visitenkarte abgeben", sagt Brigitte Schlögel, Chefin der Berchtesgadener Land Tourismus GmbH. "Naturnähe wird hier gelebt: Ich kenne keinen Berchtesgadener, der nicht Skifahren, Skitouren, Wandern, Bergsteigen oder Mountainbiken geht. Die leben diese Nachhaltigkeit."

Grenzen der Nachhaltigkeit

Vor Massentourismus ist die Region dennoch nicht gefeit: Im Sommer kommen tausende Tagesgäste aus München, aus Österreich, dazu noch Reisende aus den USA oder Asien - wegen der Berge und dem Königssee. Staus, Wildparker und lange Schlangen sind die Folge.

Im Winter fahren die Boote über den Königssee zu St. Bartholomä nur stündlich, im Sommer im 10-Minuten-TaktBild: DW/M. Griebeler

In Ramsau haben sie deshalb schon die Parkgebühren erhöht. Urlauber fahren mit der Gästekarte im öffentlichen Nahverkehr des Berchtesgadener Lands kostenlos. "Aber da gibt es noch einiges zu tun", sagt Rasp, der Ramsauer Tourismuschef. Ganz ohne Auto geht es oft dann doch nicht.

Anfang März 2019 werden die Experten der Welttourismusorganisation UNWTO auf Rundreise durch den Landkreis gehen: ins Dokumentationszentrum am Obersalzberg, in die Saline in Bad Reichenhall, auf den Jennerberg und an den Königssee. Und natürlich führt eine Tour ins Bergsteigerdorf Ramsau - hier gibt es dann im Rehlegg ein Buffet lokaler Spezialitäten, darunter Lammfleisch der Alpinen Steinschafe.

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