1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Nachrichten aus dem Paradies"

22. April 2002

- Eine Podiumsdiskussion über die Pressefreiheit in Zentralasien

DW-radio, 22.4.2002, Peter Philipp

In den zentralasiatischen Republiken stünden "schlechte Schauspieler auf der politischen Bühne" meint der tadschikische Journalist Dododschon Atowullajew und lästert weiter: "Einer hinkt, einer sieht nicht, aber jeder ist überzeugt davon, dass er der Schönste ist". Und damit das Volk das auch sehe und verstehe, manipuliere man eben die Presse und setze sie ein zum Lob des Regimes, nicht aber zur Information oder der Aufdeckung von Kritikwürdigem. Und wer sich nicht daran hält, der bekommt die Willkür der Herrschenden zu spüren. Wie Atowullajew selbst, der heute im Hamburger Exil lebt und seine Meinung auf Umwegen nach Tadschikistan bringen muss.

In einer Gemeinschaftsveranstaltung des Berliner Hauses der Kulturen und der Deutschen Welle berichteten Atowullajew und zwei Kollegen aus Usbekistan und Kirgisistan dieser Tage über den desolaten Zustand der Presse in ihren Heimatländern, der sich zwar graduell unterscheide zwischen Tadschikistan, wo in den letzten Jahren 62 Journalisten umgebracht wurden über Usbekistan, wo die Journalistin Galima Bucharbajewa dem Fernsehen nachsagte, es sende nur "Nachrichten aus dem Paradies" bis hin nach Kirgisistan, wo die Lage vielleicht noch am besten sei, aber eben doch auch nicht gut. Wie Kabaj Karabekow meint, Journalist und Abgeordneter des Parlaments:

"Wissen Sie, einer der Hauptgründe ist, dass in Kirgisistan nach dem Zerfall der Sowjetunion die dortigen sowjetischen Herrscher zurückgetreten sind. Nachdem die Auseinandersetzung im Süden Kirgisistans zwischen Usbeken und Kirgisen stattgefunden hat, musste der gesamte ehemalige sowjetische Machtapparat zurücktreten und es wurde eben Askar Akajew gewählt. Einer, der im Grunde nicht Apparatschik war, sondern Physiker. In den anderen Staaten wurden im Grunde all die sowjetischen Kader übernommen. Die haben nur den Namen geändert."

Die Reformen haben nicht die erwarteten Erfolge gebracht und es gehe wirtschaftlich bergab. Die Verantwortlichen wollten nun nicht für ihr Scheitern angeprangert werden. Und so versuchten sie, die Presse zu behindern - damit die Fehler nicht öffentlich werden.

Ein wichtiges Instrument dabei sei die Zensur. Darüber weiß Galima Bucharbajewa aus Taschkent ein Lied zu singen:

"Die Zensur ist sehr, sehr ernst. Denn wenn ein Journalist einen Artikel veröffentlichen will, dann muss er ihn erst dem Zensor vorlegen. Und der Zensor wird ihn lesen und muss ihn dann abzeichnen. Ohne seine Unterschrift wird nichts gedruckt".

Aber es ist nicht nur die Kontrolle des Geschriebenen. Auf Pressekonferenzen würden den Journalisten oft schon die Fragen verteilt und anderes dürften sie gar nicht erst fragen. Und wer dann wirklich einmal etwas kritisch nachfrage, der könne sicher sein, dass sein Chefredakteur sehr bald einen Anruf bekomme: Dieser ungehörige Journalist solle gefälligst nicht mehr schreiben.

"Wissen Sie, einige usbekische Journalisten sagen, dass es zur sowjetischen Zeit einfacher war zu arbeiten. Denn da hat es Regeln gegeben darüber was der Zensor nicht veröffentlicht haben will. Welche Artikel und welche Themen. Heute ist nichts davon. Es gibt keine Regeln. Der Zensor entscheidet selbst, was gut ist und was nicht. Ein Zensor, der ist sehr bekannt in Usbekistan und er ist so etwas wie der Oberzensor - er heißt Kamilow - und der sagt: Ich bin wie eine Ampel und ich zeige Rot, Gelb oder Grün. Die Journalisten sind das Auto und ich zeige ihnen, wo sie hinfahren können", sagte Galima Bucharbajewa.

Dies führe bei den meisten Journalisten sehr rasch zu Selbstzensur und dazu, dass man kusche. Denn man wisse ja nur zu gut, dass Widerstand ziemlich nutzlos ist. Und noch dazu gefährlich. Der Tadschike Dododschon Atowullajew:

"Journalist zu sein, ist an sich schon gefährlich, aber gerade in Zentralasien, wo Du aus jeder Ecke beschossen werden kannst, ist es ganz besonders gefährlich"

Atowullajew verdankt es deutschen Kollegen, dass er heute im Hamburger Exil lebt und nur noch über Interviews bei Auslandssendern wie der Deutschen Welle oder durch in die Heimat geschmuggelte Artikel Einfluss auf seine Landsleute hat. Aber er gibt nicht auf:

"Ich würde nicht sagen, dass ich mir diesen Beruf ausgesucht habe, sondern: Das ist meine Berufung. Ich liebe diesen Beruf. Ich weiß, dass man für alles im Leben bezahlen muss. Für meine Freiheit und dafür, dass ich das sagen kann, was ich möchte, habe ich sehr viel bezahlt. Das ist ein sehr großer Luxus."

Wie die Lage sich verändern könne? Die Journalisten aus Zentralasien sind sich einig: Nur durch eine Demokratisierung. Denn ohne Freiheit gebe es keine Stabilität und ohne die werde es wohl auch keine freie Presse geben. Das Ausland könne und solle helfen, indem es den Ländern zehn Jahre nach ihrer Unabhängigkeit zu mehr Demokratie und Freiheit verhelfe. Auch journalistische Ausbildung sei sehr wichtig - wie sie zum Beispiel von der Deutschen Welle und der Konrad-Adenauer-Stiftung betrieben werde. Aber Grundvoraussetzung müsse Demokratie sein. Und zwar eine "ganze Demokratie", wie Atowullajew fordert. Denn es gebe ja auch keine "halbe Schwangerschaft". (lr)