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Musik

Was man als Dirigent alles können muss

Gaby Reucher
18. Oktober 2019

Alle zwei Jahre zeigen junge Dirigenten aus aller Welt beim Deutschen Dirigentenpreis ihr Können. Sie sollen nicht nur die Jury, sondern auch das Publikum begeistern. Wie Zitronen und gemeinsames Atmen dabei helfen.

Chloé van Soeterstède dirigiert
Bild: Jean-Charles Guichard

Wenn Dirigentin Chloé van Soeterstède vor dem Orchester steht, dann möchte sie die Musiker auf eine Reise mitnehmen: vorbei an grünen Wiesen oder manchmal auch über die Autobahn. "Ich arbeite gerne mit solchen Vergleichen, auch in Bezug auf Essen", sagt sie gegenüber der DW. Ihre bildlichen Vorstellungen teilt sie auch mit dem Orchester. "Wenn der Klang nicht bissig genug ist, dann sage ich: 'Erinnern Sie sich daran, wie es war, als Sie das erste Mal in eine Zitrone gebissen haben.' Und dann ändert sich der Klang ganz plötzlich."

William Kelley mag die OperBild: Sade Mamedova

William Kelley hat viel mit Opernsängern zu tun. Die menschliche Stimme als Instrument fasziniert den Dirigenten und Pianisten. Wenn er am Pult steht, dann wünscht er sich, dass das Orchester in "Atemphrasen" denkt, quasi gemeinsam mit den Sängern atmet. "Ich mag den Moment, in dem man merkt, dass das Orchester nicht nur mit den Augen die Partitur liest, sondern fast komplett mit den Ohren spielt."

Der Deutsche Dirigentenpreis

Der US-Amerikaner William Kelley aus den USA und die Französin Chloé van Soeterstède sind zwei von 12 Kandidaten, die es in die engere Wahl für den Deutschen Dirigentenpreis geschafft haben. 91 angehende Dirigenten aus 27 Ländern hatten sich für den Preis beworben, der alle zwei Jahre vom Dirigentenforum des Deutsche Musikrates ausgeschrieben und in Köln ausgetragen wird. Der Deutsche Musikrat vertritt als Dachverband für das Musikleben in Deutschland die Interessen von rund 14 Millionen Musizierenden. Das Dirigentenforum fördert in verschiedenen Programmen Nachwuchsdirigenten.

Seit 1995 dient der Wettbewerb als Sprungbrett für die Karriere junger Dirigenten. Chloé van Soeterstède erhofft sich, nach ihren Erfahrungen in Frankreich, Großbritannien, und den USA auch in Deutschland Fuß zu fassen und zukünftig deutsche Orchester zu dirigieren. Neben Preisgeldern erwarten die letzten drei Finalisten zusätzlich Gastdirigate - etwa bei Kölner Orchestern, die Partner des Wettbewerbs sind und die Kandidaten musikalisch begleiten.

Gefragt sind Charisma und Können 

Dirigent Lothar Zagrosek engagiert sich für den musikalische NachwuchsBild: Christian Nielinger

Vor zwei Jahren wurde der Wettbewerb erstmals mit großem Erfolg international ausgeschrieben. "Wir haben eine gute Mischung aus erfahrenen Dirigenten und sehr begabten jungen Dirigenten", freut sich Juryleiter und Dirigent Lothar Zagrosek. Für ihn spielt der erste Eindruck bei der Bewertung eine wichtige Rolle: "Wie sich der Dirigent oder die Dirigentin von Anfang an präsentiert, wie es ihm gelingt, das Orchester auf seine Seite zu bringen, von seinen Ideen zu überzeugen, das ist ausschlaggebend", sagt Zagrosek. Dabei spiele auch die Körpersprache eine große Rolle. "Die Körpersprache ist ja das Instrument, das man hat als Dirigent."

Dirigenten zu beurteilen sei sehr schwer, findet der Juryvorsitzende, dennoch habe man bewusst keine formalen Kategorien und Kriterien für die Bewertung beim Wettbewerb eingeführt. "Die Kandidaten müssen natürlich die Partitur beherrschen und über eine Schlagtechnik verfügen, mit der sie alles ausdrücken können", sagt er. Das sei selbstverständlich. Der Musikwissenschaftler und Ehrenvorsitzende der Jury, Peter Gülke, fügt hinzu, dass auch Charisma und Persönlichkeit eine große Rolle spielten. "Den Schlag kann man lernen, aber Persönlichkeit und Aura können wir nicht unterrichten."

Proben mit dem Gürzenich-Orchester KölnBild: Jörn Neumann

Der Deutsche Dirigentenpreis ist mit über 30.000 Euro einer der höchstdotierten Auszeichnungen für Dirigenten in Europa und berücksichtigt verschiedene Gattungen. Die Kandidaten müssten nicht nur Sinfonien von Haydn, Beethoven oder Brahms dirigieren, erläutert Zagrosek die Besonderheit: "Ich wollte unbedingt, dass auch ganz neue Musik vorkommt und dass auch Oper dabei ist."

Die Faszination am Dirigentenberuf

William Kelley kommt aus North Carolina und arbeitet seit zwei Jahren als Kapellmeister und Korrepetitor in Luzern. Er dirigiert am liebsten Opern: "Du musst die Verbindung zwischen Bühne und dem Orchestergraben herstellen und hast auch noch den Kontakt zum Regisseur, das fasziniert mich."

Chloé van Soeterstède hat ursprünglich Geige gelernt und wollte schon mit 14 Jahren dirigieren. "Wenn man im Orchester spielt, hat man nur seine eigene Notenlinie, das fand ich frustrierend." Die dicke Partitur der Dirigentin mit allen Stimmen machte sie neugierig. "Als erste Geigerin hatte ich dann später auch die gesamte Partitur bei mir, und wenn unsere Dirigentin nur mit den Flöten probte, dann habe ich die Partitur geöffnet und alles verfolgt."

Chloé van Soeterstède bei den Proben zum Deutschen DirigentenpreisBild: Joern Neumann

Mittlerweile hat Chloé van Soeterstède, die in London lebt, ihr eigenes Orchester "Arch Sinfonia". Außerdem hat sie bereits erfolgreich an einigen Dirigentenwettbewerben teilgenommen und Meisterkurse bei namhaften Dirigenten belegt. Darunter auch bei dem estnischen Star-Dirigenten Paavo Järvi, über den die Deutsche Welle gerade den Film "Der Brahms Code" gedreht hat. Für Chloé hat Paavo Järvi Vorbildfunktion. "Er weiß genau, welchen Klang er will, aber er weiß auch, wie er das Publikum im großen Bogen von A bis Z bringt", schwärmt sie. "Nicht nur Takt für Takt, das hat mich am meisten inspiriert."

Wie man mit Profiorchestern arbeitet

Die Kandidaten sind begeistert, dass sie im Wettbewerb mit profilierten Orchestern wie dem Gürzenich Orchester Köln oder dem Sinfonieorchester des Westdeutschen Rundfunks zusammenarbeiten. Doch das berge auch eine Gefahr für die angehenden Dirigenten, meint Jurymitglied Peter Gülke. "Wenn ich - wie beim Instrument - rein spieltechnisch mit einer Passage Schwierigkeiten habe, dann habe ich auch mehr Anlass, über diese Passage nachzudenken."

Jurymitglieder Peter Gülke (Mitte) und Lothar Zagrosek (links) bewerten die KandidatenBild: Jörn Neumann

Technische Perfektion beim Orchester sei aber nicht alles. Man müsse auch auf das hinspielen, was vielleicht erst in zehn Minuten auf einen zukomme und das erfordere viele intensive Proben, meint Gülke. "Deshalb hat es große Dirigenten wie Günter Wand oder Sergiu Celibidache gegeben, die gesagt haben: 'Je besser das Orchester ist, desto mehr Proben brauche ich'." Auch Paavo Järvi hat mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen für eine Aufnahme die letzten vier Jahre fast ausschließlich Brahms Sinfonien geprobt, bis ins letzte Detail.

So viel Zeit gab es für die Kandidaten des Deutschen Musikpreises allerdings nicht. Probeneinheiten zwischen 20 und 50 Minuten mussten ihnen genügen. Am Ende hat es William Kelley nicht ins Finale geschafft. Er nimmt es sportlich: Dabei sein ist alles. Chloé van Soeterstède erreichte den 3. Platz hinter Gábor Hontvári aus Ungarn (Platz 2). 15000 Euro gingen an den Sieger des Wettbewerbs, den Spanier Julio García Vico. Die Jury lobte seine Körpersprache und seine profunden Partiturkenntnisse. Auch das Publikum entschied sich für den agilen Spanier, der durchweg auswendig dirigierte. Chloé van Soeterstède erhielt noch einen Sonderpreis für die beste Interpretation eines Werkes des 20./21. Jahrhunderts.

Gewinner der Deutschen Dirigentenpreises: Julio Garcia Vico aus SpanienBild: Laura Cohen

Der Wettbewerb zeige Momentaufnahmen, sagt Juror Lothar Zagrosek. Daher sei ein Preis noch lange kein Freifahrtschein in eine phantastische Zukunft. "Es ist nur ein Schritt auf dem Weg in den schönsten Beruf der Welt."

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