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Nachsitzen

Kommentar von Wolf-Dieter Michaeli9. Oktober 2001

Mit Weiterbildung und Qualifizierung müssen die Probleme des deutschen Arbeitsmarktes gelöst werden.

Jetzt werden wieder die Forderungen nach Reformen auf dem deutschen Arbeitsmarkt wie eine Lawine über die Berliner Regierung hereinbrechen. Nachdem die sonst übliche Belebung auf dem deutschen Arbeitsmarkt in diesem September weitgehend ausgeblieben ist, wird Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt erneut von der Bundesregierung verlangen, die, so der oberste Arbeitgeber-Funktionär wörtlich, "gesetzliche Überregulierung des Arbeitsrechtes, beispielsweise im Kündigungsschutz, der Teilzeit, der Betriebsverfassung und des Sozialrechts" zu beseitigen. Er wird erneut die Bundesregierung auffordern, endlich die Mahnungen internationaler Institutionen aufzugreifen und Maßnahmen zur Lockerung der Arbeitsmarkt-Vorschriften zu ergreifen.

Es ist das gute Recht des Arbeitgeber-Präsidenten, Arbeitsminister Walter Riester immer wieder mit diesen Forderungen zu konfrontieren. Nur muss sich Dieter Hundt dann auch fragen lassen, ob er glaubt, daß allein mit der Umsetzung seiner Forderungen die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland, die in diesem Herbst bei fast 3,9 Millionen Menschen verharrt, kräftig gesenkt werden kann. Er muss sich fragen lassen, ob die Unternehmen in Deutschland bereit und in der Lage sind, bei lockereren Vorschriften über Kündigung und Teilzeitarbeit mehr Menschen zu beschäftigen als sie das derzeit tun. Und er muss sich auch fragen lassen, ob die Arbeitslosen denn überhaupt die Qualifikation haben, die von den Unternehmen nachgefragt werden.

Denn selbst in der gegenwärtig konjunkturell angespannten Situation gibt es eine Vielzahl von Unternehmen, die vergeblich nach neuen Mitarbeitern Ausschau halten. Sie finden auf dem Arbeitsmarkt in ihrer Region oft keinen Arbeitslosen, der die fachlichen Voraussetzungen aufweist, die verlangt werden.

Viele Arbeitslose in Deutschland sind so lange schon ohne geregelte Arbeit, daß sie mit ihrem beruflichen Wissen hinter der schnellen Entwicklung in den Unternehmen hinterherhinken. Das gilt insbesondere für die sogenannten Langzeit-Arbeitslosen. Über ein Drittel der Menschen, die in Deutschland bei den Arbeitsämtern gemeldet sind, fallen inzwischen in diese Kategorie, sind also länger als ein Jahr ohne festen Job. Sie gelten oft als schwer vermittelbar, weil sie mit ihrem beruflichen Wissen eine alten Standard repräsentieren.

Deshalb ist es umso bedenklicher, daß nach der neuesten Statistik vom Arbeitsmarkt die Zahl der Arbeitslosen, die an Maßnahmen zur beruflichen Weiterbildung teilgenommen haben, weiter um zehn Prozent zurückgegangen ist. Nicht einmal 200 000 Teilnehmer haben die Mitarbeiter der Arbeitsämter im vergangenen Monat zählen können. Seit Jahresbeginn hat die Zahl sogar um 18 Prozent, verglichen mit dem Vorjahreszeitraum, abgenommen.

In erheblichem Maß war Geldmangel der Grund für diesen Rückgang. Denn angesichts der höher als erwarteten Zahl von Arbeitslosen fehlen den Arbeitsämtern die Mittel, um aktive Arbeitsmarktpolitik zu betrieben. Sie müssen die ihnen zugewiesenen Gelder für die Unterstützung der Joblosen aufwenden und können sie nicht in Bildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen stecken.

Für die mittelfristige Entwicklung auf dem deutschen Arbeitsmarkt ist das indes bedenklich. Denn damit wird die zunehmende Dequalifizierung der Menschen ohne geregelten Job zementiert, die Vermittlung auf neue Arbeitsstellen wird erschwert.

Zugleich wird auch die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft auf dem Weltmarkt langfristig beeinträchtigt. Denn nur mit Mitarbeitern, die auf dem neuesten Stand des Wissens und der Technik sind, lassen sich Produkte fertigen, die mit den Wettbewerbern aus anderen Ländern mithalten können.

Arbeitgeber-Präsident Hundt sollte nicht nur gebetsmühlenartig seine Forderungen nach Reformen auf dem Arbeitsmarkt wiederholen. Er tät sich und der deutschen Wirtschaft einen großen Gefallen, wenn er zu einer Qualifizierungs-Offensive aufrufen und aktiv beitragen würde, die für Arbeitslose die Chance auf Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt erhöhen könnte.